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Wenn sich junge Menschen, die sich isoliert fühlen, eine queere Punk-Szene erträumen, kann dies radikaler Kunst den Weg ebnen – und der Beginn einer Revolution sein.

Queercore: How to Punk a Revolution (2017)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Invent your scene!

Nach seinem dokumentarischen Langfilmdebüt William S. Burroughs: A Man Within (2010) über den titelgebenden Naked-Lunch-Autor sowie seiner fiktionalen Hommage an die queere Berliner Underground-Szene Desire Will Set You Free (2015) widmet sich der 1984 geborene Yony Leyser in seinem neuen Werk Queercore: How to Punk a Revolution einer Bewegung, deren Ursprung in den 1980er Jahren ein wunderbares Beispiel für Kühnheit und Aplomb ist. Alles begann mit einer „Scheinwelt“, wie es in den ersten Minuten des Films heißt – mit einer „Farce, die real wurde“.

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Den beiden aufstrebenden Filmschaffenden Bruce LaBruce und G.B. Jones fehlte es in ihrer kanadischen Heimat Toronto an einer queeren Punk-Szene. Trotz seiner sexuell vielfältigen Wurzeln war der Punk zu jener Zeit männlich-heterosexuell geprägt und von Homophobie durchzogen; der gay scene haftete hingegen etwas Konventionell-Bourgeoises an. Das befreundete Duo fühlte sich daher weder der einen noch der anderen subkulturellen Gemeinschaft zugehörig – und beschloss kurzerhand, so zu tun, als gäbe es in ihrer Stadt bereits eine voll entwickelte alternative Szene für queere Punk-Kids und als wäre der Kampf gegen die homonormative Spießerwelt auf der einen Seite und gegen die brutalen Macho-Punks auf der anderen Seite schon in vollem Gang. In einem maroden, besetzten Haus bastelten sie das Fanzine J.D.s mit kritisch-provokativen Texten, erotischen Zeichnungen sowie Fotografien und drehten experimentelle Filme. In anderen Städten – etwa in Los Angeles oder in San Francisco – trug sich Ähnliches zu; alsbald wurde aus den leidenschaftlichen Projekten Einzelner, die sich als ausgegrenzt empfanden, eine große Bewegung, welche zunächst Homocore, später Queercore genannt wurde.

Zum einen ist Queercore: How to Punk a Revolution als Zeitdokument überaus faszinierend – etwa in Bezug auf das Phänomen der Fanzines: Die rundum selbstgemachten und -publizierten Magazine sind die analogen Vorgänger von Blogs und Beiträgen in sozialen Netzwerken, die auf Konzerten oder in ausgewählten Buchläden erworben werden konnten oder per Mailorder verschickt wurden. Leyser – der selbst einst ein Fanzine mit dem Titel The Yonilizer veröffentlichte – fängt die Gestaltung dieser kreativen und subversiven Projekte mit spürbarer Begeisterung, teilweise noch unterstützt durch Animationen ein. Ferner trägt er Archivmaterial, kurze Clips aus Experimentalfilmen sowie Ausschnitte aus Konzerten zusammen und lässt diverse Schlüsselfiguren der Bewegung zu Wort kommen – darunter Genesis P-Orridge, Kim Gordon (Sonic Youth), Jody Bleyle (Team Dresch) und Kathleen Hanna (Bikini Kill). Natürlich darf auch der zuverlässig unterhaltsam-charmante Regisseur John Waters bei der Betrachtung eines queeren Phänomens nicht fehlen. Interessant ist überdies, wie zum Beispiel Beth Ditto (Gossip) oder die Electroclash-Interpretin Peaches, die später in den Mainstream vordrangen, erzählen, wie die Bewegung sie künstlerisch beeinflusst hat.

Zum anderen ist Leysers Werk aber in einem viel allgemeineren Sinne eine sehr schöne Arbeit über queere Identitätssuche – über das Suchen und Finden einer Gemeinschaft, eines Raumes der Entfaltung und eines Weges aus der Stigmatisierung: Viele von ihnen hätten vermutlich weiter Drogen genommen und wären gestorben, hätte es nicht eine solche Community gegeben, meint die Musikerin Lynn Breedlove (Tribe 8). Nie ging es der Queercore-Bewegung darum, von der hetero- oder homonormativen Gesellschaft akzeptiert oder gar gefeiert zu werden; wichtig war es jedoch, innerhalb der Bewegung ein Gefühl von Gemeinschaft zu entdecken. Mit den Worten von Larry Livermore – Mitgründer des Labels Lookout! Records – findet Leyser zudem das perfekte Fazit seiner filmischen Erkundung: Man solle sich auf dem bisherigen Fortschritt nicht ausruhen, sondern müsse weiterhin Grenzen überschreiten. Kein Zweifel: Szenen und Szenarien, in denen Exklusion keinen Platz hat, müssen immer wieder erträumt werden – denn nur so können sie sich verwirklichen.
 

Queercore: How to Punk a Revolution (2017)

Nach seinem dokumentarischen Langfilmdebüt „William S. Burroughs: A Man Within“ (2010) über den titelgebenden „Naked-Lunch“-Autor sowie seiner fiktionalen Hommage an die queere Berliner Underground-Szene „Desire Will Set You Free“ (2015) widmet sich der 1984 geborene Yony Leyser in seinem neuen Werk „Queercore: How to Punk a Revolution“ einer Bewegung, deren Ursprung in den 1980er Jahren ein wunderbares Beispiel für Kühnheit und Aplomb ist.

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