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Im Transit zu sein bedeutet Stillstand und Wurzellosigkeit. Ein Zustand, den Flüchtende von heute und auch damals im 2. Weltkrieg gut kannten. Christian Petzold führt beide Zeiten hier zusammen und eröffnet im Transitraum Platz für Geschichte(n), deren Wucht das Publikum berühren wird.

Transit (2018)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Geistergeschichten

Im Transit zu sein, bedeutet nirgendwo zu sein, nicht verwurzelt zu sein, zu etwas oder irgendwem zu gehören. Man ist in einem Zwischenstadium gefangen. Ohne Vergangenheit, nur mit der hoffnungsvollen Ahnung einer Zukunft und verdammt dazu, im Hier und Jetzt auszuharren, aber ohne wirkliche Anwesenheit. Genau dieses Gefühl vermittelt Christian Petzolds Film Transit, der auf Anna Seghers gleichnamigem Entwicklungsroman basiert. Eine weitere Arbeit nach Phoenix also, die sich mit geisterhaften Zwischenstadien beschäftigt. Und auch dem Nationalsozialismus. Zumindest auf den ersten Blick.

Georg (Franz Rogowski) sitzt in einer Kneipe in Paris, die Polizei im Nacken, die Razzien ausführt in dieser besetzen Stadt, als er einen Auftrag erhält. Zwei Briefe soll er einem anderen Geflüchteten, dem Autor Weidner bringen. Der eine ist von seiner Frau, die ihn bittet, nach Marseille zu kommen, der andere von der mexikanischen Botschaft, die ihm eine Ausreise ermöglichen will. Doch die Briefe erreichen den Schriftsteller nicht. Er hat sich kurz zuvor das Leben genommen. Und so ist es Georg, der mit den Briefen und allen Papieren und Manuskripten Weidners nach Marseille flieht.

Sein Freund Heinz verstirbt auf der Reise, also sucht Georg nach seiner Ankunft in Marseille dessen Frau und Sohn auf. Das Kind hängt sich sofort an Georg, doch dieser hat beschlossen sich als Weidner auszugeben, dessen Visum zu nutzen und Europa zu verlassen. Bei seinen Bemühungen, alle Papiere zusammenzukriegen, trifft er andere Flüchtende. Eine jüdische Frau, die hofft, als Hundesitterin ein Visum zu bekommen, einen Dirigent, der nach Caras einreisen darf. Und Marie (Paula Beer), eine geheimnisvolle Frau, die in den Konsulaten der Stadt nach ihrem Mann sucht, denn er hat ihr Visum und ohne ihn kommt sie nicht raus aus der Stadt und dem Land, das von Tag zu Tag weiter von den Deutschen überrollt wird. 

Die Geschichte klingt vertraut, sie ist, wenn auch fiktiv, doch eine von vielen bekannten Fluchtgeschichten, und trägt teils auch autobiografische Züge von Anna Seghers eigenen Transiterfahrungen. Doch Transit ist kein Historienfilm. Vielmehr spielt er in der Jetzt-Zeit, im Marseille des Jahres 2017. Petzold stellt Gegenwart und historische Vergangenheit zueinander, ohne dass die eine die andere verhüllt. Vielmehr koexistieren sie, wie das Stolperstein-Prinzip des Künstlers Gunter Demnig, dessen Messingtafeln, die an die Opfer der NS-Zeit erinnern, nahtlos mit den anderen Pflastersteinen verbunden werden und sich gegenseitig stützen.

Einen weiteren Zusammenhalt bietet hier das ästhetische und erzählerische Rekurrieren auf diverse Filme der Kriegs- und Nachkriegszeit, die sich ebenfalls mit dem Thema der Entwurzelten und Geflüchteten im Transit beschäftigen. Es ist ein Hauch von Casablanca in Petzolds Film, dieser verbindet Gegenwart und Geschichte abermals in aufgeladenen Bildern. Und genau dieses Miteinander ist hochgradig effektiv. Es holt das Publikum sofort hinein in die stille Melancholie dieses Zwischendaseins.

Es sind vor allem die Stille und der Stillstand dieser besonderen Situation, die Transit auslotet. Was passiert an diesen Nullpunkten, nein, Nichtpunkten, an denen es kein Vor und kein Zurück gibt? Es mag wie ein ultimatives Nichts erscheinen, doch für Petzold ist es ein Ursprung. Aus der Stille der Zeit, des Raums, der Geschichtlichkeit entspringen Geschichten. Es ist die Idee der oral history, der erzählten Geschichtlichkeit, die aus vielen kleinen Teilen besteht und komplexer ist, als das, was in den Kanon als Geschichte eingeht, an der Petzold interessiert ist. Er will die Geschichten von Menschen, deren Wegen, Ängsten, Hoffnungen. Es sind Geflüchteten-Geschichten, die so individuell wie auch gemeinschaftlich sind, und die, dies macht der Film klar, niemals gehört werden außerhalb der Transitzone. Egal ob damals, in den 1940er Jahren oder jetzt, wo Geflüchtete in Deutschland unter sich in Heimen ausharren und ihre Geschichten fast nie die Menschen außerhalb ihrer Transitzone berühren.

