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Unsere Erinnerungen seien unzuverlässig, heißt es in „Das unmögliche Bild“. Eine 13-Jährige dokumentiert darin mit der 8mm-Kamera das alltägliche Familienleben in der Wiener Vorstadt der 1950er Jahre. Selbst ihre Aufnahmen sind kein Beweis für tatsächlich Stattgefundenes.

Das unmögliche Bild (2016)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

So wird's gewesen sein

Wiener Vorstadtidylle Ende der 1950er Jahre, die Mutter sitzt mit ihren zwei ordentlich frisierten Töchtern im Garten. Gesichter, so breit lachend wie die Sonne am Himmel. Der Vater hält den perfekten Familiensonntag mit der 8mm-Kamera fest, dann drückt er seiner Ältesten Johanna (Jana McKinnon) das Gerät in die Hand. „Was siehst’n?“, fragt er sie. „Na, dich.“ Kurz darauf ist er tot, einfach umgekippt. Johanna behält die Kamera.

Mit ihrem Langfilmdebüt Das unmögliche Bild hat die österreichische Dokumentar-Regiestudentin Sandra Wollner ein Drama auf die Leinwand gebracht, das über weite Strecken so aussieht, als sei es aus tatsächlichem Archivmaterial zusammengeschnitten, aus den Amateuraufnahmen, die sich in einer Familie im Lauf der Jahre angesammelt haben. Johanna hält beständig mit der Kamera drauf: zum Geburtstag der kleinen Schwester, beim gemeinsamen Singen unterm Weihnachtsbaum, wenn der Opa vom Krieg erzählt. Wollte man die Erzählperspektive zur wichtigsten Instanz des Films erheben, so läse er sich zunächst einmal als eine Emanzipationsgeschichte. Aus der väterlichen Inszenierung des kleinen Glücks wird eine Familienchronik aus 13-jähriger, aus weiblicher Sicht: der Blick einer nachdenklichen Heranwachsenden auf ihre Vorgängerinnen.

Nach dem Tod des Vaters ziehen Mutter und Töchter zu den Großeltern. Die Großmutter (Eva Linder), eine schweigsame und harte Frau, dominiert das Haus, wird auf der Straße aber gemieden. Denn jede Woche kommen Frauen zum sogenannten Kochclub vorbei, die gemeinsam rauchen und Schnaps trinken, nur nie kochen. Regelmäßig verschwindet eine der Frauen mit der Großmutter im Hinterzimmer, dann drehen die anderen die Musik lauter. Man müsse nur lange genug hinschauen, desto mehr sehe man, glaubt Johanna.

Je länger man in Das unmögliche Bild hinschaut, desto mehr entpuppt sich jedenfalls der dokumentarische Anschein als Illusion, verschwimmen die Zuordnungen. Was ist Erinnerung, was ist Blick in die Zukunft, was ist Fantasie? Lässt sich das überhaupt auseinanderhalten? Die Kamera scheint durch die Wohnung zu schweben und plötzlich ist Johanna wieder selbst im Bild. Aber wer filmt dann? Etwa doch wieder der Vater, der gerade unvermittelt auf dem Bett der Mutter saß?

Die Szene irritiert, aber sie wundert einen nicht, denn Leben und Tod liegen in Das unmögliche Bild nah beieinander. Es müssen ja alle mal sterben, erklärt Johanna der kleinen Schwester und erinnert sich daran, wie sie selbst einmal fast ertrank. Das heißt, eigentlich erinnert sie sich weder daran, wie sie ins Wasser fiel, noch daran, wer sie wieder herausfischte. Nur an einen Karpfen erinnert sie sich, der habe sie unter Wasser aus seinen großen Augen heraus angestarrt. Später schwimmt ein Karpfen im Bottich seine Kreise. Die kleine Schwester protestiert, aber die Oma schneidet ihm trotzdem den Bauch auf. Das Gekröse zuckt noch Stunden später, das Rote sieht beinahe aus wie Himbeersaft.

Sandra Wollner montiert kurze, scheinbar willkürliche Sequenzen aneinander wie in einer Aphorismensammlung, erst spät ergibt sich daraus ein zusammenhängendes Narrativ. Auf diese Weise vermag sie so fantasievoll wie einfühlsam Tabuthemen anzuschneiden, von verqueren politischen Diskussionen am Abendbrottisch zu erzählen, von psychischer und physischer Brutalität hinter der Fassade familiärer Harmonie, vor allem aber von den sogenannten Engelmacherinnen und den Frauen, die sie aufsuchen. Wollner hat dafür allerhand Auszeichnungen bekommen, am wichtigsten wohl den Förderpreis Neues Deutsches Kino der Hofer Filmtage. Nichts scheint für ihre Geschichte besser geeignet als das 16mm-Material, auf dem Das unmögliche Bild gedreht wurde: zu rau und körnig, um hässliche Dinge weichzuzeichnen. Aber gerade ungewohnt genug für heutige Sehgewohnheiten, um eine gefühlte zeitliche Distanz zum Gesehenen zu schaffen, den Eindruck des Traumhaften zu verstärken.

Thematisch bewegt sie sich in Das unmögliche Bild auf vermintem Gebiet: nichts ist leichter als in der Diskussion um Abtreibungen und das Recht auf Entscheidungsgewalt über den eigenen Körper konträre Meinungen lautstark aufeinander prallen zu lassen. Das Traumhafte, das Geheimnisvolle und Unauflösbare, die Unmöglichkeit, klare Urteile zu fällen, wird daher bei Sandra Wollner zur zentralen Haltung. Johanna leistet sich lediglich gedanklichen Pragmatismus, darin ähnelt sie der Großmutter. Am Ende erklärt sie: „So war’s halt. Oder wie man sagt: So wird’s gewesen sein.“

Das unmögliche Bild (2016)

Wien in den 1950er-Jahren: eine Kindheit gebannt auf 8mm-Film, festgehalten von der 13-jährigen Johanna. Eine Kindheit, wie sie sich zugetragen hat in der Vergangenheit – oder zumindest in der Erinnerung.

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