Die Weibchen

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Uschi in the Sky with Diamonds

In Wirklichkeit ist Zbyněk Brynych „Der Hexer“ des deutschen Nachkriegskinos, auch wenn Alfred Vohrer diese vielleicht berühmteste Edgar-Wallace-Krachtüte einst verfilmt hatte. Denn der gebürtige Tscheche war ein Mann mit reichlich Rhythmus im Blut, mit einer fein austarierten Ader für Musik und Timing, kurzum für diesen immens wichtigen Regie-Mix aus Laufen-lassen-können und Stehen-bleiben-müssen. Kein Wunder, da der gebürtige Karlsbader (1927 – 1995) schließlich zuerst zweiter Trompeter in einem Prager Operettentheater war, ehe der damals 17-Jährige im Anschluss der UFA-Größe Willi Forst (Wiener Mädeln / Operette) am Set ein erstes Mal über die Regie-Schulter schauen durfte. Nach Kriegsende arbeitete Brynych erst noch als Regie- und Produktionsassistent (z.B. bei Jiri Weiss) und zu Beginn der 1950er Jahre drehte er dann selbst erste Kurzfilme – und gleich mit seinem Langfilmdebüt (Vorstadtromanze) landete er 1958 prompt im Film-Olymp: dem offiziellen Wettbewerb von Cannes. Der Rest ist (Kino- und Fernseh-)Geschichte, stets changierend zwischen den ruhmreichen Prager Barrandov Studios und der Glanzzeit der Münchner Bavaria in den 1960er bis 1980er Jahren. Und glücklicherweise ist in Zbyněk Brynychs – im ersten Moment ziemlich disparaten – Film-und Fernsehschaffen immer wieder die ein oder andere Perle zu entdecken.

Wie wäre es also mit Die Weibchen? Hier werden zum Beispiel international gecastete Leinwand-Machos wie Giorgio „George“ Ardisson oder zarte Schönlinge wie Alain Noury zuerst von leichtbekleideten Damen im fiktiven Bad Marein massenhaft angeturnt – und später zu Katzenfutter verwurstet. Im selben Kurort des Wahnsinns treiben sich auch noch ein schnapsgetränkter Kommissar im Pfaffen-Outfit (phantastisch: Hans Korte) sowie ein visuell grell verunstalteter Zombie-Gärtner (Fred Coplan als Adam) herum, bis Uschi Glas, ja genau die (!), in dieses ausschließlich von Frauen bevölkerte Örtchen hineinschneit: der Nerven wegen. Aber genau dafür gibt es schließlich noch Frau Dr. Barbara (Gisela Fischer in der Rolle ihres Lebens), allerlei zeitgeistige Ingredienzien – und natürlich die kafkaesken, obendrein skurril überzeichneten Zauberpraktiken des Herrn B. auf dem Regiestuhl dieses gänzlich aus der Reihe tanzenden Extremfilms (inklusive eines skandalträchtigen Finales).

Viele von Brynychs Arbeiten sind nämlich in erster Linie immer auch stilbildende Kamerasahnestücke, beileibe nicht nur visuelle Fingerübungen: Das sind oftmals exaltiert-überdrehte, ja manchmal im Prinzip total verrückte Filme: Im Falle von Die Weibchen ist Charly Steinbergers wild rempelnde, die losen Handlungsfetzen stetig anschiebende Kameraarbeit geradezu omnipräsent. Surreal verwinkelte, heftig verkantete, gar stark ober- wie untersichtige Einstellungen sind hier wahrlich keine Seltenheit, an anderer Stelle wird sogar rabiat hineingezoomt. Besonders der überaus häufige Einsatz von Weitwinkelobjektiven mit herrlich verfremdender Fischaugenoptik kreiert mitunter regelrecht psychedelisch anmutende, delirierende Pseudo-3-D-Effekte, die sich unwiderruflich einbrennen. Von Steinbergers wagemutiger Experimentierlust und seiner großen Vorliebe für wild-entfesselte Handkamera-Einstellungen konnten zur selben Zeit schon Jerzy Skolimowskis (Deep End), Rainer Erlers oder Wolfgang Petersens frühe Arbeiten extrem profitieren, ehe er mit Alfred Vohrers abwechslungsreich-vielschichtigen Johannes-Mario-Simmel-Adaptionen (z.B. Und Jimmy ging zum Regenbogen) völlig zurecht zu weiterer Berühmtheit gelangte.

Nicht minder rauschhaft-exaltiert ist Milan Bors exquisite Tongestaltung in Die Weibchen, genauso wie Peter Thomas’ marschmäßiger Experimental-Groove-Sound mit allerhand luftig-leichten Vocal-Einlagen und betont lässiger Easy-Listening-Attitüde, der quasi wie von selbst ins eigene Standbein fährt – und automatisch zum Mitwippen animiert: Das ist ein Beat! Das klingt heute einerseits noch nach surrealen Soundwolken aus Swinging Schwabylon im Geiste der legendären Samy-Brüder, andererseits aber auch nach lüstern-verschwitzten Disco-Nächten im örtlichen Sportheim: Mit reichlich billigem Fusel, versteht sich! Trotzdem toppt gerade dieser Peter-Thomas-Score mit seinem unnachahmlich coolen Psychotronik-Schlager „Liebling, weißt du was mich quält? Es ist der Hunger, es ist der Hunger“ alle Grenzen des guten Geschmacks: Diesen zwischen Hasch- und Spaßwolken flirrenden Soundtrack irgendwo heruntergepflückt from outer-space bekommt man nur schwerlich wieder aus dem Ohr. Zum Glück.

