Bunch of Kunst

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Great Britain aus der Gossenperspektive

Sie gelten als die härteste, die raueste, die wütendste Band der Gegenwart eines desillusionierten britischen Königreichs, das derzeit heftig an den Folgen der fatalen Brexit-Entscheidung und der daraus resultierenden Spaltung quer durch das Land leidet. Und allein schon deswegen passen der „Sänger“ Jason Williamson (eher rappt bis brüllt er seine rotzigen Texte ins Mikro, als dass man das Gesang nennen könnte) und der Soundtüftler und Schrittmacher Andrew Fearn exzellent zu der eigenartigen Stimmung auf der Insel. Auch an ihnen und ihrem Manager Steve Underwood – gewissermaßen der Dritte in diesem infernalischen Bunde – scheiden sich die Geister. Davon kann mancher Journalist und Interviewer eine ganze EP singen, denn man weiß bei Gesprächen mit der Band angeblich nie, ob es gleich eine ordentliche Tracht Prügel oder ein gemeinsam gezischtes Special Brew gibt – oder vielleicht auch einfach beides in variierender Reihenfolge.
Ähnlich ambivalent ist die Haltung vieler Musikfans zu den Sleaford Mods: Manch einer hasst vor allem die Monotonie und lähmende, immer gleiche Mischung aus Suffstimmung, elektronisch rumpelnden bis humpelnden Beats nach dem nahezu identischen (Computer)Strickmuster und den im harten Dialekt der East Midlands geshouteten Ansichten eines typischen Pubgängers aus der Unterschicht – und andere lieben genau das. Immerhin – und das sollte den Skeptikern zu denken geben – bezeichnete Iggy Pop die beiden aus Nottingham stammenden Mittvierziger vor nicht allzu langer Zeit als „greatest rock’n’roll band“. Und normalerweise ist der große Überlebende von Glam und Punk schon ein Gradmesser für Qualität mit eingebautem Provokationsfaktor. Davon zumindest besitzen die beiden immerhin einiges. Auch sonst gibt es zum Einstieg erstmal jede Menge Lobeshymnen von Kollegen wie Geoff Barrow von den ebenfalls geschmackssicheren TripHop-Veteranen Portishead und anderen Bewunderern.

Zwar reicht die Bandhistorie, wenn man es genau nimmt, um einiges weiter zurück – bis zum Jahre 2012 bestand die Band aus Williamson und dem Musiker Simon Pafrement, der dann jedoch ausstieg, heute aber immer noch zum Umfeld der Posse gehört –, aber der Film der Musikjournalistin Christine Frantz interessiert sich herzlich wenig für weit Zurückliegendes, sondern konzentriert sich vor allem auf die Gegenwart und die unmittelbare Vergangenheit der Sleaford Mods – bei so viel pumpendem Zeitgeist ist das auch kein Wunder.

Allerdings sind die Sleaford Mods bei aller Gegenwärtigkeit keineswegs so neu, wie manche Musikgazetten das gerne hätten: Die Kombination aus hartem britischem Dialekt und rasantem HipHop-Flow hat Mike Skinner alias The Streets schon zum Beginn der 200er Jahre vorexerziert. Noch weiter zurück reicht das Granteln von Mark E. Smith und seiner Band The Fall, der seit den 1980er Jahren zu den musikalischen Erzfeinden der konservativem Premierministerin Margaret Thatcher gehörte. Neben diesen beiden Bezugsgrößen gehören auch Mod-Bands – allein der Name deutet es bereits an – wie The Jam zu den Einflüssen, die Williamson und Fearn in ihren musikalischen Genen tragen.

Jens Balzer schrieb vor einigen Jahren in der Berliner Zeitung über die Sleaford Mods folgende treffenden Sätze, die das Mysterium der angesagten Radaubrüder kongenial in Worte gießen: „Sie sind hässlich. Sie sind Männer. Sie haben schreckliche Frisuren. Sie sind schlecht angezogen. Sie sind nicht mehr die Jüngsten. Sie sehen aus, als ob sie nicht besonders gut riechen. Sie können nicht singen. Sie können nicht tanzen. Eigentlich können sie auch keine Songs komponieren. Und sie haben sehr schlechte Laune.“ Und Bunch of Kunst ist definitiv der Film, der diese Diagnose auf die Filmleinwand fortschreibt. Das ist trist, grau, mitunter recht monoton, selten schön anzusehen und bisweilen vor allem textlich weit jenseits des vermeintlich guten Geschmacks. Immerhin aber tragen die Protagonisten ebenso wie der Film selbst das Herz auf dem rechten Fleck – und Hand aufs Herz: Wann hat man sich jenseits der Vierzig so sehr als Punk gefühlt wie beim Besuch eines Konzertes der Sleaford Mods? Danach oder nach diesem Film geht’s dann ins durchgentrifizierte Ausgehviertel auf eine Rhabarbersaftschorle, ein Craft Beer oder einen Grünen Veltliner vom Bio-Winzer – fancy!

Bunch of Kunst

Sie gelten als die härteste, die raueste, die wütendste Band der Gegenwart eines desillusionierten britischen Königreichs, das derzeit heftig an den Folgen der fatalen „Brexit“-Entscheidung und der daraus resultierenden Spaltung quer durch das Land leidet.
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