Gomorrha (Staffel 2)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Im Namen des Paten, seines Sohnes und des kriminellen Geistes

„Panther? Ich bin ein Hyäne! Unter Hyäenen regieren die Frauen.“ — Scianel (Cristina Donadio) in der zweiten Staffel von Gomorrha

In Vele di Scampia war die Welt noch nie in Ordnung: Zwischen Bandenkriminalität und Bruchbuden, die einmal die Avantgarde des sozialen Wohungsbaus in Süditalien sein sollten, herrscht hier vor allem Perspektivlosigkeit en masse. Gepaart mit kinderreichen Familien – aus denen sich die jeweils nächste Straftätergeneration mühelos speisen lässt – und mitten im Fokus der Drogenumschlagplätze wie der Raubmorde stehend, ist diese trostlos-triste Betonwüste im Norden Neapels ein wahrer Nicht-Ort und gleichzeitig ein Goldgrund für die tonangebenden Camorra-Clans. Manche von ihnen sind bestens vernetzt mit der lokalen Politik, andere wiederum setzen auf gute Geschäfte in der boomenden Baubranche: Selbstverständlich nach dem „Spetzl-Prinzip“, d.h. im Zuruf auf die richtigen Vergabehinweise oder in Bälde kommende Bauverordnungsnovellen.

Don Pietro Savastano (herrisch-bissig: Fortunato Cerlino) war in der ersten Staffel von Gomorrha (2014) der bestimmende Familienpatriach, der unentwegt neuen Reichtum wie neue „Mitarbeiter“ um sich scharte, verfeindete oder abtrünnige Vasallen nacheinander aus dem Verkehr ziehen ließ – und am Ende sogar selbst im Knast landete, aber schließlich von alten Amici befreit werden konnte: Er sinnt seitdem auf Rache – und will die alten Verhältnisse wieder herstellen. Mit ihm an der Spitze, versteht sich. Nur allzu dumm, dass der einstmalige Herrscher jenes kriminellen Schattenreiches inzwischen selbst in einer getarnten Mini-Wohnung im zehnten Stock des Scampia-Molochs gelandet ist. Hier dämmert der Don anstatt weiter und wieder von der Spitze herab zu donnern. Aber wie lange noch?

Gleichzeitig stiegen unter seinen Fittichen im ersten Folgen-Zyklus sowohl sein eigener Sohn Gennaro (Salvatore Esposito) wie auch seine liebste „rechte Hand“ Ciro (zwischen Härte und Coolness pendelnd: Marco D’Amore) zu den potentiellen Nachfolgern seiner kriminellen Regentschaft auf. Ergänzt durch eine Reihe harscher Mafia-Bräute wie Scianel (sprich: „Chanel“), die sich zu Beginn der zweiten Staffel mit Ciro zu einem Verbund zusammenschließen, liegen die Karten nun quasi nach dem Mischen neu auf dem Tisch. Die Frage lautet lediglich: Wer bekommt (irgendwann) den größten Teil vom Kuchen? In diesem Falle: Das Monopol im örtlichen Drogenhandel.

Diese neue Konstellation ist allerdings von Beginn an brüchig: Sie enthält zu viele jugendliche Möchtegern-Bandenchefs-von-morgen. Innerlich fragil und nach außen hin in erster Linie unbeirrbar wie unkontrollierbar in ihrem pubertären Auf-dicke-Hose-machen-Gehabe, steht jenes Clan-Bündnis von vornherein auf mehr als wackeligen Beinen. Zudem steht schnell die Frage im Raum, ob, wie und mit wem der vom Milchbubi zum Mörder gewandelte Gennaro von Rom aus in seine Heimat zum „Geschäftemachen“ zurückkehren wird. Inzwischen wieder einmal frisch verbandelt und mit einem mächtigen Schwiegervater in spe im Kreuz, der seine Brötchen unter anderem mit Luxusherbergen verdient, hätte Genny – wie er von seinen Getreuen gerufen wird – mittlerweile sicherlich das Zeug zum nächsten Don aus der Savastano-Familie.

Neben der schwer durchschaubaren Jugendfraktion mit allerhand Revolverhelden zieht obendrein auch in der zweiten Staffel wieder der mysteriöse Salvatore Conte seine ganz eigenen Fäden: Marco Palvetti spielt diesen bis zum Schluss besonders überraschenden Charakter ein weiteres Mal faszinierend zwiespältig. Hinter seiner betont streng katholischen Fassade, die sich an Jungfrauenprozessionen wie Selbstgeißelungen gleichermaßen erfreuen kann, lauert das wirklich böse Element… Leichen pflasterten schon in der ersten Staffel seinen ebenso blutrünstigen wie gierigen Weg nach oben – parallel zu Ciros Aufstieg vom geachteten Handlanger zum durchsetzungsfähigen Anführer. Unscheinbar, aber nicht minder unangefochten thront er derzeit im Drogenhandel ganz oben. Sein Sockel scheint auch weiterhin nicht ansatzweise verrückbar zu sein, wenn ihm da nur nicht ständig diese queere Showkünstlerin den Kopf verdrehen würde…

„Altersweisheit gegen Forschheit“ oder „Macho-Männer gegen Hyänen-Frauen“ hätten manche der zwölf neuen Episoden aus der Feder des Regieteams um Stefano Sollima, Claudio Cupellini, Francesca Comencini und Claudio Giovannesi durchaus heißen können. Denn diese beiden Paarungen bestimmen erzähltechnisch größtenteils die zweite Staffel von Gomorrha, die inhaltlich nahtlos ans Ende der ersten andockt und dieses Mal den weiblichen Charakteren ein noch größeres dramaturgisches Gewicht einräumt. So werden Jungbosse von Panthern gefressen – und harte Männerherzen wiederholt von mächtigen Liebeswallungen durchbohrt: Offene Gefühlsregungen spielen diesmal mindestens eine genauso große Rolle wie Mord, Verrat oder Erpressung.

Ebenso neu ist die erzählerische Konzentration auf einen maßgeblichen Charakter pro Serienfolge, wodurch sich das alte Figurenpersonal rasch erweitert – und vergangene Feindschaften bald erneut in der Luft liegen, wie selbstverständlich auch neue hinzukommen: Es ist und bleibt ein Teufelskreis, ein ewiges Jeder-für-sich-und-der-Mafiagott-gegen-alle-Szenario. Dazu natürlich mit jeder Menge überraschender Twists und diesmal sogar einem Abstecher nach Deutschland sowie Südamerika. Was auch die zweite Staffel von Gomorrha zu einem erneut furiosen Serien-Panorama über den Drogenkrieg innerhalb der neapolitanischen Mafia-Clans macht, ist ihre erzählerische Raffinesse wie ihre visuelle Brillanz. Im Augenblick wird in Italien bereits die dritte Staffel gedreht, eine vierte ist in konkreter Planung. Kurzum: Ciro, der „Unsterbliche“, macht seinem Namen alle Ehre.
 

Gomorrha (Staffel 2)

„Panther? Ich bin ein Hyäne! Unter Hyäenen regieren die Frauen.“ — Scianel (Cristina Donadio) in der zweiten Staffel von „Gomorrha“.

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