BWOY - Der Junge aus Kingston (OmU)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Erotisches Queer-Kino der ansprechend irritierenden Art

Der US-Amerikaner um die Vierzig, der sich sichtbar ein wenig verschämt und heimlich bei einer Internetseite für Gay-Dating-Kontakte anmeldet, findet mit seinen schlichten Angaben kaum Resonanz. So wertet Brad (Anthony Rapp), der offenbar ein sehr zurückgezogenes Leben führt und einen schnöden Job in einem Callcenter ausübt, sein Suchprofil mit peppigen Details auf. Er präsentiert sich als heißer „Daddy“ mit Standort in Jamaika, und prompt rasseln etliche attraktive Angebote in sein Postfach. Rasch bleibt Brad beim Foto des jungen, hübschen Jamaikaners Yenny (Jimmy Brooks) hängen, und ein paar wechselseitige Nachrichten später steht das Date für den direkten Austausch via Skype.
Diese visuelle Komponente bringt Brad bald kräftig in Wallung: Yenny zeigt sich dabei nicht nur mit niedlichen Gesichtszügen und einem geradezu herausfordernd normerotischen Körperbau, sondern strahlt auch warmherzige, charmante und zunehmend verführerische Freundlichkeit aus. In rasantem Tempo entsteht eine Skype-Affäre, die Brad in ein Gefühlschaos der unterdrückten Leidenschaften und hervorbrechenden Sehnsüchte katapultiert, denn Yenny ist sofort bereit, die Rolle als zuckersüßer, lockender „B(w)oy“ zu übernehmen, der sich nicht nur bei seinem weißen „Daddy“ geborgen fühlt, sondern diesem auch ganz gehörig einzuheizen versteht…

Als provokanter, erotisch und angrenzend pornographisch orientierter Spielfilm in Sachen Queer Cinema, dessen Dramaturgie sich hauptsächlich im Rahmen der Skype-Kommunikation der beiden Protagonisten ergeignet, die sich bis hin zu gemeinsamer Onanie auswächst, vermag es BWOY – Der Junge aus Kingston in mehrerer Hinsicht, eine packende Spannung aufzubauen. „Bwoy“ ist die jamaikanische Patois-Bezeichnung für „Junge“, wobei die Sprache des Films in gut verständlichem Englisch gehalten ist, bei der Konzentration auf dialogische Szenen sicherlich eine gute Entscheidung. Während Brad gelegentlich in seinem Alltag gezeigt wird – die Zuschauer_innen erfahren allmählich, dass er seinen schwulen Ausprägungen verdeckt nachgeht und in einer komplizierten, schwerlastigen Ehe mit Marcia (De’Adre Aziza) feststeckt, weil der gemeinsame Sohn verunglückt ist –, bleibt Yennys tatsächliches Leben bis zum aufklärenden Schluss im Verborgenen.

War es auch Brad, der sich von Anfang an nicht aufrichtig vorgestellt hat, verschiebt sich der Fokus der vorteilsorientierten Täuschung dann bald auf Yenny, dessen strategisch anmutendes Vorgehen den Anschein erweckt, er erfülle das Klischee des sexy schwarzen Jungen, der dem älteren, verklemmten Amerikaner Liebe vorgaukelt, um ihn finanziell auszubeuten. Doch eine derart schlichte Mehrheitsmoral bedient Drehbuchautor und Regisseur John G. Young beileibe nicht, sondern schafft komplexe Konstellationen mit bei Zeiten bedrückenden, vielschichtigen Dimensionen. Die Figur des Brad, der traumatisiert in einer verstrickten Situation vegetiert und sein Bedürfnis, als beschützender „Daddy“ aufzutreten, in erotische Kanäle leitet, die seiner heimlichen Begierde folgen, ist hochgradig tragisch. Nicht minder eingeengt erleben wir am Ende Yenny, der in einer homophob geprägten und diesbezüglich mitunter ungestraft gewalttätigen Alltagskultur mit den Seinen überleben will. Ohne zu moralisieren wirft BWOY – Der Junge aus Kingston mit der brisanten Zeichnung dieser Antihelden einige ethische Fragestellungen auf, die aufstörend an den Randgebieten der Berührung von den Themen Liebe, (Homo-)Sexualität, Tod, Trauer und Gewalt wühlen.

Dabei nimmt der Film in ironisierender wie erotisierender Manier auch die Auswüchse einer längst weltweit verbreiteten Kultur von Web-Kontakten aufs Korn, die ihren Reiz sowie ihre Illusionen und Enttäuschungen aus dieser ganz besonderen, distanzierten und gleichzeitig distanzlosen Form der Begegnung speist. Auf diese Weise gerät dieses Erotik-Drama auch zur Abbildung eines Zeitgeistes, der längst Wurzeln geschlagen und seine Tribute in unterschiedlichsten Formen und Wertveränderungen gefordert hat. Verschleierungen und Demonstrationen von Intimität stehen hier in einem erregungsreichen Spannungsverhältnis mit frivolem Unterton, der wiederum einen schwelenden Kontrast zur ernsthafen Problematik schafft. Die dargestellten Grundkonstanten eines jungen Schwulen in Jamaika und eines mittelalten, verwaisten, verheirateten Vaters in den USA mit schwulem Begehren treffen zudem auf absolut übliche Klischees, die andeuten, dass die Fragen nach existenziellen Nöten und Machtverhältnissen, auch zwischen „Schwarz“ und „Weiß“, in der nach wie vor als postkolonialistisch erscheinenden Ära unserer Gegenwart noch längst nicht erledigt sind.

Eine heiße Web-Affäre, ein trauernder Vater, ein findiger Überlebenskünstler und ein am Ende visualisiertes totes Kind – das ist eine krasse Kombination, zumal der lüsterne Daddy-Duktus hier mitunter allzu deplatziert wirkt. Doch John G. Young (Parallel Sons, 1995, Wasser und Blut / Rivers Wash Over Me, 2009) ist kein Filmemacher leichter Kost, und seine nicht selten bissigen Provokationen treffen ins Mark der gefälligen Verdrängung. Dass vor allem die Außenszenen des in Germantown, New York und Puerto Rico gedrehten Films nicht immer ansprechend gelingen – so ist deutlich der Rechtsverkehr im vermeintlichen Jamaika erkennbar –, lässt sich angesichts des psychologisch aufgeladenen erotischen Duells, das sich in enger Räumlichkeit vollzieht, locker verzeihen.

BWOY - Der Junge aus Kingston (OmU)

Der US-Amerikaner um die Vierzig, der sich sichtbar ein wenig verschämt und heimlich bei einer Internetseite für Gay-Dating-Kontakte anmeldet, findet mit seinen schlichten Angaben kaum Resonanz. So wertet Brad (Anthony Rapp), der offenbar ein sehr zurückgezogenes Leben führt und einen schnöden Job in einem Callcenter ausübt, sein Suchprofil mit peppigen Details auf.
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