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Filme aus Kuba erzählen oft von jungen Menschen, die davon träumen auszuwandern und ihr Glück woanders zu versuchen. Denn ihr Leben ist geprägt von Armut, Hunger und Perspektivlosigkeit. „Candelaria“ nimmt eine andere Gruppe in den Fokus, die aber nicht minder spannend ist: die alten Menschen.

Candelaria - Ein kubanischer Sommer (2017)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Altern auf Kuba

Das Altern fällt dem Menschen wohl überall auf der Welt schwer: Die Glieder sind müde, die Bewegungen immer beschwerlicher, die alltäglichen Gänge langsamer, als man das bisher gewohnt war. In einem Land wie Kuba allerdings kann es einen alten Menschen recht hart treffen, wenn er keine Familie hat, die für ihn sorgt, und das Land unter einem Wirtschaftsembargo zu verhungern droht. „Candelaria“ von Jhonny Hendrix Hinestroza erzählt auf mitfühlende Weise aus dem erschreckenden Alltag eines älteren Paares, der durch eine zufällig gefundene Videokamera eine außergewöhnliche Wendung nimmt.

Die 75-jährige Candelaria (Véronica Lynn) und Victor Hugo (Alden Knight) haben sich auf ihre alten Tage noch einmal zusammengetan: Das Leben zu zweit ist bequem. Sie organisieren sich gut. Sie haben am Abend jemanden, der sie fragt, wie der Tag war, zuhört, was sie erzählen, und sie teilen miteinander die Sorgen und Ängste ihres ärmlichen Daseins, das vor allem von Hunger bestimmt ist. Es vergehen Tage, an denen lediglich Karottenmus auf den Tisch kommt. Und als Candelaria 5 Küken ins Haus bringt, hegt und pflegt sie diese, als wären es ihre Kinder – schließlich werden daraus einmal Hühner und mehrere sättigende Abendessen.

Der Film begleitet die beiden Figuren zunächst durch ihren Alltag: Der Zuschauer ist dabei, wenn sich Candelaria zurechtmacht für ihren Auftritt in einer Bar, in der sie kubanische Lieder singt. Viel Geld verdient sie dabei nicht, die Bar ist selten voll, das Trinkgeld rar, aber man merkt: Das Singen ist ihre Leidenschaft. Und sie liebt es, sich zu schminken und hübsche Kleider anzuziehen, auch im Alter noch. Ihre Haut mag faltig, die Haare mögen grau sein, aber im Herzen ist sie immer noch die adrette Dame von einst, die weiß, wie sie gefällt. 

Candelaria überzeugt in diesen Filmmomenten durch seinen überraschenden Realismus, an manchen Stellen meint man, doch in einem Dokumentarfilm gelandet zu sein, der das Leben auf Kuba in den 1990er Jahren beschreibt. Candelaria schabt mit einem Messer eine Messerspitze rote Farbe ab, verdünnt diese und trägt sie voller Sorgfalt auf ihre Wangen auf. Hier wird nichts verschwendet, kein bisschen Farbe zu viel auftragen. Wer weiß, wie lange der Farbstift noch halten muss.

Candelarias Lebenspartner ist Victor Hugo, und er hat sich nicht umsonst einen Namen aus der Welt der Literatur zugelegt. Er liebt es zu lesen, liebt Bücher und das Dichten. Um Geld zu verdienen, arbeitet er als Vorleser in einer Fabrik – auch diese Szene, die Victor Hugo bei seiner Arbeit zeigt, beschreibt auf authentische Weise das Leben auf der Insel.

Als Candelaria bei ihrer Tätigkeit als Wäscherin eine Videokamera findet, kommt das Leben der beiden noch einmal in Schwung: Das Gerät ist wertvoll und könnte verkauft werden, um für bessere Mahlzeiten zu sorgen. Aber dann erkennen die beiden, wie viel Spaß es macht, die Welt durch die Kamera zu betrachten, Videos zu machen, sich selbst – auch erotisch – in Szene zu setzen. Als sich Victor Hugo das gute Stück wiederum klauen lässt, fehlt ihnen vor allem der Spaß, den sie mit dem Gerät hatten. Und sie fragen sich, was derjenige, der die Kamera nun in Besitz hat, mit ihren Videos macht. Victor Hugo macht sich also auf, die Kamera in Havannas Untiefen bei El carpintero (Philipp Hochmair) zu suchen, der ihm dann jedoch ein verlockendes Angebot macht.

In Candelaria geht es also um Figuren, wie sie bekannt sind aus Filmen aus Kuba: Sie sind Lebenskünstler, lassen sich – trotz all der Armut, des Hungers, der Perspektivlosigkeit im Land – nicht unterkriegen und machen irgendwie weiter. Sie beeindrucken durch ihre Lebenslust, die sie sich auch dann bewahren, wenn die Sorgen sie zu erdrücken drohen. Was aber anders ist in Candelaria als in vielen Filmen, die hierzulande in die Kinos kommen, ist die Wahl der Protagonisten: ein älteres Paar, auf das man automatisch einen ganz anderen Blick hat. In Candelaria kommen Armut und Alter zusammen, und was in den Dialogen zwischen den Zeilen mitschwingt, ist erschreckend. Gleichzeitig rühren einen die Figuren durch ihre Kraft, nicht aufzugeben, ihren Humor und ihre Freude am Leben – egal wie lange dieses noch dauern wird.

Regisseur Jhonny Hendrix Hinestroza ist Kolumbianer und hat für seine Geschichte eine internationale Koproduktion organisiert, die nicht unbedingt gewöhnlich ist: Kolumbien, Deutschland, Norwegen, Argentinien und Kuba sind am Film beteiligt. Vielleicht ist das auch der Grund, warum der Film so vielschichtig ist: Er ist witzig und manchmal kurios, er ist poetisch, er gibt dokumentarische Einblicke in das Leben auf der Insel, spricht Themen an, die uns alle betreffen, und erzählt gleichzeitig eine durch und durch kubanische Geschichte – die darüber hinaus äußerst originell ist, wie es schon Hinestrozas Erstlingsfilm Chocó war. Der lokale Bezug seiner Geschichten ist ihm wichtig, vielleicht wirken sie auch deshalb so authentisch. Mehr von solchen Filmen bitte!

Candelaria - Ein kubanischer Sommer (2017)

Havanna im Jahre 1994: Das Land leidet unter den Folgen des Wirtschaftsembargos, Hunger ist an der Tagesordnung. Doch dann nimmt das Leben des älteren Paares Candelaria und Victor Hugo eines Tages eine überraschende Wendung, als die beiden eine Videokamera finden.

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Meinungen

Laura Segovia · 08.07.2018

Candelaria hätte das Leben von Celia Cruz sein können wenn sie in Kuba geblieben wäre...