Hier kommt auch wieder Petzolds liebster Figurenzustand zum Tragen. Egal ob Georg, Marie oder die anderen, in Transits Marseille sind alle Geister, die durch die Straßen wandeln, in Hotels ausharren und darauf hoffen, gesehen zu werden, Hilfe zu bekommen. Doch sie existieren nicht. Im Transit zu sein, wird auch zu einer körperlichen und geistigen Erfahrung, die Entwurzelung geht weiter über eine Örtlichkeit hinaus. Als ZuschauerIn wird einem jedoch Einlass gewährt in diese Welt, die selbst wiederum nur eine dieser Geschichten ist, wenn auch eine, die erzählt und gehört wird. Sie handelt von Scham und Schuldgefühlen, von Angst und Verlorenheit, von Liebe und Stillstand in einem Nichts, in dem alles so still ist und so stillsteht, dass sich das Wesentliche in den kleinsten Gesten herauskristallisiert.

Es soll kein Film über die derzeitige Geflüchteten-Krise sein, hat Petzold schon mehrmals gesagt. Es geht mehr um den Zustand an sich. Und doch, man kommt nicht umhin Rückschlüsse zu ziehen, auch wenn sie eher emotionaler Natur sind. Auch die Erinnerung, dass es vor gar nicht langer Zeit wir selbst waren, die flüchten mussten, dass diese Erfahrung so universell ist und dass sie uns jederzeit wieder passieren kann, hinterlässt großen Eindruck. Daher ist es eventuell nicht Petzolds Absicht, aber Transit ist auch ein mahnender Film. Einer, der mit dem inzwischen starken Aufkommen faschistischer Tendenzen und Gruppierungen in Europa einen Beitrag akuter Dringlichkeit liefert. Es könnte ein Film sein, der Teil eines Gegenkurses wird, der die Geschichte sich nicht wiederholen lässt. Oder einer, der in ein paar Jahrzehnten als ein Werk gesehen wird, das die nächste Katastrophe vorausgesehen hat. Man sollte also hinsehen und hinhören, was in diesem Transit-Raum geschieht. Und verstehen, dass Flucht mitnichten etwas Außergewöhnliches ist, was nur anderen passiert. 

Transit (2018)

Der neue Film von Christian Petzold basiert auf dem gleichnamigen Roman von Anna Seghers, jedoch hat der Regisseur die Ausgangsgeschichte von einem Mann, der aus Nazi-Deutschland nach Frankreich flieht, in die Gegenwart versetzt und knüpft damit an die gegenwärtige Lage an, in der Flucht und Vertreibung zum Gegenstand heftiger gesellschaftlicher Kontroversen geworden sind.

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Meinungen

Christian Metzler · 26.08.2018

Hervorragend, wie hier die Situation zur Zeit der Besetzung Europas durch die Nazis in der Jetztzeit nachvollziehbar gemacht wird. Das wäre vermutlich in keinem "klassischen" Historienfilm so ergreifend möglich gewesen.
Ich kann diesen Film nur empfehlen.

Jannin · 12.05.2018

Zum ersten Male habe ich zusammen mit Freunden das Kino vorzeitig verlassen. Der Film ist eine extreme Zumutung für den Zuschauer. Französisch mit deutschen Untertiteln ist das kleinste Übel - das schlimmste ist,: einen historischen Film in die Gegenwart zu versetzen. Meines Erachtens ist es Vergewaltigung des ursprünglichen Stoffes, dessen man sich bedient hat. Es ist, als ob man einen Rembrand zerstückelt, anschließend mit Grafitti beschmiert und dann auch noch die Unverschämtheit besitzt , Dumme zu suchen, die diese barbarischen und krankhaften Zerhackstückelungen bezahlen sollen. Dazu sage ich: Nicht mit mir.

Sabine Bethke-Bunte · 10.04.2018

Gestern habe ich mit meinem Mann den Film gesehen und wir waren beide tief beeindruckt, nicht zuletzt durch die schauspielerischen Leistungen des Hauptdarstellelers und "seines" Kindes.
Diskussionsstoff bot das Ende, da wir es unterschiedlich verstanden haben: Ist Marie tatsächlich auf dem Dampfer umgekommen oder diesem und damit dem Arzt entkommen?
Interpretationsspielraum oder unterschiedliche Wahrnehmungen?