Acht Stunden sind kein Tag (1973)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Arbeit an der Weltverbesserungsmaschine

Die Floskel „Acht Stunden sind kein Tag“ ist längst in die Alltagssprache eingegangen, die deutsche Band Jetzt! widmete Fassbinders legendärem TV-Experiment im WDR (1972/73) in den 1980er Jahren einen ganzen Song – und der Berliner Theaterzampano René Pollesch zitiert bereits seit Jahren in vielen seiner Inszenierungen fleißig aus den Dialogen dieser lange, lange Zeit verschollenen Mini-Serie. Im Zuge der TV-Premiere – mit Rekordquoten! – entbrannte um sie prompt eine leidenschaftliche Feuilleton-Debatte, wirklich jeder Grande des damaligen Polit- und Kulturjournalismus von Hellmuth Karasek („Bei Arbeiters“) über Günter Wallraff („Nur mal drübergegangen“) bis Wolf Donner („Idyllen eines TV-Jusos“) und Karl Korn („Ein Spiel von der Betriebsgemeinschaft“) hatte eine – nicht unbedingt freundliche – Meinung dazu.

Aber auch aus dem Lager der Arbeiter, Betriebsräte und Gewerkschafter, in dem RWF zuvor mit Peter Märthesheimer intensiv recherchiert hatte, hagelte es parallel reihenweise Kritik in Richtung WDR-Funkhaus sowie des verantwortlichen Fernsehspielchefs Günter Rohrbach. Auch im heutigen Rückblick besteht kein Zweifel: Acht Stunden sind kein Tag hatte bereits bei der Erstausstrahlung genau das erreicht, was Rainer Werner Fassbinder mit ihr auch bezwecken wollte: Aufzuregen – und einen Diskurs zu entfachen über „Bewusstseinslockerung“ (RWF) im liebsten Medium der Deutschen wie in deren Köpfen.

Und so war jener Fernseheklat – ungewollt – perfekt und Fassbinders innovative Familien-Serie landete schneller als von vielen Verantwortlichen gedacht schließlich in den Giftschränken des Kölner Senders – und ward danach lange nicht mehr gesehen. Nur in Erzählungen und Erinnerungen lebte sie fort: Der RWF-passionierte Christoph Schlingensief liebte sie beispielsweise von Grund auf und tat dies auch mehrfach kund. Aufgrunddessen verwandelte sich Acht Stunden sind kein Tag durch die letzten Jahrzehnte hindurch immer mehr zu einer regelrechten TV-Legende. Blöd nur, dass sie im Grunde niemand mehr sehen konnte, was im Gegenzug den Rezeptionsmythos im Stillen nur weiter beförderte.

Dank einer aufwendigen Digitalrestaurierung durch die Rainer Werner Fassbinder Foundation und mithilfe vieler Unterstützer (wie z.B. ARRI oder das New Yorker Museum of Modern Art) kann sich nun – nach der Weltpremiere des restaurierten Fassung im Rahmen der diesjährigen Berlinale – auch jeder wieder zu Hause ein eigenes Bild von Fassbinders Sichtweise auf das deutsche Arbeitermilieu machen – und Acht Stunden sind kein Tag sehen. Was im ersten Moment banal klingen mag, ist im Kern nichts weiter als eine echte Sensation, nachdem das 16mm-Material seit der TV-Uraufführung in den Archiven des WDR vor sich hin moderte und Fassbinders famoses Serienexperiment seit nunmehr 20 Jahren nicht mehr öffentlich aufgeführt werden konnte. Zudem schien auch aufgrund ungeklärter Auswertungsrechte und teilweise immens kostspieliger Musikrechte (u.a für Songtitel von Leonhard Cohen, Janis Joplin oder Neil Young aus der persönlichen Jukebox des Regisseurs) Acht Stunden sind kein Tag nicht nur in den Augen vieler Fassbinderianer prinzipiell auf ewig verloren zu sein.

Umso schöner, technisch brillanter und vor allem auch lustvoller ist es jetzt erst recht, beispielsweise den Ex-UFA-Star Luise Ullrich wieder als goldige Anarcho-Oma („So – und jetzt trinken wir einen Schnaps!“) und antiautoritäre Kindergartengründerin mit pfiffigen Revoluzzer-Ideen („Man müsste einfach besser denken können“) erleben zu können. Ebenso wie die zart verführerische Hanna Schygulla als Angestellten-Fee Marion, die jedes Mal mehr schwebt als geht, mit somnambulen Engelsaugen, aber spitzfindigem Zungenschlag. Oder den Werdegang Gottfried Johns als gleichermaßen geschickten wie aufmüpfigen Werkzeugmacher Jochen mit Jean-Paul-Belmondo-Blick von Neuem mitzuerleben: Seiner schauspielerischen Durchbruchsrolle, durch die er rasch in die Fassbinder-Familie aufgenommen wurde. Zusammen mit seinen Arbeiter-Kompagnons bietet er gleich mehrfach der Werksleitung die Stirn und lernt ganz nebenbei Marion – unvergessen – nachts beim Essiggurkenautomaten kennen und lieben. Kurzerhand nimmt er sie gleich mal in der ersten – und besten Folge („Jochen und Marion“) – als Überraschungsgast zum 60. Geburtstag seiner geliebten Oma mit.

