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Mit „Lebanon“ räumte Debütant Samuel Maoz bei den Filmfestspielen von Venedig 2009 gleich einen Goldenen Löwen ab. Im Jahr 2017 gab es für „Foxtrot“ den Großen Preis der Jury. Maoz bleibt seinem Thema treu: dem Krieg und den Dramen, die er mit sich bringt.

Foxtrot (2017)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Zwischen Tanz und Taumel

Nach seinem Spielfilmdebüt Lebanon (2009) legt Samuel Maoz mit „Foxtrot“ eine Anti-Kriegs-Parabel nach, die in seinem Heimatland Israel mit Preisen bedacht, aber auch von Kontroversen begleitet wurde. Die Jury der 74. Internationalen Filmfestspiele von Venedig bedachte das neue Werk des Regisseurs und Drehbuchautors 2017 mit ihrem Großen Preis. Das ganze Ausmaß seines tragisch-absurden Kammerspiels enthält bereits die Eröffnung.

Ein Klingeln zerreißt die Stille. Schrill, etwas schräg. Dafna Feldmann (Sarah Adler) öffnet die Tür, sackt zusammen und gibt den Blick auf ein Gemälde frei. Düstere Rechtecke formen einen Schlund. Die Soldaten auf der anderen Seite der Schwelle fangen die zweifache Mutter auf, schleppen sie ins Schlafzimmer, beruhigen sie mit einer Spritze. Der Weg dorthin ist Tanz und Taumel. Als die Militärs Dafnas Ehemann Michael (Lior Ashkenazi) die traurige Botschaft verkünden, wissen wir es längst: „Herr Feldmann, es tut uns sehr leid, Jonathan Feldmann ist heute Nacht im Einsatz gefallen.“ Und wir wissen noch viel mehr.

Samuel Maoz reduziert und abstrahiert. Er erzählt fast nichts und alles. Die Schrift auf dem Klingelschild verrät uns das Land, ein Blick aus dem Fenster die Stadt: Tel Aviv, Israel. Vielleicht liegt die Wohnung am vornehmen Rothschild Boulevard. Einrichtung, Eleganz und Michaels Beruf – er ist Architekt – lassen es zumindest vermuten. Alles an und in diesem Appartement ist erstarrt; eine durchgestylte, kühle Oberfläche, unter der schon lange nichts mehr lebt. Um überhaupt etwas zu spüren, verbrüht sich Michael auf der Toilette die Hand. Der Weg dorthin ist kein Tanz, er ist ein Taumel. Die Kamera schwankt mit ihrem Protagonisten. Und das Muster auf dem Fußboden, übereinander getürmte Würfel, aus der Vogelperspektive gefilmt, lassen uns schwindeln.

Samuel Maoz hat eine politische Parabel gedreht. Jedes Bild, jedes Wort ist symbolisch aufgeladen. Die Gesichter der Soldaten etwa, die auf Michael einreden, ihn beschwichtigen und ihm Ratschläge erteilen, enthält er uns die meiste Zeit vor. Ihre Hände aber ziehen und zerren unentwegt. Nur wenige entkommen ihrem (Zu-)Griff. Alle anderen leisten wie Jonathan ihren Wehrdienst. Und werden automatisch zu Engeln, wenn sie im Einsatz fallen, wie der viel zu junge Armeerabbiner Michael im Gespräch versichert. Michaels Wut, seine nachvollziehbaren Einwände und Bedenken deuten die Militärs als Psychose. Wer kritisiert, wird pathologisiert. Das ganze Land ein Irrenhaus.

Samuel Maoz erzählt seinen Film in 3 Akten. Auf das Kammerspiel in der Stadt folgt eins im Nirgendwo. Jonathan (Yonaton Shiray) ist gar nicht tot. Eine Verwechslung, ein bedauerlicher „Fehler im System“, wie es lapidar heißt. Also nimmt uns der Filmemacher mit an eine gottverlassene Grenze, wo der verloren geglaubte Sohn mit 3 Schicksalsgenossen seinen Dienst verrichtet. Und auch hier: erst ein Tanz, dann ein Taumel, weil den Wehrdienstleistenden eine fatale Verwechslung unterläuft. Aus einem Flirt wird tödlicher Ernst. So nah liegen Freude und Leid beieinander. Längst ist uns klar, dass Maoz nicht den Fehler im System sucht, sondern das System für ihn der Fehler ist.

Auch der 2. Akt ist absurdes Theater. Mitten im Dreck rieselt beständig der Regen. Trennte keine Schranke die Fahrbahn, hielten wir das seltsame Ensemble aus ausgeleierter Couch, Sonnenschirm und Kleinbus wohl eher für am Straßenrand abgestellten Müll als für einen Checkpoint. Außer Jonathan trägt in dieser Einöde keiner einen Namen. Und außer Kamelen scheint die Grenze kaum einer zu passieren. Während sich die Soldaten langweilen, versinkt ihr Wohncontainer immer tiefer im Morast. Eine Nation in Schräglage.

Manchmal ist diese Symbolik zu viel. Aber vielleicht geht das gar nicht anders in einem Land, in dem jede Geste auf die Goldwaage gelegt wird, und in einem Leben, dessen Absurditäten man nur mit Absurdität begegnen kann. Die Söhne wiederholen die Fehler ihrer Väter. Das macht der letzte Akt klar, der mit einer unvorhergesehenen Wende in die Feldmannsche Wohnung zurückkehrt. Nachts in der Küche erklärt Michael Dafna die Schrittfolge des Foxtrotts, eines Tanzes, der die Tanzenden stets zu ihrem Ausgangspunkt zurückführt. Samuel Maoz und seine Figuren nehmen es mit dem Humor der Verzweifelten, oder wie es der Rabbiner formuliert: „Ein kleines Lächeln kann einem immer helfen weiterzumachen.“

Foxtrot (2017)

Der israelische Filmemacher Samuel Maoz beschäftigt sich weiter mit dem Militär und erzählt die Geschichte eines trauernden Vaters rund um die absurden Geschehnisse, die zum Tod seines Sohns, einem Soldaten führten. Der Film wird in Venedig und Toronto 2017 gezeigt werden und außerdem in Sundance zu sehen sein.

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