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In ihrem neuen Film erzählt Iram Haq eine Geschichte, wie man sie schon häufig gesehen zu haben glaubt. Und doch gelingt es der norwegischen Regisseurin, die Geschichte einer Liebe, die kulturelle Barrieren überwinden muss, auf ganz neue Art und Weise zu transportieren.

Was werden die Leute sagen (2017)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Erwartungen und Auswege

Auf den ersten Blick erscheint die Geschichte von What Will People Say? schon hundertfach erzählt: Ein junges, in Norwegen aufgewachsenen Mädchen wird von ihren Eltern nach Pakistan geschickt, nachdem sie vermeintlich der Familie „Schande“ gebracht hat. Aber so wie in Iram Haqs Film wurde diese Geschichte noch nie erzählt: What Will People Say? lässt die Zuschauer spüren, was es bedeutet, von Erwartungen und Unterdrückung zerrieben zu werden, so dass es am Ende keinen Ausweg gibt, der richtig erscheint.

Schon in den ersten Sequenzen ist zu sehen, dass die 16-jährige Nisha (Maria Mozhdah) ein Doppelleben führt: Nachts rennt sie eine dunkle Straße entlang, damit sie sich rechtzeitig ins Haus schleichen kann, bevor ihr Vater in ihr Zimmer blickt. Dann spielt sie nachmittags mit Freunden Basketball, bricht aber früher auf und geht nach Hause. Daniel (Maria Mozhdah) begleitet sie noch, sie schäkern ein wenig. Doch dann sieht Nisha eine Bekannte der Familie und verabschiedet sich hastig. Denn es gehört sich nicht, mit einem Jungen gesehen zu werden. Zuhause hilft sie der Mutter bei den Vorbereitungen für den Geburtstag des Vaters. Routiniert verheimlicht sie Chats und Nachrichten; sie weiß, wie sie ihren Vater im entscheidenden Moment ablenken kann, sie weiß, wie sie ihm eine Freude machen kann. Er ist stolz auf seine Tochter, ihrer Mutter hingegen erscheint sie oft zu westlich. Doch dann lässt sich Nisha überreden, nachts wieder einmal aus dem Haus zu schleichen. Und dieses Mal nimmt sie Daniel mit zu sich, in ihr Zimmer. Sie sitzen auf ihrem Bett, halten Händchen, es ist ein zärtlich-zaghaftes Anbandeln. Doch dann klingelt Daniels Handy und Nishas Vater erwischt ihn im Zimmer seiner Tochter. Er rastet aus, schlägt ihn, ein Nachbar ruft die Polizei. Damit ist Nishas „Schande“ aufgedeckt, der Ruf der Familie zerstört. Nisha kommt erst in Obhut des Jugendamtes, aber sie glaubt ihrer Mutter, als sie sie anruft und bittet, nach Hause zu kommen. Denn Nisha ist erst 16 Jahre alt, sie weiß, dass sie nichts Schlimmes getan hat, und hofft, ihre Eltern davon überzeugen zu können, so dass alles wieder gut sein wird. Jedoch hat ihr Vater schon entschieden, sie nach Pakistan zu seiner Familie zu bringen. Er entführt sie, denn er muss sie bestrafen, alleine schon – so versichern es ihm seine Freunde und Nachbarn – um andere abzuschrecken, es Nisha gleich zu tun.