Gespickt mit grandiosen Kurzauftritten einiger Fassbinder-Stars wie Walter Sedlmayr als frisch gebackenem Witwer („So – und jetzt möchte ich Hühner züchten!“), präzise ausgearbeiteten Nebenrollen (u.a. Kurt Raab als kotzbrockiger Warum läuft Herr R. Amok?-Wiedergänger Harald) und vorzüglicher Kameraarbeit in zwei unterschiedlichen Farb-Looks von Dietrich Lohmann, wirkt Fassbinders frühes Wutbürger-Fernsehen von damals heute ungemein erfrischend und keineswegs verstaubt. Alleine Irm Hermanns Büro-Tiraden als ungestüm-abfällige Spießerin („Er ist doch nur ein Arbeiter“) mit dem klingenden Namen „Fräulein Erlkönig“ lohnen jede Sekunde: Denn so viel Subversion zur besten Sendezeit hatte das westdeutsche Fernsehpublikum bis dahin noch nicht gesehen!

Gerne wird dabei auch geschunkelt und gebechert, geraucht und getanzt, geflirtet und geflucht. Schlüpfrige Dialogfetzen treffen da kurzerhand auf nicht minder zotige Pointen, was sich genauso formal-ästhetisch widerspiegelt: Lohmanns Kamera setzt häufig auf bedeutungsschwere Zooms, die dann im nächsten Moment überraschend auf wenig bedeutsame Zimmerpflanzen, Papageienfedern oder verkitschte Heimat-Schinken, also im Nichts, landen. Nicht nur die Frisuren wirken mehrfach auftoupiert in dieser herrlich wilden, durch und durch gemusterten BRD-Tapetenwelt der frühen 1970er Jahre: Blümchen in den Haaren, blumige Motive allerorten.

Alles wirkt stets einen Tick zu überdreht, wozu auch Jean Gepoints (alias Fuzzys) zwischen Utopie, Neoromantik und Schlagerklängen angelegter Score unweigerlich beiträgt: Vieles ist in diesen Momenten gefühlt immer einen Takt drüber, einen Refrain zu weit weg von den handelnden Personen. Die jeweils nächste Melodie klingt immer schon wieder etwas zu süßlich, ohne dass man ihm als Zuschauer je dafür böse sein könnte.

Ergänzt wird das Ganze in punkto Musik – wie auch in weiteren Fassbinder-Werken üblich – durch den persönlichen Musikgeschmack des Meister-Regisseurs, der sich bekanntermaßen nie sonderlich um Musikrecht sorgte, sondern stets nach eigenem Gusto verfuhr, was der RWF-Foundation bis heute in großer Regelmäßigkeit immer wieder mal schlaflose Nächte bereitet …

Und dann enthält auch diese Arbeit Fassbinders natürlich mindestens noch einen kongenialen Cineasten-Moment, wenn beispielsweise Luise Ullrich auf der abendlich schimmernden Mattscheibe sich selbst in Max Ophüls‘ legendärer Arthur-Schnitzler-Adaption von Liebelei beim Spielen zusieht. Alleine dafür muss man schon diese Serie – und ihren genialischen Kreativkopf dahinter – aufs Neue lieben.

Umso bitterer, dass Fassbinders sozial-revolutiönäre Familienserie mit Utopie-Einschlag für „die kleinen Leute“ nie fortgesetzt wurde. Schon nach fünf Folgen – und trotz gigantischer Einschaltquoten – drehte der erboste WDR-Intendant diesem ursprünglich auf zehn Folgen ausgelegten Format den Geldhahn zu. Plötzlich zeigten die vorher so anheimelnden Fernsehspielmacher um Günter Rohrbach und Peter Märtesheimer dem Münchner Wunderkindl die kalte Schulter, obwohl der die nächsten drei Folgen längst niedergeschrieben hatte. Im Umkehrschluss musste der bayerische Regieberseker, der zu dieser Zeit zum ersten Mal mit viel Budget (1,3 Millionen DM) im großen Apparat einer Fernsehanstalt (105 Drehtage) arbeiten konnte, ironischerweise für sich selbst lernen, dass er eben genau dort der Arbeit anderer ausgeliefert war.
 

Acht Stunden sind kein Tag (1973)

Die Floskel „Acht Stunden sind kein Tag“ ist längst in die Alltagssprache eingegangen, die deutsche Band „Jetzt!“ widmete Fassbinders legendärem TV-Experiment im WDR (1972/73) in den 1980er Jahren einen ganzen Song – und der Berliner Theaterzampano René Pollesch zitiert bereits seit Jahren in vielen seiner Inszenierungen fleißig aus den Dialogen dieser lange, lange Zeit verschollenen Mini-Serie.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen