Zeit für Stille (2015)

Eine Filmkritik von Björn Helbig

Worüber man nicht reden kann...

Am Anfang waren ein Baum, ein paar Gräser im – nicht zu lauten – Wind, die Reflexionen eines Zweiges auf dem Wasser, eine Tankstelle bei Nacht, Zikaden, die (leise) zirpen. Menschen, die schweigen, ein Gong – bevor sich die Welt wieder in Bewegung setzt und die Menschen wieder ihre Arbeit aufnehmen. Autos fahren über die Autobahn, ein Schiffshorn erklingt und der Lärm übernimmt die Oberhand. Laut und leise – durch diesen Kontrast führt uns Patrick Shen in seine Dokumentation Zeit für Stille ein. Was gibt es noch zum Thema Stille zu sagen?

Sie sollte dem Menschen, bei all dem Lärm, der ihn umgibt, wichtiger geworden sein. Soweit ist die Prämisse des Films einleuchtend und macht neugierig auf das, was kommt. Im ersten O-Ton hören wir eine Frau, die berichtet, dass sie in einem schönen ruhigen Haus groß geworden ist, woran sich ein Mini-Exkurs in die Welt der Wissenschaft anschließt. Der Zuschauer hört zwei Sätze über die gotischen Wurzeln des Begriffs und dass Stille als das Nichtvorhandensein von Geräuschen in der Fachliteratur eigentlich gar nicht existiert. Aha.

Eine stille Straße, hübsche Naturbilder, Wölkchen. Dann erfahren wir, dass „fast alle frühen Theologen sagen, dass die größte Verehrung Gottes in der Stille liegt“, Mönchsgesang, noch ein paar Sätze einer Theologin, Bilder von schweigenden Mönchen. Und weiter geht’s in Shens Reise durch die Welt der Geräusche. Nun setzt, etwas irritierend, die Filmmusik ein – die im Folgenden zwischen elegischen Klavierstücken und mystischen Synthiegedudel wechselt – und der Autor des Werks Kunst des Innehaltens kommt kurz zu Wort. Er sagt dem Zuschauer, dass er, wenn er die Kakophonie der Welt verlässt, dem Wesentlichen näher kommt. Nun kommt die Autorin des Buches Still an die Reihe und hat mitzuteilen, dass es im wörtlichen und übertragenen Sinne ganz gut ist, sich auf den Weg zu machen. Aha? Ja, Mystiker und Heilsgestalten vergangener Jahrhunderte können nicht irren.

Es sind erst gute 10 Minuten vergangen, doch man ahnt es bereits: Die Doku Zeit der Stille hat nichts wirklich Zusammenhängendes zu ihrem Thema zu sagen. 15 Minuten vergehen, 30 Minuten, 1 Stunde … Es geht nach dem gleichen Prinzip weiter: Ein paar hübsche Naturbilder, zufällig wirkende Interviewsplitter, die bestenfalls mal Lust machen, sich intensiver mit dem Thema zu befassen. Schlimmstenfalls ist das bloßer Quatsch („Stille ist unser natürliches Milieu“). Wer die Hoffnung hat, dass diesem Zugang ein künstlerisches Konzept zu Grunde liegt, das sich vielleicht im späteren Verlauf des Films noch offenbaren und sich zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügen wird, wird enttäuscht. Sprunghaft, oberflächlich und ohne Substanz reiht Shen Ideenfragmente aneinander, ohne auch nur ein einziges davon tiefer zu betrachten. Eine interessante Sicht auf das Thema bleibt genauso aus wie eine Erklärung, warum er sich überhaupt für Stille interessiert.

„Wovon man nicht sprechen kann“, hat der Philosoph Ludwig Wittgenstein mal gesagt, „darüber muss man schweigen“. Über Stille muss man natürlich nicht schweigen, aber wenn man über sie spricht, ist es eben nicht still. An diesem Widerspruch krankt der ganze Film, welcher der Stille weder formal noch intellektuell gewachsen ist. Das ist schade. Denn wir leben in einer Zeit, in der uns ein wenig Innehalten sicher guttäte. Nicht nur deswegen wäre Stille ein reizvolles Forschungsthema und lohnenswertes Kunstobjekt, doch Shen wird beiden Zugängen nicht gerecht und bietet darüber hinaus auch sonst nichts, was eine Empfehlung rechtfertigen würde. Soviel Substanz wie das „Klavierstück“ 4’33 des Komponisten John Cage, das nur aus Stille besteht und das, wie so vieles anderes in der Doku, ebenfalls nur kurz angerissen und wieder fallen gelassen wird, erreicht Zeit für Stille zu keiner Zeit. Wen das Thema wirklich interessiert, der sollte sich stattdessen lieber ein wenig Zeit nehmen und Stille – ganz ohne Film – ganz für sich allein genießen.
 

Zeit für Stille (2015)

Am Anfang waren ein Baum, ein paar Gräser im – nicht zu lauten – Wind, die Reflexionen eines Zweiges auf dem Wasser, eine Tankstelle bei Nacht, Zikaden, die (leise) zirpen. Menschen, die schweigen, ein Gong – bevor sich die Welt wieder in Bewegung setzt und die Menschen wieder ihre Arbeit aufnehmen. Autos fahren über die Autobahn, ein Schiffshorn erklingt und der Lärm übernimmt die Oberhand. Laut und leise – durch diesen Kontrast führt uns Patrick Shen in seine Dokumentation „Zeit für Stille“ ein. Was gibt es noch zum Thema Stille zu sagen?

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