In großartigen Bildern untermalt von einem dezent, aber stets akzentuierten Score prallen in What Will People Say? die verschiedensten Erwartungen aufeinander – ihrer Familie, der Tradition, der norwegischen Gesellschaft – und zermürben Nisha langsam. Sie ist der Schnittpunkt, sie wird aufgerieben zwischen der Liebe zu ihren Eltern und einer Angst, die sie fortan kaum mehr verlassen wird. Dabei überzeugt Maria Mozhdah als mutige wie verängstigte Nisha, die eigentlich nur alles richtig machen will und weiß, dass gerade etwas nicht richtig ist. Dieser Konflikt zwischen ihrer Familie und ihren eigenen Lebensvorstellungen lähmt sie, lange glaubt sie, sie könne alles wieder gut machen, wenn sie nur das tut, was ihre Eltern wollen. Denn Nisha ist keine Rebellin, trotz ihres Doppellebens. Sie ist eine sehr gute Schülerin, sie ist fleißig, sie liebt und respektiert ihre Eltern, hat sich eben auch manchmal herausgeschlichen, um Spaß zu haben, zu tanzen, zu trinken, zu flirten. Hierin besteht der Schrecken dieses Films: Nisha hat nichts gemacht, sie ist unschuldig. Aber in einem patriarchalen System reicht es, wenn es so wirkt, als sei sie schuldig, als hätte sie etwas getan. Allein der Verdacht brandmarkt ihre Familie, ihre Eltern, ihren Bruder und ihre kleine Schwester. Also macht sich ihr Vater Mirza (Adil Hussain) daran, die Familie zu schützen und den Schaden einzugrenzen. Denn – und das ist einer der vielen großartigen Aspekte dieses Films – die Folgen bringen auch sein Selbstbild ins Wanken. Er ist westlicher als seine Familie, er hat sich dem Leben in Norwegen angepasst und hat Hoffnungen an das Leben seiner Kinder gestellt. Jedoch gibt er im entscheidenden Moment zunächst seinem ersten Impuls und dann dem Druck nach, den seine Erziehung, seine Familie, seine Tradition, seine Nachbarn ihm auflasten. Damit werden sein Verhalten und seine Entscheidungen nicht entschuldigt, aber man bekommt eine Ahnung, wie es für ihn ist. Schließlich wollte er in Norwegen ein anderes, ein besseres Leben. Er ahnt, dass seine Entscheidung womöglich falsch ist, er verliert die Kontrolle über die Konsequenzen und muss schließlich erkennen, dass auch er die Ziele, die er einst im Leben und für seine Kinder hatte, verraten hat.

What Will People Say? erzählt daher zwar in erster Linie, aber nicht nur von Nisha, sondern auch von ihrer Familie: Von ihrem Bruder, der ihr nicht beisteht, aus Gehorsamkeit gegenüber den Eltern, vielleicht aber auch, weil er nun mehr Aufmerksamkeit bekommt. Von ihrer Mutter und ihrer Tante, die sich dem System untergeordnet haben und deshalb nur noch in ihrer Funktion innerhalb der Familie, aber nicht mehr als Individuum existieren. Von ihrem Cousin, der weitaus schwächer ist als Nisha. Dadurch entstehen vielschichtige Figuren in einem komplexen und klugen Film.

Überwiegend mit einer Handkamera gedreht, ist man sehr nah an den Figuren, vollzieht ihre Bewegungen und Erstarrungen mit, erkennt und erspürt die Veränderungen und Entwicklungen. Deshalb vollzieht man mit Nisha den schmerzhaften Prozess, in dem sie erkennen muss, dass sie keine gute Wahl mehr hat, dass sie in einem Dilemma steckt, das sie nicht mehr loswerden wird für den Rest ihres Lebens. Sie kann weder ihrer Familie noch ihrem Frausein entkommen – und damit den Repressalien, die die Tradition ihr auferlegen will, allein, weil sie eine Frau ist.

Bereits in ihrem Debütfilm I Am Yours erzählte Iram Haq von dem Leben einer Frau, die aus einer pakistanischen Familie entstammt – und What Will People Say? bekommt eine noch größere Eindringlichkeit, wenn man weiß, dass Iram Haq diese Erfahrungen selbst gemacht hat. Auch sie entstammt einer pakistanischen Familie und wurde von ihrem Vater nach Pakistan geschickt. Ganz nebenbei belegt der großartige What Will People Say? daher noch etwas: Es ist wichtig, dass die Stimmen im Film vielschichtig sind. Dass Menschen mit verschiedenen Biographien, Hintergründen, Herkünften, Sexualitäten, Hautfarben, Religionen usw. Filme drehen. Denn dann können Filme eine Unmittelbarkeit entwickeln, sie können Probleme und Dilemmata aufzeigen, sie können noch so bekannt erscheinende Geschichten erzählen — damit man sie nicht vergisst.
 

Was werden die Leute sagen (2017)

Auf den ersten Blick erscheint die Geschichte von „What Will People Say?“ schon hundertfach erzählt: Ein junges, in Norwegen aufgewachsenen Mädchen wird von ihren Eltern nach Pakistan geschickt, nachdem sie vermeintlich der Familie „Schande“ gebracht hat. Aber so wie in Iram Haqs Film wurde diese Geschichte noch nie erzählt:

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