Cyankali (2 DVDs)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Tödlicher Abort

Filme, die eine breite gesellschaftliche Diskussion auslösen, sind heutzutage eine Seltenheit. Hans Tintners Cyankali nach Friedrich Wolfs gleichnamigem Theaterstück schaffte das 1930 mit einem Thema, das angesichts einer immer besseren Pränataldiagnostik und Forderungen der politischen Rechten wieder in den Fokus rücken könnte. Gemeinsam mit einer Verfilmung für das Fernsehen der DDR erscheint das Abtreibungsdrama auf einer Doppel-DVD.
Beide Adaptionen bleiben nahe an Wolfs Vorlage. Als die 20-jährige Arbeiterin Hete Fent (Grete Mosheim / Renate Krößner) von ihrem Freund Paul (Nico Turoff / Hermann Beyer) ein Kind erwartet, will sie es behalten. Ihr Lohn in der Fabrik ist zwar nicht hoch, um ein zusätzliches Mäulchen zu stopfen, wird er aber schon noch reichen. Doch dann kommt alles anders. Erst sperrt der Betrieb seine Arbeiter wegen Tarifstreitigkeiten aus, dann flieht Paul vor der Polizei, weil er für die hungernde Nachbarschaft die Werkskantine geplündert hat. Hete entscheidet sich gegen das Kind, doch keiner will ihr dabei helfen. Der bestechliche Arzt Dr. Möller (Ludwig Andersen / Heinz Behrens) geht nur gutbetuchten Damen zur Hand. Bei Hete schützt er die Gesetzgebung vor. Hausverwalter Prosnick (Louis Ralph / Horst Hiemer), der für solche Fälle immer ein Instrument im Schrank hat, verlangt als Gegenleistung körperliche Zuwendung. Und Paul versagen die Nerven. Also legt Hete in ihrer Verzweiflung schließlich selbst Hand an, bevor sie ihren eigenen Pfusch von einer Engelmacherin (Margarete Kupfer / Marianne Wünscher) korrigieren lassen will. Die gibt ihr stattdessen ein Fläschchen Zyankali mit auf den Weg, bevor die Polizei Hete schließlich auf die Schliche kommt.

Als der linke Arzt, Schriftsteller und spätere Kulturpolitiker Friedrich Wolf sein Theaterstück 1929 verfasste, prangerte er einen Missstand an: Zehntausende Frauen kamen jährlich durch illegale Abtreibungen ums Leben. Nicht selten benutzen sie dafür Zyankali in dem Irrglauben, damit lediglich ihrem ungeborenen Kind zu schaden. Wolf war sich sicher, dass nur eine Abschaffung des Paragrafen 218 des Reichsstrafgesetzbuchs diesen Missstand beheben könnte und teilte damit einen Standpunkt, den die Frauenrechtsbewegung, wenn auch zum Teil aus völlig konträren, weil rassischen Gründen, schon zur Jahrhundertwende vertrat. Bis deutsche Frauen in Ost und West bei einem Schwangerschaftsabbruch straffrei ausgingen, sollten jedoch noch Jahrzehnte vergehen. Aktuelle Forderungen der politischen Rechten nach einer Verschärfung des Paragrafen 218, der bis heute in Deutschland den Schwangerschaftsabbruch regelt, und Filme wie 24 Wochen zeigen, dass die Thematik immer noch Relevanz besitzt. Alleine deshalb lohnt sich ein Blick zurück auf den langen Kampf um (körperliche) Selbstbestimmung, den ein umfangreiches Bonusmaterial samt aufschlussreichem Booklet historisch unterfüttern.

Die Doppel-DVD ist aber auch film- und fernsehgeschichtlich eine Fundgrube. Kramers Bearbeitung ist eine der ersten TV-Produktionen der DDR, die elektronisch aufgenommen, geschnitten und dementsprechend mit mehreren Kameras und einer Souffleuse am Stück gedreht wurde. Dieser Live-Charakter rückt den Fernsehfilm deutlich näher an Wolfs Theaterstück als die Kinofassung aus dem Jahr 1930, so theatralisch diese auch anmuten mag. Erst nach mehreren Schnittauflagen in die Kinos gekommen und schließlich im März 1933 verboten, liegt Cyankali (1930) auf DVD nun in einer hybriden Fassung vor, die gekürzte Teile enthält, an manchen Stellen aber auch den Schnittauflagen folgt und in dieser Form nie in den Lichtspielhäusern der Weimarer Republik zu sehen war.

Hans Tintners Adaption besticht dabei mehr durch ihren Mut zur gesellschaftlichen Sprengkraft denn durch ihre Umsetzung. Die trägt allzu larmoyante, kolportagehafte und belehrende Züge, was nicht zuletzt der wenig differenzierten Figurenzeichnung der Vorlage geschuldet sein dürfte. Bei allem Pathos war Friedrich Wolf stets um Sachlichkeit bemüht und redete Tintner vor Drehbeginn zu viel Symbolik aus, was ein Briefwechsel zwischen Autor und Regisseur im Rom-Teil der DVD vor Augen führt. Für Wolf war Kunst stets (politische) Waffe, die er nicht prätentiös überhöhen wollte. Und so halten die Protagonisten am Schluss des Films leidenschaftliche Schlussplädoyers – nicht mehr in schwungvoller Kreideschrift auf Texttafeln, sondern mit ihrer eigenen Stimme. Auch hier ist Cyankali ein echtes Fundstück und seltsamer Hybrid: Was als Stummfilm mit Musik und Geräuschkulisse auf der Audiospur beginnt, endet als Tonfilm.

Cyankali (2 DVDs)

Filme, die eine breite gesellschaftliche Diskussion auslösen, sind heutzutage eine Seltenheit. Hans Tintners „Cyankali“ nach Friedrich Wolfs gleichnamigem Theaterstück schaffte das 1930 mit einem Thema, das angesichts einer immer besseren Pränataldiagnostik und Forderungen der politischen Rechten wieder in den Fokus rücken könnte. Gemeinsam mit einer Verfilmung für das Fernsehen der DDR erscheint das Abtreibungsdrama auf einer Doppel-DVD.
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