Extinction

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Ein Survival-Thriller als zwischenmenschliches Drama

Es gibt Filme, die uns als Publikum langsam und erklärend an ihren Welt-Entwurf heranführen – und solche, die uns mitsamt den Hauptfiguren ohne Vorwarnung mitten in einen Konflikt schleudern, den wir erst nach und nach zu begreifen vermögen. Extinction von Miguel Ángel Vivas ist ein Musterbeispiel für diese in-medias-res-Methode. Es gelingt hier, unseren Mangel an Informationen und Orientierung zur Maximierung der Spannung einzusetzen. Und wiewohl die Einstiegssequenz mit ein paar wuchtigen Schockmomenten daherkommt, geht es dem Regisseur und Ko-Drehbuchautor in seinem Werk unverkennbar um eine emotionale Spannung: Das mit wenigen Strichen skizzierte Szenario einer Epidemie verdichtet sich rasch zum Kampf einer kleinen Gruppe, deren genaues Verhältnis untereinander zunächst unklar bleibt.
Bei diesen Personen handelt es sich um Patrick (Matthew Fox), Jack (Jeffrey Donovan), Emma (Valeria Vereau) und deren Baby. Die vier sind gerade aus einem Bus entkommen, der von infizierten, „zombifizierten“ Mitbürgern attackiert wurde. Als Emma und ihr Kind abermals angegriffen werden, kann die Gefahr zwar gebannt werden – doch der Angriff hinterlässt eine fatale Spur. Ein Zeitsprung von neun Jahren befördert uns in die Postapokalypse; aus Emmas Baby ist inzwischen ein junges Mädchen, genannt „Lu“ (Quinn McColgan), geworden. Die anfangs gezeigte Kleinstadt Harmony hat sich in eine verlassene Schnee- und Eislandschaft verwandelt. Jack und „Lu“ leben zu zweit in einem Haus – ihnen gegenüber wohnt der einsame Patrick, der erfolglos versucht, Kontakt mit anderen Menschen aufzunehmen. Zwischen den beiden Männern herrscht Hass und Wut; in kurzen Rückblenden entfaltet sich, was einst vorgefallen ist. Als Patrick (auf der gegenwärtigen Zeitebene) bei der Suche nach Nahrung auf eine äußerst aggressive Kreatur trifft, müssen die drei Überlebenden erkennen, dass die „Zombies“ von damals nicht (wie erhofft) in der Kälte gestorben sind, sondern noch immer eine Bedrohung darstellen.

Die auf dem Roman Y pese a todo… von Juan de Dios Garduño basierende Geschichte hat nicht gerade allzu viel Neues zu bieten – was auch die verschachtelte Erzählweise mit ihrer cleveren Informationsökonomie nur bedingt kaschieren kann. Insbesondere im finalen Akt verfällt das Geschehen in seiner abrupten Zuspitzung sowohl dramaturgisch als auch inszenatorisch in Horror- und Endzeitfilm-Klischees. Doch Extinction lebt in erster Linie von seinen Figuren sowie dem nuancierten Spiel der Seriengesichter Matthew Fox (Lost) und Jeffrey Donovan (Burn Notice). Miguel Ángel Vivas ist an den Menschen interessiert – an ihren Stärken und Schwächen, Ängsten und Verwundungen sowie (vor allem) ihren komplizierten Beziehungen zueinander. Patrick und Jack werden – vielleicht etwas zu plakativ – als Gegensätze entworfen: Während aus Jack ein (über-)fürsorglicher Vater geworden ist, der in seinen vier Wänden strenge Regeln aufstellt, um der jungen „Lu“ einen halbwegs geordneten Alltag zu ermöglichen, hat sich Patrick zu einem einzelgängerisch-abgetakelten Raubein mit Zottelhaar, Rauschebart und Alkoholproblem entwickelt, der mit seinem Hund in einem Messie-Haushalt wohnt und allmählich den Verstand zu verlieren droht. Beide Männer sind tragisch Zerrissene – und ihre Zeichnung sowie die schauspielerische Interpretation der Rollen sind von Ambivalenz durchzogen, wodurch die beiden immer ein bisschen undurchschaubar bleiben.

In den ersten zwei Akten beweist der Regisseur viel Gespür für Atmosphäre. Für die Gestaltung der dystopischen Welt stand dem Film-Team augenscheinlich nicht das Budget eines Hollywood-Blockbusters zur Verfügung; dennoch sind hier mitunter wirkungsvolle Bilder entstanden. Die zombieartigen Wesen in der Auftaktsequenz erinnern an die Infizierten aus Danny Boyles 28 Days Later; nach dem Zeitsprung wird der Gefahr eine (noch) monströsere Gestalt verliehen, die dazu beiträgt, aus Extinction einen soliden Genre-Vertreter zu machen. Neben der Spannung sowie der intensiv dargebotenen Dramatik bleibt in der von „Lu“ herbeigeführten Wiederannäherung von Patrick und Jack sogar noch Platz für leisen Humor. Alles in allem: eine gute Arbeit.

Extinction

Es gibt Filme, die uns als Publikum langsam und erklärend an ihren Welt-Entwurf heranführen – und solche, die uns mitsamt den Hauptfiguren ohne Vorwarnung mitten in einen Konflikt schleudern, den wir erst nach und nach zu begreifen vermögen. „Extinction“ von Miguel Ángel Vivas ist ein Musterbeispiel für diese in-medias-res-Methode. Es gelingt hier, unseren Mangel an Informationen und Orientierung zur Maximierung der Spannung einzusetzen.
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