23 Schritte zum Abgrund

Eine Filmkritik von Rajko Burchardt

Das Fenster zur Themse

Der US-amerikanische Bühnenautor Phillip Hannon (Van Johnson) hat sich nach einer Erblindung in London niedergelassen und Kontakte zu früheren Weggefährten abgebrochen. Als Hannons Ex-Verlobte Jean (Vera Miles) unangekündigt vor der Tür seines Apartments steht, findet sie einen vergrämten Mann vor, der ihr und dem fürsorglichen Butler Bob (Cecil Parker) nur noch mit zynischen Sprüchen zu begegnen weiß. Hannon schreibt bzw. diktiert nach wie vor erfolgreiche Theaterstücke (über ein Tonbandgerät, das später vom einfachen Arbeitsmittel zum Wahrheit und gezielt Verwirrung stiftenden Schlüsselobjekt wird), eine aktive Teilnahme am Leben jedoch versagt er sich konsequent.
Für den Auftakt des wunderbar altmodischen Thrillers 23 Schritte zum Abgrund braucht Regisseur Henry Hathaway kaum mehr als die Weltverlorenheit seines Protagonisten und einen beengten Spielraum hoch über der Themse, um alle wesentlichen Figuren in ein psychologisches Spannungsfeld zu setzen. Kurz darauf belauscht der selbstmitleidige Hannon im nahe gelegenen Pub eine geheime Unterhaltung, die er als Entführungsplan zu identifizieren glaubt. Weil er die Polizei aber nur schwerlich von der Eindeutigkeit der aufgeschnappten Gesprächsfetzen überzeugen kann, beginnt der plötzlich aus seiner Lethargie gerissene Ohrenzeuge auf eigene Faust zu ermitteln.

Aus den (ziemlich erfinderischen) Nachforschungen des Mannes entwickelt der Film allmählich einen Krimiplot, der uns keinen Wissensvorsprung und also keinen Suspense gönnt, dafür aber von bestechender Logik ist. Während das Rätselraten einige vergnügliche und gelegentlich schöne melodramatische Momente schafft, verdichten sich die Details über das bevorstehende Verbrechen schließlich zu einem konkreten Bedrohungsszenario für Hammon selbst. Teile der Handlung und insbesondere der Schlussakt nehmen nicht nur sehr konkret Terence Youngs Warte, bis es dunkel ist (1967) vorweg, sondern scheinen auch bekannte Gialli wie Die Neunschwänzige Katze (1971) oder The Crimes of the Black Cat (1972) beeinflusst zu haben.

23 Schritte zum Abgrund aber orientiert sich selbst an einem anderen Film, jedenfalls sind die Parallelen zu Das Fenster zum Hof kaum von der Hand zu weisen. Zwar basiert er auf einem Roman des britischen Krimiautors Philip MacDonald (der 1938 unter seinem Originaltitel auch schon einmal verfilmt wurde), die Vorlage aber ist ungleich weniger auf ihren invaliden Protagonisten und dessen eigenmächtige Ermittlungen zugeschnitten. Das macht natürlich überhaupt nichts, im Gegenteil: Verstaubten viele zeitgenössische Hitchcock-Nachzügler jahrzehntelang in den Archiven ihrer Studios, wirken sie gerade im Blick von heute oft überdurchschnittlich souverän inszeniert. Und tatsächlich etwas falsch machen kann man mit Filmen des am klassischen Hollywoodsystem geschulten Henry Hathaway ohnehin nicht.

Im Gegensatz zur formatentstellten US-Veröffentlichung des in CinemaScope gedrehten Films präsentiert das DVD-Label Pidax den Thriller jetzt in authentischer und einwandfreier Bild- wie Tonqualität. Neben der deutschen Synchronfassung ist auch der Originalton anwählbar, Untertitel gibt es leider keine. Extras beschränken sich wie bei Pidax üblich auf einen Nachdruck der zeitgenössischen Illustrierten Film-Bühne in Einlegerform, das Cover ist wendbar. Insgesamt genügt das aber, um eine klare Kaufempfehlung auszusprechen.

23 Schritte zum Abgrund

Der US-amerikanische Bühnenautor Phillip Hannon (Van Johnson) hat sich nach einer Erblindung in London niedergelassen und Kontakte zu früheren Weggefährten abgebrochen. Als Hannons Ex-Verlobte Jean (Vera Miles) unangekündigt vor der Tür seines Apartments steht, findet sie einen vergrämten Mann vor, der ihr und dem fürsorglichen Butler Bob (Cecil Parker) nur noch mit zynischen Sprüchen zu begegnen weiß.
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