The End (2016)

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Mit Dépardieu allein im Wald

The End von Guillaume Nicloux ist ein andauerndes, existenzielles Aufeinandertreffen von Gegensätzen, ein Film, in dem sich Dinge so stark aneinander reiben, dass man zwischendurch dasselbe mit den eigenen Augen machen möchte. Das betrifft zum einen Körperliches und Allegorisches, zum anderen Natürliches und Spirituelles und schließlich die Zeit selbst, die brutal aus den Fugen ihres größten Sicherheitsnetzes gehoben wird: der Chronologie.

Doch erst einmal ganz chronologisch der Reihe nach: Die atmende Masse im Zentrum des Films ist Gérard Depardieu. Der große französische/russische Darsteller und Charakterkopf ist in den vorigen Jahren ein Körperschauspieler geworden. Das war er zwar schon immer, aber heute können wir fast von einer Gérexploitation sprechen, denn Depardieu, das ist der Schauspieler, der uns nur zu gerne seine pure Präsenz in Form seines nackten, übergewichtigen Körpers präsentiert, so dass die Kamera, sei es jene von Nicloux oder jene von Ferrara — um zwei Beispiele zu nennen -, diesen Körper studieren und in interessante Formen gießen kann. Die animalische Essenz einer unstrukturierten Männlichkeit, immer noch verführerisch in der abstoßenden, maßlosen Verletzlichkeit, die in der Ausstrahlung des Darstellers manchmal ignoriert und manchmal in unfassbare Wärme verkehrt wird. Dieser Körper trägt große Teile des Films, was ein bisschen an den unscheinbareren Robert Redford in All is Lost erinnert.

Dieser Depardieu erwacht eines Morgens in seiner Wohnung. Er hat einen Hund namens Yoshi, sonst ist er allein. Nicloux bleibt mit ihm ein wenig im Haus, man sieht ihn und seinen Hund frühstücken. Irgendwann bricht der schwerfällige Mann auf, um Kaninchen jagen zu gehen. Er parkt seinen Jeep am Waldrand, stellt professionell Schilder auf, trägt eine orangene Sicherheitsweste, packt sich eine Flasche Schweppes ein und quält sich schnaufend in den Wald. All die genannten Motive und Handlungen werden sich im Film wiederholen. Sein Hund springt um ihn herum. Depardieu schnauft lauter, er beginnt mehr mit dem Hund zu sprechen. Schon bald darauf sehen wir den Mann essen. Er pausiert. Was sehr leicht ins Komödiantische kippen könnte und sicherlich auch immer wieder damit spielt, hält das mysteriöse Versprechen schlimmer Dinge, die da Harren. Schon bald verschwindet dann auch Yoshi und der Mann verirrt sich in einem Wald, wobei er immer mehr mit sich und allem hadert, nicht fassen kann, was ihm da gerade passiert.

Ab diesem Zeitpunkt kippt die rein naturalistische Körperlichkeit des Films immer mehr in eine Allegorie, die man nicht genau benennen kann, aber jederzeit spürt. Das Ganze ist schon vergleichbar mit den verunsichernden Grenzwanderungen von Nicloux in seinen Valley of Love oder Die Entführung des Michel Houellebecq. Jedoch interessiert den Filmemacher hier weniger das provokative Ausloten der überflüssigen Distinktionen zwischen Dokumentarfilm und Spielfilm, sondern mehr das Verlieren von Körpern in nihilistisch-absurden Traum- oder gar Todeszuständen. Filme wie Dead Man von Jim Jarmusch oder Tod in Venedig von Luchino Visconti (einmal sind einige Akkorde aus der dazugehörigen 5. Sinfonie von Mahler leicht verfremdet zu vernehmen) kommen einem hierbei in den Sinn. So lauern einige schwarze Skorpione auf dem Waldboden und das Verirren im Unterholz wird mehr und mehr zu einer Metapher. Aber für was? 


(Bild aus The End; Copyright: Viennale 2016)

Immer wieder manipuliert der Filmemacher die Erwartungen der Zuseher. Wenn man sich auf dieses Spiel einlässt, kann man sehr viel Freude mit dem Film haben, wenn man das Ganze aber als etwas leere Geste wahrnimmt, hebt sich die anfängliche Faszination schnell auf. Die Bemerkung der leeren Geste legt Nicloux mit dem viel zu häufigen Einsatz erhebender Musik und diversen Szenen nahe, in denen der Film sich zu leicht über die Verirrung des Protagonisten stellt, um in selbstherrlicher Zufriedenheit kleine Schocks zu induzieren, die letztlich nur auf einen billigen Effekt aus sind. Anders formuliert: Das Mysteriöse im Film verliert sich dann in einer zu klaren Absicht.

In vielen Szenen des Films geht das Spiel von Nicloux aber sehr auf. So trifft er auf einen irgendwie an Michael Hanekes Funny Games erinnernden jungen Mann im Wald, der mit weißen Poloshirt, sauber gemachten Haaren und Red-Bull-Dose vor Depardieu steht und diesem nicht so recht weiterhelfen will. Das Interessante an der Art dieser Treffen und assoziativen Ängste ist, dass sie tatsächlich an Traumzustände erinnern, denn immer passiert etwas dann oder passiert nicht, wenn es einem gerade in den Sinn kommt. Es ist als würde der Verdacht einer schrecklichen Wahrheit diese erst in den Szenen und Figuren anlegen. Etwas später trifft der Mann dann an einem Lagerfeuer auf eine nackte Frau, die sehr wahrscheinlich vergewaltigt worden ist. Auch hier ist es so, dass in dem Moment, in dem man als Zuseher an Vergewaltigung denkt, diese in den Figuren greifbar und realistisch wird. Jene unsichtbare Angst oder Angst vor etwas Unsichtbaren erinnert nicht zuletzt an Bruno Dumonts Twentynine Palms. Doch spitzt sich dort das bedrohliche Unsichtbare gegen einen schrecklichen Realismus und Existentialismus zu, ist es in The End vom Anfang bis zum Ende der gleiche Zustand, der nur durch die Dramaturgie, nicht aber durch das filmische Erleben des Trips zu einer Veränderung führt. Das zeigt sich nicht zuletzt an der beiläufigen Art und Weise, in der Nicloux die fesselnde Atmosphäre in Absurdität auflösen kann. Als wäre alles nur ein Spiel irgendwie.

Eine solche Veränderung in der Wahrnehmung ist also auch gar nicht das Anliegen von Nicloux. Vielmehr geht es ganz am Ende des Films um das, was dann letztlich nicht mehr im Bild ist, und um diese merkwürdige Differenz zwischen dem, was wir sehen und fühlen. Zwischen dem Körper, der sich da vor uns bewegt, und der Figur, die zu diesem Körper gehört. Es geht auch um die Geste selbst. Sei es eine leere Geste oder eine Geste der Leere. So oder so ein Kuriosum und vielleicht der Versuch, ein Seelenbild des Körpers von Depardieu zu zeichnen. 

The End (2016)

Eine Tour de Force für Gerard Dépardieu, der sich allein in einem mysteriösen Wald verirrt und dabei allerhand unheimlich, bizarre und außergewöhnliche Begegnungen hat.

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