Zudem bleibt ein weiteres Mal, wenn man sich länger schon mit „diesem wundersam fröhlichen tschechischen Herr“ (Dominik Graf über Zbyněk Brynych) beschäftigt, Sophie Mikoreys gewohnt knallharter Schnitt-Rhythmus im Gedächtnis, der Brynychs filmisch extravagantes, insgesamt ziemlich ironisches Weiblichkeits-Manifest zusätzlich noch in zig Einzelteile zerlegt. Oder besser gesagt: zersägt, denn kurz vor Schluss – in einer infernalisch grotesken Zerhackstückelungsszene – wird schließlich noch der Helmut-Berger-für-Arme-Darsteller Alain Noury (Und Jimmy ging zum Regenbogen) von einer wilden KFZ-Damenriege kurzerhand in vielerlei Körperteile zerlegt, bis das Blut zur Werkstattdecke spritzt. Eigentlich kaum zu glauben, dass dieser vogelwilde Fiebertraum des Duos Zbyněk Brynych (Regie) und Manfred Purzer (Drehbuch) tatsächlich unter den Fittichen von Luggi Waldleitners Roxy Film (!) entstanden ist. Denn so etwas hatte man auf den deutschen Nachkriegsleinwänden bis dahin wirklich noch nie gesehen! Vielmehr erwächst der Eindruck, dass im drogengeschwängerten Jahr 1970 sogar in der alten Tante BRD kurzzeitig schier alles möglich und erlaubt war — im Leben wie auf der Leinwand.

Schließlich kreist dieses überhaupt vor Vitesse und Wahnsinn strotzende Film-Hybridwesen, das ungeniert Kriminal-, Softcore-, Meldodram- und Flower-Power-Elemente durch den Fleischwolf einer unbändigen Bildregie dreht, von der ersten Sekunde an um nichts als sich selbst: Plotstrukturen? Pustekuchen. Hier zählt allein die einzelne hypnotische Handbewegung, der nächste überraschende Bilderwirbel, dazwischen wieder ein bewusst andersartig eingesetzter Soundtrackfetzen, ehe man sich sowieso ein weiteres Mal im singulären Blick wie der tollkühnen Sprache einer Judy Winter (als Olga) oder eben einer Gisela Fischer als Dr. Barbara schier endlos verliert. Heil- und zielloses Mäandern durch das trügerisch-idyllische Franzensbad, wo neben kurzen Shots im Münchner Botanischen Garten gedreht wurde, ausdrücklich erwünscht, könnte dementsprechend als irrlichternde Titelzeile auf dieser grotesk-grandiosen Postkarte aus dem B-Side-Kosmos der Filmgeschichte stehen.

Aber sehen wird darin sowieso jede(r) einen anderen Film, was wiederum nur Brynychs Ausnahmestellung für eine gänzlich entgegengesetzte Form des BRD-Kinos der Nachkriegszeit unterstreicht. Zudem untermauert Zbyněk Brynych gerade mit Die Weibchen seine außerordentliche Gabe, ein Meister im Vorbeigehen zu sein, in der Erschaffung bleibender Kinomomente im Rahmen kommerziell entstandener Massenware, wie man es vielfach auch aus einigen seiner gleich mehrmals überirdisch guten Fernseharbeiten (Derrick: „Der Einzelgänger“ / Der Kommissar: „Tod einer Zeugin“ / Der Alte: „Sportpalastwalzer“) kennt. Wer denkt beim Namen Zbyněk Brynych im Abspann nicht automatisch beglückt-verzückt an diverse Walter-Sedlmayr-Sperenzchen in zahllosen Polizeiinspektion-1-Episoden zurück oder an Erik Ode als tanzenden Kommissar oder Marianne Hoppe als tollwütige Hysterikerin („Ah, ich sauf’ manchmal!“) in der grandiosen Der-Kommissar-Folge „Parkplatzhyänen“? „Immer originell sein“, murmelt Fritz Wepper einmal in der Folge „Die Schrecklichen“ (Der Kommissar) vor sich hin, ehe er Helga Anders – auch so eine sträflich Vergessene – später galant ausführt. Was waren das doch für TV-Sternstunden – mit Mut zum Risiko!

Genau jenes „Immer originell sein“ könnte demnach auch als durchgängiges Regie-Credo über Die Weibchen stehen: Mit dieser an Finten und Fallen nicht gerade armen Brynych-Wundertüte hat er so etwas wie das erste westdeutsche Prä-Splatter-Movie mit tiefrotem Blutrand und reichlich Schmutz auf der Linse geschaffen. Bis der Zuschauer durch den nächsten Schnitt wieder ins Zugabteil aus der Anfangssequenz des Films zurückkatapultiert wird: Mitten hinein in die galaktischen Rehkitzaugen von Uschi Glas, die wie selbstverständlich in Charly Steinbergers Linse hineinblinzelt – auch so ein Brynych-Markenzeichen – und die beunruhigenden Hornbrillengestelle anderer weiblicher Zugreisender (wie Annemarie Wendl). Ja, was war denn das schon wieder?! Der typische Zbyněk-Brynych-Wahnsinn eben. Und für den liebt man ihn: Bis heute. Sappralot.
 

Die Weibchen

In Wirklichkeit ist Zbyněk Brynych “Der Hexer“ des deutschen Nachkriegskinos, auch wenn Alfred Vohrer diese vielleicht berühmteste Edgar-Wallace-Krachtüte einst verfilmt hatte. Denn der gebürtige Tscheche war ein Mann mit reichlich Rhythmus im Blut, mit einer fein austarierten Ader für Musik und Timing, kurzum für diesen immens wichtigen Regie-Mix aus Laufen-lassen-können und Stehen-bleiben-müssen.

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