Atemlos

Eine Filmkritik von Thorsten Hanisch

Sex gegen den Alltag

Über die Vorlage von Atemlos, Außer Atem, die dieser gewohnt feinen Collector’s Edition von Capelight als Bonus dankenswerterweise beiliegt, noch groß zu schwadronieren, wäre selbst angesichts der grenzenlosen Freiheit eines Online-Magazins Platzverschwendung. Deswegen nur kurz:

Godards rebellischer Debütlangfilm von 1960 über eine zum Untergang verdammte Beziehung zwischen einem Schmalspurgangster und einer Studentin hatte bis dato geltenden Standards steil den Mittelfinger entgegengestreckt und trotz der Muffelei konservativer Kritiker einen Sieg errungen: Der Einsatz von Handkamera, das Verwenden von natürlichem Licht und die Erfindung des Jump Cuts erweiterten die Filmsprache beträchtlich. Von nun an war praktisch alles möglich. Aber auch jenseits der filmhistorischen Bedeutung muss man attestieren, dass Godards ironische Film noir-Hommage auch heute noch ein schlichtweg verdammt cooler Film ist, was nicht zuletzt an der fantastischen Besetzung mit Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg liegt, die völlig zu Recht dank viel Charisma und ausdruckstarkem Spiel zu Ikonen der Nouvelle Vague wurden.

Es mutete unter diesen Vorzeichen natürlich wie ein Kamikaze-Unterfangen an, ausgerechnet diesem Film ein Remake zu spendieren und dementsprechend war das Feedback im Entstehungsjahr 1983 auch durchwachsen, erst im Laufe der Zeit konnte sich Atemlos, nicht zuletzt dank Quentin Tarantino (mal wieder), ein Stück weit rehabilitieren.

Zu Recht? Ja und nein. Regisseur und Co-Drehbuchautor Jim McBride macht das einzig Richtige und versucht erst gar nicht, Godard zu imitieren: Den schroffen Bildern des Originals wird geballt künstlicher 1980er-Jahre-Schick entgegengesetzt, der existenzialistischen Schwere eine schwebende Leichtigkeit. Obwohl er eigentlich zum US-Mainstream zählt, lässt sich sein Film auch ohne Probleme ins französische Cinéma du look des selben Jahrzehnts einreihen, das von meist tragischen Protagonisten erzählt, die in einer durchstilisierten Traumwelt leben — Popmärchen ohne sonderlichen Tiefgang, allerdings mit einer überaus starken visuellen Seite (Vertreter waren zum Beispiel Subway oder Diva). Und die ausgefeilte, detailverliebte Regie McBrides ist es auch, die in Atemlos den Atem raubt: Das fängt beim Vorspann mit den drehenden Punkten des Orion-Logos an, die perfekt mit den Geräuschen der Roulettekugel synchronisiert wurden, geht bei der extrem sinnlichen Inszenierung seiner weiblichen Hauptrolle (Eiswürfel, Ventilator, Klaviermusik) weiter und hört bei der (unter anderem mit Rückprojektionen deutlich gemachten) geschickten Vermischung zwischen Realität und der abweichenden Wahrnehmung seiner Protagonisten auf.

Über den dünnen Inhalt — der Film dampft Godards Existenzialismus auf die gradlinige Fluchtgeschichte eines völlig lebensfremden Träumers runter — könnte man angesichts der fantastischen Machart noch prima hinwegsehen, style over substance kann unfassbar viel Spaß machen. Was den Film aber doch beschädigt, sind seine beiden Hauptdarsteller: Richard Gere bewirbt sich mit einer völlig überkandidelten bis zur Haarspitze selbstverliebten Vorstellung für die Overacting-Ruhmeshalle, was die ohnehin nicht allzu sympathische Figur auch noch mit einem gewissen Nerv-Faktor ausstattet — und dass ausgerechnet die bis dato gerade mal durch Erotikfilmchen aufgefallene Valérie Kaprisky die Nachfolge der legendären Jean Seberg antreten sollte, sorgte schon damals für Unmut und die Jahre haben keine Milde ins Land ziehen lassen. Kaprisky sieht sicherlich atemberaubend gut aus, bildet aber schauspielerisch den totalen Kontrast zu Gere: Während dieser total überdreht, bleibt die hübsche Französin völlig blass und wirkt in einigen Szenen seltsam verloren. Dieses Ungleichgewicht, das auch nicht vom Drehbuch aufgefangen wird, schadet dem Film: Es wird weder auf inhaltlicher noch auf schauspielerischer Ebene halbwegs glaubwürdig vermittelt, was die beiden eigentlich aneinander finden. Sicher, man ahnt es (zumindestens auf Kapriskys Seite), aber es wird niemals deutlich, in erster Linie guckt man hier zwei bildhübschen Menschen zu, die vögelnd vor dem Alltag fliehen — was anderseits aber sicherlich mit so manchem Zuschauertraum bestens korrespondiert.

Das Capelight-Mediabook sieht schick aus, etwas kurios mutet aber die Abteilung mit den Extras an: Die Bonus-Disc mit Godards Film entspricht der vorherigen Solo-Veröffentlichung von Arthaus und kommt dementsprechend mit massig Material daher; dem Hauptfilm allerdings wurde gerade mal der Kinotrailer beigefügt. Als Ausgleich gibt’s aber ein wirklich feines, 24-seitiges Booklet vom famosen, durch seine Tenebrarum-Veröffentlichungen bekannten Martin Beine, der sehr detailliert Original und Remake vergleicht und darüber hinaus noch mit weiteren interessanten Infos aufwartet. Wirklich toll und sehr lesenswert!
 

Atemlos

Über die Vorlage von „Atemlos“, „Außer Atem“, die dieser gewohnt feinen Collector’s Edition von Capelight als Bonus dankenswerterweise beiliegt, noch groß zu schwadronieren, wäre selbst angesichts der grenzenlosen Freiheit eines Online-Magazins Platzverschwendung. Deswegen nur kurz:

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