We Don't Belong Here

Eine Filmkritik von Falk Straub

Peer Pedersen liefert mit Wir gehören nicht hierher sein Regiedebüt ab. Das traumwandlerische Familiendrama, das Anton Yelchin an der Seite von Catherine Keener in seiner letzten Rolle zeigt, hat es weder in den USA noch bei uns in die Kinos geschafft.
Wenn in Lily Green (Kaitlyn Dever) Panik aufsteigt, listet sie Wörter auf, die sie mit ihrer Umgebung verbindet. Dadurch erdet sie sich, anstatt in ihrem eigenen Kopf zu verschwinden. Peer Pedersens Regiedebüt ist eine Reise in diesen Kopf, in den durcheinandergewirbelten Verstand einer Jugendlichen, die an einer bipolaren Störung leidet, und in die Abgründe ihrer dysfunktionalen Familie. Die von Lily aus dem Off aufgezählten Begriffe „Wasser“, „Leere“, „Reichtum“, „Geheimnis“, „Licht“, „oben“, „rückwärts“ und „Bruder“ hat Pedersen nicht ohne Grunde gleich an den Anfang seines Films gestellt, kreist sein seltsam somnambules Familiendrama doch um eben diese.

Lily wohnt gemeinsam mit ihrer älteren Schwester Madeline (Annie Starke), die vorübergehend wieder zu Hause eingezogen ist, und ihrer Mutter Nancy (Catherine Keener) in einem mondänen Anwesen im Grünen. All der Prunk und die Akkuratesse können die Gefühlsarmut und die emotionale Unordnung, die in den perfekt dekorierten Zimmern herrschen, nicht verbergen. Mit Lilys anderer Schwester Elisa (Riley Keough), die als Sängerin Karriere macht, hat Nancy vor langer Zeit gebrochen; die Liebe zu ihrer Bekannten Joanne (Maya Rudolph) gesteht sie sich nicht ein. Als der Kontakt zum vierten Geschwister Max (Anton Yelchin) abbricht, kommt Nancy immer schwerer aus dem Bett. Wie in so vielen Filmen steht auch bei Pedersen das Haus für die Familie, die es bewohnt: an der Oberfläche glänzend und makellos, darunter zerrüttet. Dieser Zusammenbruch hat in Elisas und Max‘ Kindheit seinen Ursprung und greift von Beginn an auch auf die formale Ebene über, bis sich der Film am Ende selbst verschluckt.

Während andere Regisseure all die Schnippchen, die einem der eigene Verstand schlagen kann, deutlich voneinander trennen, zwischen dem unterscheiden, was die Protagonisten zu sehen glauben, und dem, was tatsächlich zu sehen ist, ist bei Pedersen nie ganz klar, welchen Bildern wir trauen können. Lily ist Pedersens Erzählerin und aufgrund ihrer Erkrankung eine unzuverlässige. Dafür bedarf es keiner aufwendigen Tricks oder Traumbilder aus dem Rechner. Die Brüche und Irritationen in Lilys Wahrnehmung verselbstständigen sich im Schnitt und in der Musik, die in ihren ersten Tönen nicht selten an David Lynchs Stammkomponisten Angelo Badalamenti erinnert. Wiederholt wechselt das Drama in seinen ersten Minuten abrupt Orte und Erzählebenen; nie so hart, dass es uns aus dem Geschehen wirft, doch stark genug, um uns zu desorientieren, bis die Zeit nach einem traumatischen Ereignis schließlich völlig aus den Fugen gerät und die Handlung von vorn beginnt.

Peer Pedersen hat sein Debüt ziemlich vollgepackt – nicht nur mit komplexen Figuren, sondern auch mit schwierigen Themen wie Krankheit, Missbrauch und Suizid. Die jeweiligen Themen bleiben dabei wie vieles im Film nur in der Schwebe, die einzelnen Figuren kommen zu kurz. Eine davon ist Anton Yelchins Max, der an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben soll. Schließlich handelt es sich um die letzte Rolle des im vergangenen Juni mit nur 27 Jahren viel zu früh verstorbenen Schauspielers. Dieser Max, den Yelchin ein letztes Mal mit seinem feinen Gespür für die Zwischentöne gibt, ist bei Weitem nicht seine beste Rolle. Sie fügt sich aber perfekt ins Mosaik all der Außenseiter und Randständigen, der Freigeister, geistig Befähigten und Geisteskranken, für die Yelchin vom telekinetisch begabten Jungen Bobby Garfield in Hearts in Atlantis (2001) über die schrullig-(un)coolen Titelhelden in Charlie Bartlett (2007) und Odd Thomas (2013) bis zu Pavel Chekov, seinem schüchtern-charmanten Navigator des Raumschiffs USS-Enterprise, in der Neuauflage der Star Trek-Filme (2009-2016) schon früh in seiner kurzen Karriere eine Vorliebe hegte.

Pedersen hat seinem Drama ein Zitat der Psychologin Kay Redfield Jamison, die selbst eine bipolare Störung hat, vorangestellt. Darin heißt es, dass die Menschen zeitlebens Dämme in ihrem Inneren errichteten, um die Betrübnisse und die oft überwältigenden Kräfte in ihrem Bewusstsein fernzuhalten. Wir gehören nicht hierher ist Pedersens Versuch, diese Dämme aufzuzeigen und einzureißen. Am Ende – oder ist es der Anfang? – scheint es Familie Green gelungen.

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