Die Kehrseite der Medaille (Blu-ray)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Die krude Faszination der menschlichen Verwahrlosung

Michael Chambers (Peter Gallagher) ist mit dem Bus in offensichtlich recht ambivalenter Stimmung nach Austin, Texas unterwegs. Seiner flüchtigen Reisebekanntschaft Susan (Elisabeth Shue) gibt er recht lakonissche Antworten auf ihre interessierten Fragen: Ja, er habe Verwandte dort, Mutter (Anjanette Comer) und Bruder (Adam Trese), ja, ein Besuch zur Hochzeit seiner Mutter, ja, so ungefähr zu Hause dort. Dabei ist Michael tatsächlich in seine offensichtlich unangenehmen Erinnerungen versunken, und dieser Zustand zieht sich immer wieder durch den gesamten Film, wobei diese Rückblicke ein wesentliches Element der komplexen Erzählstruktur dieses düsteren Dramas darstellen.
Mit Die Kehrseite der Medaille hat Steven Soderbergh 1995 erneut den Roman Criss-Cross von Don Tracy inszeniert, den Robert Siodmak 1949 bereits in Schwarzweiß mit Burt Lancaster in der Hauptrolle unter dem Titel Gewagtes Alibi / Criss Cross verfilmt hat. Während Letzterer stilistisch und zeitlich souverän in der klassischen Ära des US-amerikanischen Film noir verortet ist, hat Steven Soderbergh sein Remake in die 1990er Jahre transferiert und wagt eine inhaltliche Annäherung und Modifizierung des Stoffes mit Elementen des damaligen Neo-Noir-Trends. Formal äußern sich diese Bemühungen zuvorderst in der Farbgebung der Kameraarbeit, die dumpf-diffuse Bilder dräuender Depressivität produziert.

Als Michael bei den Seinen eintrifft, deuten sich allmählich und kontinuierlich alte, fortlaufend schwelende Konflikte an, besonders mit seinem Bruder David. Die Begegnung mit seiner einstigen Frau Rachel (Alison Elliott), die der Spieler Michael mit einem Haufen aufgestauter Schulden gnadenlos sitzenließ, verläuft zunächst unterkühlt, zumal diese nun mit dem recht zwielichtigen Barbesitzer Tommy Dundee (William Fichtner) liiert ist. Dennoch entschließt sich Michael, in Austin zu bleiben und kann vermittelt durch den neuen Partner seiner Mutter einen Job bei einer Geldtransportfirma beginnen. Als sich die Chance zu einer neuen Beziehung mit Rachel abzeichnet, denkt Michael nur noch an das ganz große Geld und schlägt ausgerechnet Tommy Dundee einen lukrativen kriminellen Coup vor…

Als unbeständiger, unreflektierter, verunsicherter und zudem absolut unzuverlässiger Charakter, der offenbar auch noch unvorbereitet in sein heimatliches Umfeld zurückkehrt, das er einst fluchtartig und maßlos überschuldet verließ, stellt Peter Gallagher (American Beauty, Mr. Deeds) mit seinem hier permanent uninspirierten Verlorenheitsblick durchaus eine passende Besetzung dar, deren vermutlich intendierte Facettenarmut allerdings nach ein paar Sequenzen nicht nur zur visuellen Tortur wird. Letztlich weist Die Kehrseite der Medaille weder eine wahrhaft sympathische Figur, noch eine mehr als tendenziell positive Entwicklung auf, wobei allerdings auch keine würdige Tragik entsteht, die den Pessimismus eines bewusst so inszenierten Films aufwerten oder – wie bei so manch klassischem Film noir – gar adeln könnte.

Doch es ist die Stimmung, die bedrückende, unheilvolle und aufdringliche Atmosphäre von emotionsarmen Arrangements, blassen Beziehungen und einer geradezu jämmerlichen Hoffnungslosigkeit, die diesen Film prägt und auszeichnet, der selbst einen zärtlichen Kuss als Illusion von Nähe deprimierend erscheinen lässt. Der ungleich bessere Originaltitel Underneath deutet treffend auf eine ungeheure Unterschwelligkeit der tristen Themen von Die Kehrseite der Medaille hin, die durch ihre vernachlässigte Berücksichtigung sozusagen eine krude Faszination auf der formalen Ebene entstehen lassen, wo die inhaltliche Dimension enttäuscht. Ansprechend oder gar anziehend wirkt dieser Stoff während der Sichtung bedauerlicherweise kaum, sondern stellt vielmehr ein kühles Konstrukt mit reichlich Reminiszenz an die Verwahrlosung der menschlichen Werte und Kreaturen dar.

Die Kehrseite der Medaille (Blu-ray)

Michael Chambers (Peter Gallagher) ist mit dem Bus in offensichtlich recht ambivalenter Stimmung nach Austin, Texas unterwegs. Seiner flüchtigen Reisebekanntschaft Susan (Elisabeth Shue) gibt er recht lakonissche Antworten auf ihre interessierten Fragen: Ja, er habe Verwandte dort, Mutter (Anjanette Comer) und Bruder (Adam Trese), ja, ein Besuch zur Hochzeit seiner Mutter, ja, so ungefähr zu Hause dort.
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