The Isle (2000)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Von der Symbolik verschluckter Angelhaken

Mit stillen Bildern eines landschaftlichen Idylls von betörender Schönheit beginnt Kim Ki-Duks Spielfilm The Isle aus dem Jahre 2000. Inmitten eines von dichtem Grün umgebenen Sees laden kleine, bunte Hütten mit Veranda zur kontemplativen Weltflucht und zum Angeln ein. Die aparte Hee-Jin (Suh Jung) kümmert sich wortlos um ihre Gäste, die sie mit ihrem Boot am Ufer abholt, zur schlichten Unterkunft bringt und mit benötigten Kleinigkeiten versorgt. Ansonsten hält sie die Anlage instand, balgt mit ihrem Hund als einzigem Gefährten und lässt sich gelassen und müßig durch die Natur und die Tage treiben. Doch die augenscheinliche Geruhsamkeit dieses harmonischen Auftakts stellt sich durch den Zuwachs an Details der menschlichen Interaktionen innerhalb dieses Insel-Exils abseits der Zivilisation zunehmend als trügerisch heraus.

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Als Hee-Jin ein zockendes Männertrio mit Kaffee beliefert, zeigt sich sowohl, dass ihr Service auch schnellen, bezahlten Sex beinhaltet, als auch, dass die Umgangsformen der meist männlichen Gäste ihr gegenüber von Geringschätzung bis zu Verachtung reichen. Dennoch ist die stumme, aufmerksame Schönheit auch insgeheim die Herrscherin der Anlage, der nichts entgeht und die – wie sich später noch zeigen wird – ihre verborgene Macht einer launischen Guerilla-Strategie gleich einsetzt. Die Praxis, weitere Prostituierte in die Hütte zu bestellen, ist weit verbreitet, so dass der See im Grunde ein schwimmendes Stundenhotel beherbergt, in dem sich das Fischen und die Penetration mit wechselhafter Priorität abwechseln. Als der flüchtige, suizidale Hyun-Shik (Kim Yoo-Suk) sich nach einer lediglich in einem Traum angedeuteten Bluttat bei ihr einmietet, erhält Hee-Jin ein Subjekt ihrer Sehnsüchte.

Während sich der Alltag in der Angelanlage an räudigen bis abstoßenden kleinen Begebenheiten einer unmotivierten, schäbigen Männer-Muße entlanghangelt, steuert Hee-Jin zielstrebig auf eine geradezu gewalttätige Annäherung an Hyun-Shik zu. Sie beginnt, ihr brutal-mächtiges Geheimleben vor dem scheuen Fremden zu offenbaren und verstrickt ihn in ihre Gelüste und Grausamkeiten. Halb zog sie ihn, halb sank er hin avanciert Hyun-Shik zu ihrem Gefährten und Komplizen, und es ist nur eine Frage der Zeit, dass diese schwerlastige Verzweiflungsbeziehung in eine drastische, unentrinnbare Situation voller Absurdität und Abscheu gleiten wird. Mit der wachsenden Grobschlächtigkeit der Geschehnisse auf dem See – wie etwa mit der freudigen Folter der Fische – gnadenlos vorbereitet und unheilvoll angekündigt, entfaltet sich hier schleichend ein irreversibler Horror, fokussiert auf das triste Paar.

Auch wenn oder gerade weil die Motivationen der unvermittelt ins dröge Dasein katapultiert erscheinenden Figuren mit allenfalls vage angedeuteter Vergangenheit überwiegend schleierhaft bleiben, haftet der Handlung von The Isle eine unberechenbare Beliebigkeit an, von der Gewissheit eines pessimistischen Ausgangs abgesehen. Es wäre nicht der südkoreanische Filmemacher Kim Ki-Duk, wenn es hier tatsächlich einen Ausweg für das mit- und gegeneinander zerrissene Paar gäbe, das in rasantem, ungesundem Tempo das oftmals lange dräuende Drama einer zerstörerischen Abhängigkeit aus Intimität, Verletzung, Heilung und erneuter Nähe unterwegs zur nächsten Verwundung im Kreislauf der Verbundenheit zelebriert. Als Hee-Jin Hyun-Shik vor der Selbsttötung rettet, geschieht dies in einem Akt unnötig roher Gewalt – ein signifikanter Ausdruck ihrer Art der Liebe.

Im Interview unter den Extras der Blu-ray erklärt der Regisseur und Drehbuchautor seinen persönlichen wie künstlerischen Begriff von Schönheit, der gerade auch das Grausame, das Widerliche impliziert und somit in Bezug auf diesen Film auch im cineastisch-ästhetischen Sinne eine eklatant zugespitzte Eleganz aufweist. Möglicherweise stellt die Verbindung der emotional verrohten Frau Hee-Jin mit dem lebensmüden Mörder Hyun-Shik ein extrem absurdes Abbild der universellen Essenz einer Liebesbeziehung dar, die hier mindestens für einen der beiden zwingend tödlich enden muss. Seine längst trefflich erprobte und bewiesene Kunst, den Blick und die Kamera bewusst und bewegend dorthin zu richten, wo düstere menschliche Kräfte gären, verstören und schmerzen, hat Kim Ki-Duk mit The Isle wiederum verfeinert – ein gruselig-großartiger Film mit beachtlichem Nachbebeneffekt.
 

The Isle (2000)

Mit stillen Bildern eines landschaftlichen Idylls von betörender Schönheit beginnt Kim Ki-Duks Spielfilm „The Isle“ aus dem Jahre 2000. Inmitten eines von dichtem Grün umgebenen Sees laden kleine, bunte Hütten mit Veranda zur kontemplativen Weltflucht und zum Angeln ein.

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