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Wer war Paul Cézanne? Ein genialer Maler, so viel ist klar, doch der Blick jenseits seiner künstlerischen Hinterlassenschaften fällt schwer. In „Cézanne — Portraits eines Lebens“ findet die Exhibitions-On-Screen-Reihe endlich zu ihrer idealen Form.

Exhibition on Screen: Cézanne - Portraits eines Lebens (2017)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Portrait eines Unbekannten

Paul Cézanne gilt als Vater der modernen Kunst, er beeinflusst junge Maler bis heute — aber trotz des offenkundigen Interesses an ihm gibt es nach wie vor blinde Flecken: beispielsweise gab es noch nie eine Ausstellung zu seinen Portraits, denn Cézanne ist eher für Landschaften und Stillleben bekannt. Außerdem lässt sich kaum greifen, was für ein Mensch die Privatperson Paul Cézanne gewesen sein muss. Gerade zu diesem besseren Verständnis könnten allerdings seine Portraits einen Schlüssel bilden. Abgebildet findet man auf ihnen nämlich vorrangig Personen aus seinem engeren Umfeld – und wie er sie darstellt, verrät viel über seine Weltsicht.

Solche Gedankengänge bilden den roten Faden in Cézanne — Portraits eines Lebens, einem neuen Film der Exhibitions-On-Screen-Reihe, der die gleichnamige Wanderausstellung der National Portrait Gallery London, des Musée d’Orsay Paris und der National Gallery of Art in Washington DC zum Thema macht. Vielleicht kann man diesen Film als bisherigen Höhepunkt der gesamten Reihe begreifen, denn hier scheint sie ihre ideale Form zu finden: die frühen Filme der Reihe boten spannende Analysen, wirkten aber etwas trocken und steif. Später kam echtes dynamisches Kinofeeling auf, dafür kratzen die Filme etwas an der Oberfläche. Die Episode zu Cézanne bringt all ihre Vorzüge zusammen. 

Visuell ist Cézanne — Portraits eines Lebens offensichtlich für das Kino gemacht: zu Beginn sehen wir Aufnahmen aus dem Geburtshaus des Malers zu getragener Musik und auch später befindet sich die Kamera immer wieder an Orten, an denen er sich einst tatsächlich aufhielt. Sie streift in langsamen Fahrten durch Gärten, durch Paris, die Gassen von Aix-en-Provence. Aber auch durch die Ausstellungsräume. Hier wie dort sind es aufmerksame Suchbewegungen. Die Kamera sucht diesen Mann zu fassen, der wie besessen arbeitete und doch ständig unter Geldsorgen litt, der sich selbst in der künstlerischen Hochburg Paris noch von ennui befallen sah.

Einer der zahlreichen talking heads des Films, darunter auch Paul Cézannes Urenkel, weiß von einer vielsagenden Anekdote zu berichten: der Maler arbeitete einst am Portrait eines bekannten Kunstkritikers. 115 unendlich lange Sitzungen waren dafür notwendig und am Ende ließ Cézanne dennoch zwei winzige Stellen auf der Leinwand frei. Gerade einmal Punkte an den Fingerknochen einer Hand. Cézanne erklärte seinem Auftraggeber: „Ich will keinen Fehler machen, sonst muss ich das Bild neu beginnen. Ich gehe heute Nachmittag in den Louvre und wenn ich dort die richtigen Werte finde, beende ich das Bild.“ Die leeren Stellen existieren bis heute. Soviel zu Cézannes Perfektionismus, ja, seiner Obsession.

Der Unterhaltungsfaktor, die Dynamik der Inszenierung von Cézanne — Portraits eines Lebens schließt es nicht aus, auch in die Tiefe zu gehen. Mehrfach sprechen Experten im Film ausführlich über einzelne Gemälde, beschreiben und analysieren ganz genau: Wie stellt sich Cézanne in seinen Selbstportraits dar? Wie ordnet er andere Personen und Objekte in seinen Bildern an? Indem er diese Fragen stellt, gibt einem der Regisseur Phil Grabsky Methoden an die Hand, um auch nach Ende des Films noch eigenständig weiter über die Malerei nachzudenken. Dann wird er grundsätzlicher: beschäftigt sich mit der Frage, ab wann eine Ausstellung eigentlich als erfolgreich verbucht werden kann. Nicht ausschließlich dann, wenn sie als Blockbuster gilt und Besucherrekorde gebrochen werden, so viel sei verraten.

Grabsky verbindet all die verschiedenen Elemente in Cézanne — Portraits eines Lebens durch die Briefe des Malers, die eine Stimme aus dem Off vorliest: die meistens davon gehen an seinen besten Freund und Unterstützer, den Schriftsteller Émile Zola, einige aber auch an die Ehefrau und den gemeinsamen Sohn. An letzteren richten sich auch die finalen Worte des Films: „All meine Landsmänner sind Idioten, außer mir. Ich küsse dich — dein Vater, Paul Cézanne.“

Der Satz verrät viel über diesen rätselhaften Mann, der gleichzeitig überheblich und komplexbeladen sein konnte, schroff und doch hochsensibel. Es ist eine Stärke des Films, dass er nicht versucht, diese Widersprüchlichkeiten, das Widerspenstige Cézannes auszubügeln. Vielmehr stimmt er neugierig darauf, betont die Faszination daran. Man möchte umgehend nach London reisen und die Cézanne-Ausstellung persönlich entdecken. Ein besseres Kompliment dürfte man Exhibition On Screen nicht machen können.

Exhibition on Screen: Cézanne - Portraits eines Lebens (2017)

Der Film aus der Reihe „Exhibition on Screen“ widmet sich der bahnbrechenden Ausstellung von Paul Cézanne, die unter anderem im Musée d’Orsay in Paris, im MoMa in New York, der National Gallery in Washington und der National Portrait Gallery in London zu sehen war.

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