Log Line

Eigentlich wollte sie doch nur in Spanien bleiben! Aber nun hat die 68-jährige Nojet das Stockholmer Mietshaus ihres Vaters geerbt und muss nicht nur nach Schweden reisen, sondern bekommt es auch mit mörderisch habgierigen Verwandten und allerhand illegalen Dingen zu tun. 

The Real Estate (2018)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Ein Mietshaus in Stockholm

Eine Einstellung reicht, um zu erkennen, dass Nojet einfach nur wegwill – weg aus dem Krematorium, in dem ihr Vater gerade verbrannt wird. Weg von dem Stiefbruder und Neffen, die weinend vor dem Brennofen stehen. Weg aus Schweden. Aber sie hat ein Problem, wie eine Rede des Familienanwalts Lex während eines Bridgespiels verdeutlich: Nojet hat das Mietshaus ihres Vaters geerbt und muss nun entscheiden, was damit passieren soll.

Mit dieser Entscheidung hängt allerhand zusammen: Das Vermächtnis ihres Vaters, der zumindest nach Aussage seines Anwalts Lex den sozial Schwachen ein Obdach geben wollte. Die Arbeit des Stiefbruders und Neffen, die offiziell als Verwalter fungieren. Doch das ist nur der schöne Schein: Nachdem Nojet sich das Haus angesehen hat, erkennt sie, dass Stiefbruder und Neffe es vor allem genutzt haben, um mit illegalen Mietverträgen Geld zu verdienen und die Arbeit als Verwalter haben sie auch ziemlich schleifen lassen. 

Nojet hat das von Anfang an befürchtet, sie ist alles andere als naiv oder leichtgläubig, daher nimmt sie auch den Rat von Lex an, so schnell wie möglich einen Käufer für das Haus zu finden, sofern sie es loswerden will. Denn wenn die Mieter erst einmal eine Genossenschaft bilden, wird es kaum mehr möglich sein, einen guten Preis für das Haus zu bekommen, falls sie es überhaupt los wird. 

In der Handlung des Films geht es also vor allem um Geld und Profit, der Film an sich interessiert sich aber vielmehr für seine Charaktere. Es sind harte, unsympathische Figuren, die das Leben und die Enttäuschungen regelrecht ausgemergelt haben. Der Stiefbruder kann kaum verständlich sprechen, der Neffe trinkt und ist schmierig, der Anwalt erinnert an den Nachbarn aus Kommissar Beck mit seinen seltsamen Ratschlägen und seinem Gesprächsführungsstil. 

Doch vor allem ist da Nojet: Bisher hat sie vom Geld des Vaters gelebt, eine Liebe brachte sie nach Spanien, dann ist sie dort hängen geblieben. Reichlich Seitenhiebe gibt es hier auf die schwedische Gesellschaft, in der es doch so wichtig ist, nicht den Eindruck zu erwecken, man halte sich für etwas Besseres – und genau das wurde Nojet vorgeworfen. Deshalb will sie mit dem Land abschließen, aber da ist das Haus und da ist ein diffuses Gefühl von Heimat. Es ist großartig zu sehen, wie Léonore Ekstrand und ihr Körper in diesem Film eingefangen werden: Sie ist sehr schlank, wenn sie im Fitnessraum trainiert, ist ihre Stärke zu erkennen, ihr Körper ist fast sehnig, ledrig. Auch beim Sex ist sie zu sehen – und wann passiert es schon einmal, eine 68-jährige weibliche Hauptfigur auf der Leinwand, die oral befriedigt wird? 

Gespielt wird Nojet von Léonore Ekstrand, die zum dritten Mal mit Axel Petersén zusammenarbeitet. Alle Nebenrollen werden von hingegen von Laien verkörpert, die hier ihr Debüt geben. Dazu gehört auch Christer Levin, der den Familienanwalt Lex darstellt und nach Aussage der Regisseure ein legendärer Schwarzmarkthändler ist.

Immer wieder gibt es diese Momente in The Real Estate (Toppen Av Ingenting) von Axel Petersén und Måns Månsson, in denen auf der Leinwand etwas geschieht, was man so noch nie oder nur selten sieht: die Inszenierung der Körperlichkeit, die vielen Großaufnahmen, die immer auch auf ein Leben dahinter verweisen (Kamera: Måns Månsson). Dazu eine Tonspur, auf der Musik oftmals die gesprochenen Zeilen überlagert, kommentiert und in einen Kontext rückt. Das ist immer wieder widerständig und bietet Reibungsfläche. Doch leider ist es auch oft zu wenig in der Geschichte verankert.

Die Regisseure schaffen nur am Anfang einen Kontext für diejenigen Zuschauer, die sich mit dem Wohnungsmarkt und Mietbedingungen in Schweden nicht auskennen. Hier wird versucht, durch ein Gespräch zwischen Nojet und einem Friseur die Ausgangsbedingungen zu klären, doch geht es dabei lediglich um die Wohnungspreise, die in Stockholm ebenfalls stark gestiegen sind. Das Problem mit dem Schwarzmarkt für Mietverträge bleibt hier außen vor, dabei verweist es auf ein absurdes Dilemma: Das gesamte Wohnungssystem in Schweden wurde geschaffen, um Menschen bezahlbaren Wohnraum zu verschaffen – und nun kann sich kaum mehr jemand leisten, in der Stadt zu wohnen. 

Dadurch fehlt dem Film eine Grundierung, zumal sich die Szenen nicht immer miteinander verbinden. In seinen schwachen Momenten ist The Real Estate daher ein wenig ziellos, in seinen starken Momenten bietet er aber hinreißend widerspenstige Figuren, eindrucksvolle Bilder und einen denkwürdigen Ton.

The Real Estate (2018)

Nachdem sie ein Leben lang von der Hand in den Mund leben musste, erbt die 68 Jahre alte Nojet ein Mehrparteienwohnhaus in der Innenstadt von Stockholm. Doch was ursprünglich wie ein Hauptgewinn aussah, erweist sich mit der Zeit als Fluch …

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen