STRASSENKAISER

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Loses Treiben

Die Leinwand ist schwarz, nacheinander fallen erste Dialogzeilen: „Du weißt schon, dass sie über dich reden“. Gemeint ist Samuel (Matthias Wackrow), der wie alle seine Kumpel aus der gleichen Sozialsiedlung die Wahl hatte, entweder „Nazi oder Gangster zu werden“, betont der Erzähler aus dem Off weiter. Dann Schnitt: Diaaufnahmen. Schnell die nächsten Drehbuchzeilen, sogleich die nächsten Cuts (Schnitt: Felix Schekauski), dann setzt plötzlich wirre Musik von Telonio ein: fertig ist das Chaos-Intro.
Wirklich nichts passt hier gestaltungstechnisch zusammen, stattdessen crashen gleich reihenweise wilde Bild- und Tonscheren aufeinander. Und obendrein folgt ein narrativ mühsamer, durch und durch holpriger Einstieg in eine nicht minder anstrengende Großstadt-Odyssee, die anscheinend formal-technisch wie inhaltlich-ästhetisch auf Teufel komm raus innovativ sein will. So viel steht schon nach den ersten Minuten von Florian Peters‘ STRASSENKAISER unwiderruflich fest.

Zu sehen, weniger zu erleben ist dabei eine im „Hey-Digger-Schau-Mal-Alter“-Style verfasste Berliner Großstadt-Räuber-Ballade um eben jenen Samuel, einen kleinkriminellen Lebemann und Jungpapa, der in allen Bereichen seines Lebens mit Verantwortlichkeit wie Pflichtbewusstsein hadert – und sich deshalb am liebsten einfach treiben lässt. Matthias Wackrow, der gleichzeitig Hauptdarsteller und Produzent von Florian Peters‘ Langfilmdebüt ist, spielt ihn betont leger – und keineswegs überzeugend. Nie wird eigentlich klar, warum er sich überhaupt um den zwölfjährigen Ausreißer Noah (Lennard Adabra) kümmert, der gerade seinem drogengeschwängerten Lausbuben-Papa Lemin (Jean-Philippe Adabra) im quirligen Treiben des Karnevals der Kulturen entwischt ist. Und was sollen überhaupt diese permanenten, ziemlich abstrusen Guy-Ritchie-, Klaus-Lemke- und Quentin-Tarantino-Anleihen: Traut der Jungregisseur etwa seinen eigenen Drehbuchzeilen (zusammen mit Jana Wackrow) nicht? Warum nur spielen all seine gut 50 Darsteller dermaßen überkandidelt, nur eben keineswegs besser?

Was ursprünglich als Kurzfilm geplant war, erzählte Florian Peters im Rahmen der Saarbrücker Leistungsschau des jungen deutschen Kinos, sei im Laufe des Projekts immer größer – und am Ende „zu einem echten Gemeinschaftstrip“ geworden, in dem wenige Crewmitglieder in vielerlei Aufgabenbereichen tätig sein mussten. Natürlich war die Produktionskasse knapp bemessen, berichtete er weiter, was aber spätestens seit Axel Ranischs ersten Mini-Budget-Filmen (wie z.B. Dicke Mädchen) kein zwingendes Qualitätskriterium (mehr) sein muss. Denn schließlich geht es letztlich um das, was auf der Leinwand zu sehen ist, unabhängig davon, wie es produziert wurde.

Um die Unabhängigkeit von den Eltern, das ausgelassene Feiern wie die Großen und das generelle Frei-wie-ein-Vogel-Sein geht es dementsprechend wortwörtlich auch in STRASSENKAISER von der ersten Sekunde an. Ständig verliert der Debütfilm dabei seinen erzählerischen Rahmen, fast dauernd werden die realen Szenen vom Berliner Karneval der Kulturen mit reichlich unpassender Musik aufgepimpt und zusätzlich werden pausenlos neue, wiederum wenig aussagekräftige Charaktere in den insgesamt wirren Handlungsbogen eingeführt: Unter ihnen sind merkwürdige Guru-Gestalten, ein paar Transsexuelle als Bildfüller, natürlich allerlei Berliner-Party-People und eine Reihe klein- und großkalibriger Gangsterfiguren.

Dominik Manikowskis Kamera bemüht sich in diesem losen Treiben mehrmals sichtlich darum, etwas Spannung zu erzeugen und manch kurze Krimielemente in STRASSENKAISER zu forcieren, der sich aber trotzdem in keine Schublade pressen lässt: Coming-of-age-Geschichte nebst Familiendrama nebst Krimikomödie? So in etwa lässt sich Florian Peters‘ Langfilmdebüt (nach seinen beiden ersten Kurzfilmen 7 Sünden und Der Aufstieg) am ehesten noch in Worte fassen, was andererseits vielleicht lediglich die Werbe-Slogans der jungen Filmfirma unterstreichen soll: „Wir denken größer als wir sind“ steht beispielsweise auf deren Website zu lesen. Ebenso: „Was wir tun, tun wir mit Herz“. Davon konnten sich die Premierenzuschauer in Saarbrücken in der Tat überzeugen: Kaum ein anderes Filmteam hatte mehr Street Credibility und wirkte authentischer als diese durchaus sympathische Truppe um den vollbärtigen, extrem gut aufgelegten Berliner Florian Peters. „Wir sind wahnsinniger als der Rest“ heißt es schließlich dort noch an selber Stelle. Dem ist wirklich nicht zu widersprechen.

STRASSENKAISER

Die Leinwand ist schwarz, nacheinander fallen erste Dialogzeilen: „Du weißt schon, dass sie über dich reden“. Gemeint ist Samuel (Matthias Wackrow), der wie alle seine Kumpel aus der gleichen Sozialsiedlung die Wahl hatte, entweder „Nazi oder Gangster zu werden“, betont der Erzähler aus dem Off weiter.
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