Brut

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Mutter, Tochter, Hass

Ein Bett. Eine junge Frau darin. Und ihre Mutter. Nach dem Aufwachen zitiert Marie erstmal ein Trakl-Gedicht. Um von der Mutter umgehend kritisiert zu werden: Man darf das nicht so rezitieren, als ob man es verstanden hätte! Und sie lässt ein kleines Trakl-Referat vom Stapel. Dann gemeinsames Aufstehen, streng ritualisiert: strecken, beugen, atmen. Frühstück: Joghurt für Mama, Tee für beide. „Zehn Jahre versuche ich dir beizubringen, wie man richtig Tee kocht!“ Das Leben ist die Hölle in Constantin Hatz‘ Brut; eine Hölle, in der sich Mama und Tochter häuslich eingerichtet haben.
Constantin Hatz inszeniert diesen Horrorfilm der Gefühle streng stilisiert. Jedes Detail ist konstruiert, jede Bewegung ritualisiert, jeder Dialog manieriert. Und doch stößt der Film genau dadurch auf eine höhere Wahrheit, eine Wahrheit der Beziehung, der Psychologie, die anders nicht zu erreichen ist. Liegt diese Meisterschaft, mittels des Artifiziellen in tieferliegende Realitäten vorzustoßen, daran, dass Hatz Österreicher ist – gibt es Haneke- und Seidl-Gene, die sich fortpflanzen? Sicherlich gibt es äußerliches und seelisches Verhalten, das sich fortpflanzt, das weitergetragen wird, das die Mutter einpflanzt in ihren Nachwuchs.

Hatz‘ vorheriger Film Fuge handelte von den Zwangsstörungen einer jungen Musikstudentin, die alldienstäglich Besuch von der Frau Mama bekommt. Brut wirkt thematisch wie eine Fortsetzung, eine Variation, eine Erweiterung desselben Themas; ohne, dass der eine Film mit dem anderen etwas zu tun hätte.

Wir befinden uns die ganze Filmlänge über in dieser Wohnung. Und was für eine: Ein riesiger Raum, außen voll umfenstert, aber mit zugezogenen Vorhängen, innen ein enormes Quadratmeter-Reich, in dem Wohnzimmer, Küche, Schlafzimmer eine Einheit bilden, die wiederum einen Kubus mit Bad und Kinderzimmer umschließen. Wobei, Kinderzimmer, naja: ein Bett, weiße Wände, Kahlheit, mehr nicht. Unterm Bett Bücher. Denn etwas anderes tut Marie nicht: Sie liest. Oh, und sie bedient die Frau Mama. Essen kochen nach genauen Vorgaben die Dicke des Fleischstückes betreffend. Füße massieren. Kopf massieren. Eincremen. „Ich liebe dich!“, sagt die Mama dabei. „Ich dich auch“, antwortet die Tochter, „sag es richtig!“, fordert die Mama.

Alles muss ausgesprochen werden, aber nichts darf gesagt werden. Emotion wird durch Intellektualität ersetzt, Emotion vergeht, der Verstand bleibt. Stören darf nichts: „Du hast so einen lauten, hölzernen Gang!“, oder: „Blätter die Seiten nicht so laut um!“ Die Mutter dominiert, so war es immer schon, die Tochter kennt es nicht anders. „Findest du mich attraktiv?“, fragt sie des Abends – „Ich verstehe die Sinnhaftigkeit deiner Hypothese nicht“, versetzt die Mutter, und: „Wenn du mich liebst, hältst du jetzt den Mund.“

Es ist unglaublich, extrem, fast schmerzhaft für den Zuschauer, dies mitzuerleben: Die Zerstörungskraft der Mutter, die ihre ohnehin zerschmetterte Tochter noch tritt. Ständig. Irgendwann wird Schopenhauer zitiert, ein weiteres der langen Traktate der Mutter, es geht um den Geschlechtstrieb. Denn Frau Mama bekommt natürlich mit, was die Tochter treibt: Sie hat Männer. Fast ein Schock, diese erste Sexszene: Wo? Wann? Wer? Wie? In der Körperlichkeit findet Marie – nein: Nicht zu sich. Aber zu einer Abgrenzung von der Mutter. Die aus reinem Geist besteht, ein Geist, der stets verneint.

Sex: Der dominiert alsbald Maries Leben – soweit man es Leben nennen kann. Irgendwann hat sie einen ständigen Partner. Immer wieder treffen sie sich, von Akt zu Akt wird es lustvoller. Lust, die vor allem aus Trotz geboren ist, aus ungeahntem Rebellionsgeist. In diesen Momenten kann sie sich abgrenzen. Einmal schaut die Mutter zu, irgendwann treibt es Marie gar im gemeinsamen Bett. Die Machtverhältnisse verändern sich, sie schwanken, wechselnd haben die beiden die Oberhand. „Wenn ich dich quäle, quäle ich mich selbst. Und das tue ich aus reiner Mutterliebe.“

Luise Aschenbrenner, frisch von der Schauspielschule, spielt die 18-Jährige fabelhaft; genauso meisterlich ist Anja Schneider als ihr Gegenpart. Allein, welche Blicke sie sich zuwerfen! Wie sie aus dem gestelzten Spiel und dem gestelzten Sprechen eine Wahrheit herausholen, die wehtut. Wie sie sich gegenseitig demütigen, wie sie sich selbst demütigen, und wie das alles stets Strafe ist für den anderen und Selbstbestätigung für sich selbst; und zugleich Unterwerfung: Einmal zitiert Marie in einem der durchgeistigten Streite das schreckliche Grimm-Märchen „Das eigensinnige Kind“, ein grausames Plädoyer für schwarze Pädagogik – ist das Ironie oder Einsicht?

Streng, sauber, steril – wie die Wohnung, so die Inszenierung. Aber dabei auch radikal, direkt, nervenzerfetzend. Constantin Hatz bohrt ganz tief. Und findet seinen ganz eigenen Weg, familiären Psychofaschismus in einen packenden, aber sicherlich nicht populären Film zu übersetzen.

Brut

Ein Bett. Eine junge Frau darin. Und ihre Mutter. Nach dem Aufwachen zitiert Marie erstmal ein Trakl-Gedicht. Um von der Mutter umgehend kritisiert zu werden: Man darf das nicht so rezitieren, als ob man es verstanden hätte! Und sie lässt ein kleines Trakl-Referat vom Stapel. Dann gemeinsames Aufstehen, streng ritualisiert: strecken, beugen, atmen. Frühstück: Joghurt für Mama, Tee für beide.
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