Nacht und Nebel

Eine Filmkritik von Gregor Ries

Routine des Todes

Seine rund siebzigjährige Regiekarriere startete Alain Resnais mit zwei Dutzend dokumentarischen Kurzfilmen, die sich häufig um die Wechselwirkung von Kunst und Kultur mit der Historie drehten. Unterlegt wurden seine Filmessays durch einen literarisch-poetischen Kommentar, der schon seine spätere Vorliebe für die Verbindung verschiedener Kunstrichtungen anklingen ließ. Seine berühmtesten frühen Werke beschäftigen sich mit den Auswirkungen des Imperialismus auf die afrikanische Kultur in Auch Statuen sterben (1953) und dem Holocaust in Nacht und Nebel (1955), der jetzt in der Arte-Edtion bei „Absolut Medien“ vorliegt.
Wie bei Statuen arbeitete Resnais wieder mit Kameramann Ghislain Cloquet (neben Sacha Vierny), der später für bedeutende Filmemacher wie Jacques Demy oder Robert Bresson tätig war, und Chris Marker zusammen, diesmal beteiligt als Regieassistent und Skripteditor. Durch die Kombination aus historischen Dokumentaraufnahmen, Bildern der Lager von Auschwitz-Birkenau und dem polnischen Majdanek sowie Fotografien erinnert diese Erzählpraxis sowohl an Resnais‘ späteren Blick auf die Verknüpfung menschlicher Schicksale (ironisch eingesetzt etwa in Mein Onkel aus Amerika) als auch an Markers Science-Fiction-Fotoroman La Jettéé – Am Rande des Rollfelds (1962), der erneut rein über Standbilder erzählt wurde. Seine eindringliche Wirkung entfaltet der damals stark umstrittene Nacht und Nebel durch den reflektierenden Kommentar des Schriftstellers und Holocaust-Überlebenden Jean Cayrol sowie Hanns Eislers lyrischen Orchesterscore. Beides liefert den Kontrast zum unfassbaren Grauen, der sich hinter den Mauern der Konzentrationslager abspielte.

Zehn Jahre nach Kriegsende gehörte der halbstündige Film zu den ersten Werken, die sich offen mit dem Schrecken der Judenvernichtung beschäftigten. Resnais zieht einen Bogen vom Aufkommen des Faschismus in Deutschland Anfang der 1930er Jahre über die Judendeportation zur Architektur des Grauens sowie der menschverachtenden Lager- und Arbeitsroutine. Der Filmtitel bezieht sich sowohl auf das Himmler-Zitat, dass Gegner des „Dritten Reichs“ bei Nacht und Nebel verschwinden sollten als auch auf eine Textpassage über die Ankunft der Verhafteten. Resnais zeigt den Zynismus hinter Inschriften wie „Reinheit ist Gesundheit“ oder „Jedem das Seine“ auf, indem er diese Tafeln mit den Leichenbergen kontrastiert. Gleiches trifft auf jedes Anzeichen von Normalität zu wie die Einrichtung von Zoos, Gewächshäusern, Wohnheimen oder gar Bordellen für das Wachpersonal.

Der Film setzt auf den Gegensatz von Schönheit und Grauen, von friedlichen Landschaftaufnahmen und Bildern von Folter, Verstümmelung, Massenmord oder verbrannten Körpern. In späteren Jahrzehnten folgten zahlreiche filmische Beschäftigungen mit dem Genozid, doch die erschütternden Bilder von Leichenbergen und ausgemergelten Überlebenden verlieren noch heute nichts von ihrer schockierenden Wirkung. Cayrols prophetische Zweifel, ob das Grauen wirklich aus der Welt geschafft sei, sollten sich bewahrheiten. Resnais unterstreicht dessen finale Mahnung mit Aufnahmen von angeklagten Nazis, die jede Schuld von sich weisen.

Die „Absolut Medien“-DVD basiert auf einer deutschen Filmkopie mit einem etwas abrupten Ende, wobei man zwischen deutschem und französischem Ton wählen kann. Leider setzen die englischen Untertitel in der zweiten Hälfte etwas zeitverzögert ein, was für beide Sprachfassungen zutrifft. Wie immer liegt ein ausführliches Booklet mit der Transkription von Paul Celans deutscher Übersetzung, Volker Schlöndorffs Erinnerung an seine erste Sichtung als Schüler in Frankreich und Alain Resnais‘ Anmerkungen von 1957 bei. Bedauerlicherweise versäumte man die Gelegenheit, die Edition mit weiteren Kurzfilmen des visionären Regisseurs zu ergänzen. Trotzdem handelt es sich um eine wichtige, notwendige Neuerscheinung.

Nacht und Nebel

Seine rund siebzigjährige Regiekarriere startete Alain Resnais mit zwei Dutzend dokumentarischen Kurzfilmen, die sich häufig um die Wechselwirkung von Kunst und Kultur mit der Historie drehten. Unterlegt wurden seine Filmessays durch einen literarisch-poetischen Kommentar, der schon seine spätere Vorliebe für die Verbindung verschiedener Kunstrichtungen anklingen ließ.
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