Handsome Devil (2016)

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Erwartbares

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die meisten Filme über die jugendliche Suche nach einer eigenen Identität exakt gleich sind. Sie beschreiben den Schrecken der Konformität, erweitern aber oft nur den Katalog an Schablonen. Statt Zwischenstufen und Zwitterwesen zu akzeptieren, zwingen sie zu einem Erstarren, das dann als Selbstfindung, als Entdeckung des „wahren Ichs“ verkauft wird. Natürlich geben sie Lippenbekenntnisse ab, jeder könne alles sein, gezeigt wird das aber selten.

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Mit den Versatzstücken von John Butlers Handsome Devil dürften nicht nur Kenner des Coming-of-Age-Kinos vertraut sein: Erzählt wird die Geschichte des schüchternen Sechzehnjährigen Ned Roche (Fionn O’Shea), der auf seinem rugbyversessenen Internat ein Dasein als Paria fristet. Als ihm Vorzeigeathlet Conor (Nicholas Galitzine) als Zimmergenosse zugewiesen wird, sind beide zunächst wenig begeistert. Doch nach und nach entsteht eine zarte Freundschaft, auch der Unterricht des unkonventionellen Forder-und-Förder-Lehrers Dan Sherry (Andrew Scott) macht die Lage erträglicher. Doch Fragen der Identität führen unweigerlich zu Zerwürfnissen und Konflikten mit dem konservativen Umfeld.

Was auf den ersten Blick klischeeüberladen und uneigenständig scheint, ist es leider auch auf den zweiten und dritten über große Teile der Spielzeit. Wie zum Takt von Sklaventrommeln zeigt Butler Erwartbares. Die Rugby-Fans sind ein tumbes Kollektiv, das gelegentlich einen nach DIN genormten Bully aussendet, um Ned der Homosexualität zu bezichtigen oder ihn anderweitig zu peinigen. Ihr Anführer ist der konservativ-grimmige Coach O’Keeffe (Moe Dunford), bärtig und massiv die körperliche Manifestation der bestehenden Ordnung. Dan Sherry tritt ihm als Reinkarnation von Robin Williams’ John Keating aus Der Club der toten Dichter gegenüber. Ein Freigeist, der natürlich Englisch unterrichtet und über einen unerschöpflichen Fundus von lehrreichen Lektionen fürs Leben verfügt. Weil Schreibtalent (?) Ned seine Essays aus den Texten von obskuren Bands zusammensetzt, spielt er während eines Vortrags laut das entsprechende Musikstück ein. „If you are someone else, who is going to be you?“, fragt Sherry mit pathosschwangerer Stimme. „You are all individuals!“, will er brüllen, wird dabei jedoch von der Schulklingel (vom System also!) unterbrochen. Unweigerlich denkt man an Das Leben des Brian, in dem eine Horde von Jüngern exakt diese Worte im unreflektierten Gleichklang nachbetet. Bis auf eine einzige Stimme in der Masse, die verkündet: „I’m not!“. Diese humorvolle Auseinandersetzung mit den eigenen Binsenweisheiten fehlt dem Film. Es sind Parolen, die stolz skandiert, aber nicht hinterfragt werden. Und das, obwohl Individualismus längst zu sehr Produkt und Werbeversprechen ist, um ohne Kontext als Wert an sich propagiert zu werden.

Auch die Freundschaft zwischen Conor und Ned durchläuft bekannte Aggregatszustände. Anfängliche Distanz visualisieren Split-Screen-Aufnahmen und eine Barriere aus Kisten und Einrichtungsgegenständen in ihrem Zimmer, später wird letztere in einer der vielen Musikmontagen beiseite geräumt. Beim gemeinsamen Musizieren schrubbt man zunächst hilflos auf Akustikgitarren herum, nur um später zwei Stimmen zu Harmonien zu vereinigen. Als Konflikte kommen, tönt die plötzlich vereinsamte Stimme dünn und schräg. Pop- und Rock-Musik, traditionelle Indikatoren von jugendlicher Lebensfreude und Stürmer-und-Drängertum, soll Szenen der Begegnung und Momente der Wahrheit mit Leben füllen. So wirklich will das den eher blassen Stücken nicht gelingen. Auch die dazugehörigen Zeitlupenbilder vermitteln kein Gefühl von Freiheit, sondern verweisen nur auf ihre Vorgänger und geben der Geste dadurch etwas Mechanisches und Falsches.

Das Innenleben Neds beschreibt von der ersten Szene an ein Voice-Over, das öfter erzählt, was wohl besser gezeigt und erlebt worden wäre. Das hat auch damit zu tun, dass der Film einen bildungsromanhaften Rahmen bekommt, der ihn zu einem brillanten Essay erklärt, den Ned bei einem großen Wettbewerb vorträgt. So versorgt sich die Geschichte selbstsicher mit einer großen Bühne, die ihr vielleicht nicht unbedingt zusteht. Vielleicht ist es ein Versuch, die stellenweise sehr naiven Sinnsprüche des Films durch ihren ähnlich naiven Verkünder zu erklären. Gerade Coming-of-Age-Geschichten erliegen oft der Versuchung, sich hinter ihren Protagonisten zu verstecken, und damit selbst zu einem Teenager zu werden. Doch Empathie und Intelligenz sind keine Widersprüche, wie etwa Berry Jenkins’ Moonlight gezeigt hat.

Auch in der Auseinandersetzung mit seinen homosexuellen Figuren hätte sich Butler dort inspirieren lassen können. Gleich mehrere Outings bieten der Handlung dramatische Wendepunkte, mit jedem davon wird ein Klischee bestätigt. Wer sich von den ungewaschenen Rugby-Horden abhebt, wird eher früher als später der entsprechenden Schublade zugewiesen. Grund zum Anstoß gibt die keusche, nur als abstraktes Prinzip bestehende, gleichgeschlechtliche Liebe des Films wohl nicht einmal dem konservativsten Zuschauer. Am Ende des Films, wenn die „O Captain! My Captain!“-Szene aus Der Club der toten Dichter nachgestellt wird, fügt sich alles mit großer Leichtigkeit zum Guten.

Respekt für die eigene Lebensweise wird eingefordert und schnell gezollt. Sicher ein schöner Moment, gerade für das traditionell hypermaskuline Umfeld (noch immer outen sich nur wenige Sportler), aber irgendwie auch ein einfacher, naiver. Statt politisch zu denken wird die Sexualität reine Privatsache. Das entbrennende Sportdrama-Finale ist so effektvoll wie die meisten seiner Art. Nur der Kompromiss, der in allen Triumphen enthalten ist, bleibt ein fauler. Statt einen eigenen Weg zu finden, wird nur deutlich, wie wundervoll das Leben in der Masse dann eben doch sein kann. Kein Paria muss Paria bleiben, es gibt immer einen anderen Weg. Im Chor wird gejubelt: Wir sind alle Individuen! Wir sind alle Individuen! Was Handsome Devil fehlt, ist die einsame Stimme, die ruft: Ich nicht!
 

Handsome Devil (2016)

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die meisten Filme über die jugendliche Suche nach einer eigenen Identität exakt gleich sind. Sie beschreiben den Schrecken der Konformität, erweitern aber oft nur den Katalog an Schablonen. Statt Zwischenstufen und Zwitterwesen zu akzeptieren, zwingen sie zu einem Erstarren, das dann als Selbstfindung, als Entdeckung des „wahren Ichs“ verkauft wird. Natürlich geben sie Lippenbekenntnisse ab, jeder könne alles sein, gezeigt wird das aber selten.

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