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Eine Mutter und ihre beiden Töchter verbringen einige Tage in einem Strandhaus. Nadia Benedicto fängt dabei die unterschiedlichen Universen ein, in denen das Trio sich bewegt.

Tage am Meer (2016)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Ein Trio im Strandhaus

Drei Menschen an einem Ort – und drei Mikrokosmen, die mal mehr, mal weniger harmonisch nebeneinander existieren: In ihrem Langfilmdebüt „Tage am Meer“, welches seine internationale Premiere bereits Anfang 2016 auf dem Santa Barbara Film Festival unter dem Titel „Interlude“ feierte, widmet sich die 1986 in der südargentinischen Stadt Comodoro Rivadavia geborene Drehbuchautorin und Regisseurin Nadia Benedicto einer jungen Mutter und deren zwei Töchtern.

Als sich Sofía (Leticia Mazur) von ihrem Mann trennt, begibt sie sich mit ihren beiden Töchtern – der Jugendlichen Irina (Sofía Del Tuffo) und der achtjährigen Patchi (Lucía Frittayón) – kurzerhand in ein Haus am Strand, statt den Mädchen von der Trennung zu erzählen. Irina hat jedoch ein Telefonat ihrer Mutter mitgehört und weiß daher, dass ihr Vater erkannt hat, dass er schwul ist, und dass die Ehe ihrer Eltern nun am Ende ist.

Schon in diesen ersten Minuten wird deutlich, dass Benedicto nicht an einer Dramatisierung der Geschehnisse interessiert ist. Der Stoff böte rein inhaltlich gewiss viele Momente, in denen die Figuren in Tennessee-Williams-Manier die Fassung verlieren könnten, dass die Drinks oder das Geschirr nur so flögen. Aber weder zeigt die Filmemacherin den Ehestreit (auch wir erfahren lediglich durch das Telefonat von der Trennung), noch kommt es zu einer Konfrontation zwischen Mutter und Tochter.

Stattdessen erleben wir, wie das Trio sich jeweils in ein eigenes Universum zurückzieht und die titelgebenden Tage am Meer auf individuelle Art wahrnimmt. Benedicto nutzt durchaus ähnliche Mittel, um die jeweiligen Empfindungen von Sofía, Irina und Patchi zu visualisieren; dennoch werden damit erstaunlicherweise ganz unterschiedliche Wirkungen erzielt. So wird etwa die Zeitlupe in Kombination mit allen drei jungen Frauen eingesetzt, mutet allerdings mal eher lähmend an (wenn sich Sofía durch das Haus bewegt) und dient mal der Übersteigerung (wenn Patchi das Meer voller Begeisterung für sich entdeckt).

Sofías Welt ist zunächst recht freudlos; selbst als Sofía wütend die Tapete von der Wand eines Zimmers reißt, hat dies kaum etwas Dynamisches, Befreiendes. Der Flirt mit dem Maler und Handwerker Luis (Patricio Aramburu) lässt Sofía wieder ein bisschen aufblühen – gleichwohl geht es hier nicht darum, im Rosamunde-Pilcher-Stil (nur) durch einen neuen Mann neues Glück zu finden. Vielmehr erfasst Benedicto die Begegnung und Annäherung zwischen Sofía und Luis als einen ersten Schritt aus der Tristesse, als eine (Wieder-)Entdeckung der eigenen Sinnlichkeit.

Erfreulich unaufgeregt wird die Coming-of-Age-Erfahrung der adoleszenten Irina geschildert: Diese verliebt sich in die circa gleichaltrige Marina (Lucía Aráoz de Cea), was weder zu einer persönlichen Identitätskrise noch zu einer dramatischen Coming-out-Szene im Familienkreis führt, sondern von Benedicto und Kameramann Matias Quinzio schlichtweg als schönes Erlebnis einer Heranwachsenden gezeigt wird. Irinas kleine Schwester Patchi sieht die Tage am Meer derweil noch durch Kinderaugen, spürt überall Magie auf und lässt sich auf ein Abenteuer mit einem beinahe surreal erscheinenden Zwillingsbrüderpaar (Facundo Perna Gutiérrez und Lucas Perna Gutiérrez) ein.

Elemente des Kinder- und Teenagerfilms verbinden sich hier gelungen mit dem Charakterdrama um eine Frau, die ihr Leben neu ordnen muss; schauspielerisch ist das Ganze zudem durchweg überzeugend. Die Tage am Meer mögen letztlich nicht allzu aufregend sein – sie ergeben bei Benedicto jedoch ein wirklich sehenswertes Stück Kino.

Tage am Meer (2016)

Sofia, die sich kürzlich getrennt hat, nimmt ihre Töchter mit in ein kleines Küstenstädtchen. Jede von ihnen lebt in ihrem eigenen Universum und muss sich mit individuellen Ängsten auseinandersetzen.

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