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In Beirut geraten ein rechtskonservativer Christ und ein Palästinenser in einen Streit, der eskaliert und im Land Tumulte auslöst. Das parabelhafte Drama von Ziad Doueiri über die Folgen einer verpassten Vergangenheitsbewältigung war 2018 für den Oscar als bester fremdsprachiger Film nominiert.

Der Affront (2017)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Ein Streit von Menschen, in denen es brodelt

Ein Mann bekommt Wasser auf den Kopf, als er unter einem Balkon steht. Weil er der Vorarbeiter einer gerade im Viertel tätigen Baufirma ist, lässt er das illegal montierte Abflussrohr durch eine Verbindung mit der Regenrinne ersetzen. Der Mieter aber beugt sich über seinen Balkon und schlägt die Konstruktion wütend kaputt, worauf der Vorarbeiter ihn einen „Scheißkerl“ nennt. Der Streit geht weiter, landet vor Gericht, sorgt für Unruhen auf den Straßen. Denn die Streithähne gehören zwei ethnischen Gruppen im Libanon an, die sich auch über 25 Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs voller Ressentiments gegenüberstehen.

Das Drama des libanesischen Regisseurs Ziad Doueiri (The Attack) schildert mit geradezu lehrbuchhafter Anschaulichkeit und Konsequenz, wie sich ein scheinbar alltäglicher Streitfall Schritt für Schritt hochschaukelt und die Kontrahenten jegliches Maß aus den Augen verlieren. Was sagt es über eine Gesellschaft aus, in der sich zwei Menschen bei einer zufälligen Begegnung nicht als Individuen, sondern als Repräsentanten feindlicher Lager wahrnehmen? Doueiri kritisiert mit dieser Parabel die fehlende gesellschaftliche Aufarbeitung des Bürgerkriegs im Libanon. Aber der Streit zwischen Toni (Adel Karam), einem Mitglied der rechtskonservativen christlichen Partei Forces Libanaises, und dem palästinensischen Flüchtling Yasser (Kamel El Basha) erlaubt auch mühelos, Parallelen zum ideologischen Graben in der deutschen Gesellschaft entlang des Themas Migration zu ziehen. 

Es ist ein gelungener Kunstgriff des Regisseurs, der das Drehbuch mit seiner Frau Joëlle Touma schrieb, anhand der sich grotesk versteifenden Auseinandersetzung der beiden Streithähne seinen Landsleuten zu demonstrieren, dass auch ihr Blick wahrscheinlich nicht frei von Vorurteilen ist. Nicht nur den beiden Gerichtsinstanzen wird klar, dass es hier nicht um ein Abflussrohr geht, sondern um tiefergehende, von beiden aus ihrem Leben mitgebrachte Konflikte. Der Berufungsprozess wird zu einer Art kollektiver Erinnerungsarbeit, die selbst nicht ungefährlich ist, weil sie in so vielen Zuhörern massive Emotionen freisetzt. 

Es nützt weder dem Hitzkopf Toni noch dem stolzen Yasser, dass ihre Angehörigen ihnen anfangs mäßigend ins Gewissen reden. Beide schleppen ihre Traumata allein mit sich herum. Zuerst verteidigen sie sich vor Gericht noch selbst, in der Berufungsverhandlung springen Anwälte auf den Zug, der dadurch tüchtig Fahrt aufnimmt. Toni wird vom renommierten Anwalt Wajdi Wehbe (Camille Salameh) vertreten, einem rechtsgerichteten Scharfmacher, der das Weltbild der Forces Libanaises vertritt. Wehbes Tochter Nadine (Diamand Abou Abboud) hingegen nimmt sich kostenlos des Palästinensers an, aus humanitären Gründen und weil sie auf die zahlreichen Diskriminierungen der Bevölkerungsgruppe hinweisen will. 

Das Gerichtsdrama mutet in seinem klassischen Aufbau direkt altmodisch an. Es kommen immer mehr Details aus dem Leben der beiden Kontrahenten ans Licht, der Saal geht mit, konservative Christen und Palästinenser werfen sich wütende Beschimpfungen an den Kopf. Toni und Yasser aber werden nicht nur mit dem Schmerz ihrer Vergangenheit konfrontiert – dem Massaker, das 1976 in einem christlichen Dorf verübt wurde, oder dem als Schwarzer September bezeichneten jordanischen Bürgerkrieg Anfang der 1970er Jahre, bei dem die Palästinensische Befreiungsorganisation PLO aus dem Land vertrieben wurde. Sie erkennen sich auch im Leid des Gegners wieder.

Der auch als Comedian bekannte libanesische Schauspieler Adel Karam verleiht Toni einen introvertierten Groll, in den sich zunehmend Verunsicherung mischt. Der palästinensische Schauspieler Kamel El Basha stellt Yasser als Mann dar, der im Leben viel Unrecht schlucken musste und hart an sich arbeitet, nicht die Beherrschung zu verlieren, wie es früher schon mal geschah. Für seine ebenfalls introvertierte, sehr würdevolle Darstellung bekam er auf den Filmfestspielen von Venedig 2017 den Preis als bester männlicher Schauspieler. 

Der Film nimmt sich Zeit, die Etappen des Geschehens sorgfältig aufzurollen. Das ist gut, denn oft sind es gerade die beinahe beiläufigen Bemerkungen, etwa von Nebenfiguren, die einen Wiedererkennungswert auch für ein deutsches Publikum besitzen. Ein früherer Arbeitgeber Yassers sagt beispielsweise, er habe sich Anfeindungen zugezogen, als er ihn einstellte, weil es hieß, wer Palästinensern Arbeit gebe, wolle, dass sie sich massenhaft im Land niederließen. Toni empört sich gerne lautstark über die Rechte und die Unterstützung, die der Staat Palästinensern gewährt. All das kommt einem doch bekannt vor, beklagen sich doch auch deutsche Bürger darüber, dass ihnen die Migranten etwas wegnähmen, was ihrer Meinung nach ihnen selbst zustehen müsste. So steckt in diesem Film auch eine Botschaft an die deutsche Gesellschaft: Das neidvolle Hickhack hat tiefere Ursachen, und um die zu finden, müssen die Menschen öffentlich ins Gespräch kommen. Abgesehen davon ist der Film aber auch einfach spannend, trotz einiger selbstgefälliger Rechtsanwaltspalaver. 

Der Affront (2017)

Der libanesische Christ Toni gießt Blumen auf seinem Balkon. Dabei dringt Wasser durch die Töpfe und tropft auf den Kopf des unten vorbeigehenden Palästinensers Yasser. Daraus folgt eine ernste Auseinandersetzung, die bis vor Gericht geht.

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