Das rote Zelt

Eine Filmkritik von Peter Osteried

Philosophische Action

Eine sowjetisch-italienische Ko-Produktion ist sicherlich ungewöhnlich, ergibt aber gerade bei einem Stoff wie Das rote Zelt Sinn, ist es doch eine russisch-italienische Geschichte, die hier im Mittelpunkt steht und die weitestgehend vergessen ist. Fast so wie dieser doch recht obskure Film, der im Oeuvre von Sean Connery (hier grau und mit lichtem Haar) allenfalls eine Fußnote darstellt.
Der Zeppelin Italia fliegt im Jahr 1928 über die Antarktis und havariert. Nach dem Absturz sehen sich die Überlebenden einer tödlichen Gefahr gegenüber. Auf Rettung zu hoffen, ist trügerisch, da niemand weiß, wo sie abgestürzt sind. Rettungsmaßnahmen werden jedoch unternommen. Suchflugzeuge werden ausgesandt und ein russischer Eisbrecher zieht los. Die Frage nach der Schuld ist jedoch ungeklärt – und bildet den Rahmen dieses historischen Dramas mit melodramatischem Touch.

Auf der neuen DVD findet sich die internationale Fassung, die sowjetische Version gilt weitestgehend als verschollen. Sie soll eine Laufzeit von zweieinhalb Stunden gehabt haben, wobei einige Quellen auch andere Laufzeiten angeben. Möglich, dass die längere Fassung dem Film gut getan hat, so wirkt Das rote Zelt bisweilen jedoch etwas holprig. Aber das mag auch daran liegen, dass die eigentliche Geschichte in Rückblenden erzählt wird, während in der gegenwärtigen Handlung versucht wird, die Schuld des Kommandanten anhand der Ereignisse auf den Prüfstand zu stellen. Das Kuriose ist dabei sicherlich, dass dieses Tribunal von dem Kommandanten selbst in regelmäßigen Abständen einberufen wird, da er sich seiner eigenen Schuld stellen will. Nur diesmal verläuft es etwas anders.

Der interessanteste Aspekt an dieser Form der Erzählung ist dabei, dass er sich mit individueller Schuld, vor allem aber dem Problem, von ihr aufgefressen zu werden, befasst. Denn die Hauptfigur kann sich selbst nicht vergeben und leidet darum noch Jahrzehnte nach dem Ereignis unter dessen Ausgang. Er stellt sich der eigenen Imagination, indem er die Hauptakteure jenes Ereignisses nicht nur ins Gedächtnis ruft, sondern Zwiesprache führt, in verschiedene Rollen schlüpft und seine Entscheidungen hinterfragt.

Zudem stellt der Film die Frage, welche Qualitäten ein Anführer haben muss, und wo er sich von seinen direkten Untergebenen – auch durchaus jenen mit Befehlsgewalt – unterscheiden muss. Diese Elemente machen Das rote Zelt interessanter als der Umstand, dass hier Menschen in einer (fast) ausweglosen Situation ums Überleben kämpfen müssen. Das wiederum ist in großen Bildern eingefangen, und wirkt umso beeindruckender, da man weiß, dass hier ohne moderne Effekttechnik gearbeitet werden musste. Was man hier sieht, atmet den Hauch des Authentischen.

Das rote Zelt ist ein philosophischer Actionfilm, als solcher recht einzigartig, mit einer Struktur, die im Theater vielleicht besser verfängt. Obskur ist er dennoch, aber dank dieser technisch ordentlichen DVD kann man den Film nun neu entdecken.

Das rote Zelt

Eine sowjetisch-italienische Ko-Produktion ist sicherlich ungewöhnlich, ergibt aber gerade bei einem Stoff wie „Das rote Zelt“ Sinn, ist es doch eine russisch-italienische Geschichte, die hier im Mittelpunkt steht und die weitestgehend vergessen ist. Fast so wie dieser doch recht obskure Film, der im Oeuvre von Sean Connery (hier grau und mit lichtem Haar) allenfalls eine Fußnote darstellt.
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Meinungen

Martin Zopick · 06.10.2022

Großes Star Kino, das an der Kinokasse floppte.
Diese Mischung aus dokumentarischen und nachgemachten Retros und einem intellektuellen Konstrukt: d.h. ein imaginärer Strafprozess der lebenden Leichen und der Toten, entscheidet über Schuld und Verantwortung, Befehlsgewalt und Heldentum auf der Grundlage der damals bekannten Fakten in Bezug auf eine 1928 gescheiterte Expedition zum Nordpol und auch eines teilweise wenig erfolgreichen Rettungsversuchs.
Der gerettete Kapitän Nobile (Peter Finch) ist mit seinen schlaflosen Albträumen der Ausgangspunkt der Geschichte. Er hat nicht wie auf See üblich als letzter das (Luft)Schiff verlassen. Hardy Krüger ist der Flieger, der ihn vom Eis holte und der sich Hoffnungen macht von der Krankenschwester Valeria (Claudia Cardinale) belohnt zu werden. Sean Connery schwebt als die große Lichtgestalt Amundsen über den Wassern des ewigen Eises der Arktis und unterlegt die Fakten mit philosophischen Apercus.
Sie alle diskutieren über Fehlverhalten bzw. aus der Situation heraus entstandenes Heldentum. Das geht auf Kosten der Spannung, die sich im Laufe des Films verflüchtigt.
Und so bleibt das Ende sonderbarerweise unbefriedigend offen, obwohl es an menschlicher Tragik keineswegs mangelt.
Die ganze Problematik ist zu verkopft in Szene gesetzt. An entscheidenden Stellen lässt Regisseur Kalatosow keine echte menschliche Nähe zu und hält uns auf Distanz. So kommt die Kuh nicht vom Eis und die Zuschauer werden weder emotional noch rational in den Bann der Handlung mit einbezogen. Alles erstarrt im ewigen Eis.