Eine reine Formalität

Eine Filmkritik von Falk Straub

Kammerspiel zweier kluger Köpfe

Bei Kritik und Publikum fiel Giuseppe Tornatores Eine reine Formalität größtenteils durch. Die Auswertung fürs Heimkino könnte jedoch gerade dessen Verächtern gefallen. Schließlich ist der Thriller mit Gérard Depardieu und Roman Polanski eher untypisch für den italienischen Oscargewinner: kurz, bündig und nostalgiefrei.
Ein Schuss setzt alles in Bewegung. Atemlos hetzt ein Mann (Gérard Depardieu) durch den Regen, stürzt durchnässt und verdreckt ins grelle Scheinwerferlicht einer Streife. Die Polizisten nehmen sich seiner an, bringen ihn in ein unordentliches Revier in den Bergen, in das beständig das Wasser von den Decken tropft. Der Mann ist verwirrt, der Inspektor (Roman Polanski) neugierig. Er wolle ihm nur ein paar Fragen stellen. „Eine reine Formalität“, versichert der Beamte milde. Der Verhörte behauptet, der berühmte Schriftsteller Onoff zu sein und sich zum Schreiben in sein nahegelegenes Landhaus zurückgezogen zu haben. Von einem Mord will er nichts wissen, wie er sich auch nicht an den Schuss erinnern kann. Da trifft es sich gut, dass der Inspektor ein großer Fan des Literaten ist. Mit Zitaten aus dessen Werk fühlt er seinem Gegenüber auf den Zahn, verstrickt ihn in Widersprüche, bis er schließlich hinter dessen Geheimnis kommt.

Für erfahrene Zuschauer liegt des Rätsels Lösung auf der Hand. Giuseppe Tornatore legt zwar dezent, aber ausreichend Spuren. Aus heutiger Sicht fällt dieses Urteil natürlich allzu leicht. Schließlich ist das Publikum im Jahr 2016 unzuverlässige Erzähler und unvorhergesehene Wendungen zur Genüge gewohnt. Im Wettbewerb in Cannes rief Eine reine Formalität 1994 hingegen eher Verwirrung hervor. Auch an den Kinokassen war der Thriller ein Flop. Dabei war Tornatores Spiel mit dem Verstand der Zuschauer seiner Zeit nur einen Wimpernschlag voraus. Andere Mindfuck-Filme wie Die üblichen Verdächtigen (1995), Fight Club oder Sixth Sense (beide 1999) sollten erst noch folgen, adressierten zudem eine völlig andere Zielgruppe.

Aus Tornatores bisherigem Œuvre sticht Eine reine Formalität in erster Linie durch seine Geschlossenheit hervor. Hier gibt es kein unnötiges Abschweifen, kein melancholisches Verweilen, kein Zerfasern in einzelne Episoden. Roman Polanski, der hinter der Kamera die Beklemmung des (filmischen) Raums immer wieder erprobt oder gleich das Kammerspiel als Darbietungsform wählt, weiß dessen Vorteile auch vor der Kamera zu nutzen. Genüsslich treibt er Depardieu vor sich her – wie eine gealterte Version seines Namenlosen mit dem Messer, der Jack Nicholson in seiner Rolle als J.J. Gittes in Chinatown mit sardonischem Lächeln die Nase aufschlitzt. Statt eines Messers benutzt der namenlose Inspektor seinen messerscharfen Verstand. Der Schriftsteller pariert dessen Attacken ein ums andere Mal: erst sichtlich angefasst, dann immer selbstbewusster. Das ist Schauspielerkino, dem man gern zusieht.

Eine reine Formalität überzeugt aber auch formal. Im sehenswerten Bonusmaterial, das Koch Media eigens für die Disc produziert hat, gibt der Regisseur erhellende Einblicke in die Entstehung seines vierten abendfüllenden Spielfilms. Neben Anekdotensammlern, die von einem Besuch Federico Fellinis an Tornatores Set erfahren, kommen hier vor allem technisch Interessierte auf ihre Kosten. Manch formvollendete, doch arg manieriert anmutende Einstellung, Montagesequenz oder Kameraposition, die zum Kinostart nicht wenige Kritiker erzürnte, lässt sich nach Tornatores klugen Ausführungen nur schwer wieder wegdenken.

Eine reine Formalität

Bei Kritik und Publikum fiel Giuseppe Tornatores „Eine reine Formalität“ größtenteils durch. Die Auswertung fürs Heimkino könnte jedoch gerade dessen Verächtern gefallen. Schließlich ist der Thriller mit Gérard Depardieu und Roman Polanski eher untypisch für den italienischen Oscargewinner: kurz, bündig und nostalgiefrei.
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