Songs from the Second Floor (OmU)

Eine Filmkritik von Falk Straub

"Alles hat seine Zeit"

Roy Andersson nimmt sich Zeit für seine Filme. Im vergangenen Jahr hat der schwedische Regisseur seine Trilogie über das Menschsein mit der Groteske Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach nach 14 Jahren abgeschlossen. Nun liegt auch der Auftakt, Songs from the Second Floor, in Deutschland erstmals auf DVD und Blu-ray vor.
Andersson ist ein Spätberufener des Kinos. Lange musste das internationale Publikum auf diesen Könner warten. Zwar besuchte der 1943 in Göteborg geborene Regisseur bereits 1967 die Hochschule des Schwedischen Filminstituts und reüssierte mit seinem Debüt Eine schwedische Liebesgeschichte 1970 bei der Berlinale. Nur fünf Jahre später, nach dem Misserfolg seines zweiten Spielfilms Giliap, zog sich Andersson aber bereits wieder vom Kino zurück. Neben einigen Kurzfilmen setzte er in den kommenden zweieinhalb Jahrzehnten mehr als 300 Werbespots um. Jede Menge Zeit also, den ihm eigenen Stil zu entwickeln, der seine Trilogie des Menschseins so unverwechselbar macht.

Songs from the Second Floor erzählt in nur lose miteinander verknüpften Episoden vom Ende einer Gesellschaft. Kilometerlange Staus und sich selbst geißelnde Anzugträger verstopfen die Straßen. Die Volkswirtschaft steckt in der Klemme. Pelle (Torbjörn Fahlström) verliert seine Arbeit. Kalle (Lars Nordh) zündet sein Möbelgeschäft an, um die Versicherungssumme zu kassieren. Und Uffe (Tommy Johansson) versucht sein Geld zur Jahrtausendwende mit dem Verkauf von Kruzifixen zu machen. Schließlich feiert Jesus nicht aller Tage einen runden Geburtstag. Die Wirtschaftsweisen sind mit ihrem Latein am Ende und blicken in die Kristallkugel einer Wahrsagerin, während eine riesige Trauergemeinde der Krise zu entfliehen versucht, indem sie ein unschuldiges Mädchen opfert. Alle sind in Bewegung, doch keiner kommt von der Stelle. Und über allem schweben zwei Sätze: „Alles hat seine Zeit“, der lakonische Kommentar von Pelles Vorgesetztem, und „Geliebt sei, wer sich hinsetzt“, eine Zeile aus einem Gedicht des Peruaners César Vallejo, die der Regisseur seinem Film vorangestellt hat.

Roy Andersson steigert die Absurdität dieses Reigens der Verzweifelten durch den Einsatz der formalen Mittel. Die Gesichter der Darsteller sind häufig kreideweiß, ihr Spiel mutet gewollt künstlich an. Die Kamera bewegt sich nur ein einziges Mal. Den Rest des Films reiht der Regisseur Tableau an Tableau – und beweist sich als Meister der Mise en Scène. Denn die starren, häufig lange gehaltenen Einstellungen sind bis ins kleinste Detail choreografiert. Schließlich gilt es, den Blick des Zuschauers nur durch die Position und die Bewegung der Figuren innerhalb der Kadrage zu lenken. Wiederholt nutzt Andersson dieses Wechselspiel von Verdecken und Enthüllen für eine visuelle Pointe, die eine groteske Szene in ein befreiendes, oft verblüfftes Lachen überführt.

„Alles hat seine Zeit“, könnte auch für Songs from the Second Floor selbst stehen. Wie lange es gedauert hat, eine solche visuelle Meisterschaft zu erlangen, zeigt der Dokumentarfilm Obsessions from the Second Floor, der im Bonusmaterial enthalten ist. Bereits in den 1970ern hatte Roy Andersson die Idee zu seinem dritten Spielfilm. Doch erst der Aufbau eines eigenen Filmstudios hat es dem Regisseur ermöglicht, an den Episoden lange genug zu feilen. Unzählige Probeaufnahmen zeugen davon, wie viele Versuche nötig waren, um die perfekte Bildsprache zu finden. Ein (Ab-)Warten, das sich gelohnt hat.

Songs from the Second Floor (OmU)

Roy Andersson nimmt sich Zeit für seine Filme. Im vergangenen Jahr hat der schwedische Regisseur seine Trilogie über das Menschsein mit der Groteske „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“ nach 14 Jahren abgeschlossen. Nun liegt auch der Auftakt, „Songs from the Second Floor“, in Deutschland erstmals auf DVD und Blu-ray vor.
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