SM Richter

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Chronik eines realen Skandals

Wenn Filme „Skandalfilme“ genannt werden, bedeutet das meistens, dass sie eine dieser zwei Ingredienzen beinhalten: Sex und Gewalt. Zweitere ist ja inzwischen recht salonfähig geworden, erstere ist Grund dafür, dass Erik Lamens SM Richter ein „Skandalfilm“ ist. Denn augenscheinlich geht es hier um Sadomasochismus.
Koen Allegaerts (Gene Bervoets) ist Richter und lebt mit seiner Frau Magda (Veerle Dobbelaere) und seiner Tochter ein beschauliches Leben. Ein bisschen zu beschaulich für Magda, die einer tiefen Depression verfällt, bis sie ihrem Mann eines Tages gesteht, dass sie eine ausgeprägte masochistische Veranlagung hat und diese die letzten 30 Jahre unterdrückte. Koen, der seine Frau über alles liebt, lässt sich darauf ein mit ihr ein wenig BDSM auszuprobieren. Und schon hier bricht der Film eigentlich seinen ihm angeblich inhärenten skandalös-sexuellen Inhalt, denn BDSM (ein
Sammelbegriff für Bondage/Discipline/Dominance/Submission/Sadism/Masochism) wird hier nicht mit Sex gleichgesetzt. Magda will nicht vögeln und dabei ein wenig auf den Hintern bekommen. Magda will einen ihrer Persönlichkeit immanenten Teil ausleben dürfen: Schmerzen ertragen, um sich zu fühlen, um bei sich zu sein. Die augenscheinliche sexuelle Perversion ist also vielmehr eine Emanzipation, ein Zu-sich-kommen. Und das Resultat folgt auf dem Fuße. Koens Frau blüht auf, entkommt der Depression und die beiden verbessern ihre Lebensqualität immens. Doch so einfach ist das natürlich nicht, denn die Gesellschaft hat Normen und Regeln — und zu denen gehört BDSM nicht. Eines Tages wird bekannt, dass die Allegaerts BDSM praktizieren und Koen wird daraus ein Strick gedreht. Der Staatsanwalt und diverse andere Kollegen, die ihn eh schon auf dem Kieker hatten, klagen ihn an: Körperverletzung und Zuhälterei werden ihm vorgeworfen. Dass seine Ehefrau einwilligte und die beiden in ihrem Privatleben einfach das getan haben, was sie wollten, ist plötzlich irrelevant. Magda wird entmündigt und als verwirrtes Opfer dargestellt, Koen als Perverser. Das Ehepaar verliert alles: Job, Haus, die Tochter und vor allem das Recht auf Privatsphäre und Würde. Der Film basiert auf einer wahren Begebenheit, was seine tragische Entwicklung umso bedrückender macht. Selbst wer mit BDSM nichts anfangen kann, kann nachvollziehen, dass man als Mensch Bedürfnisse hat, die nicht dem konservativen Mainstream entsprechen, die aber wohl integral für das eigene Wohlbefinden sind.

Filmisch gesehen ist Lamens SM Richter kein Meisterwerk, sondern steht eher in der Tradition eines guten Fernsehfilms. Schauspiel, Ausstattung, Beleuchtung, Kamera — alles solides Handwerk, manchmal ein wenig steif, manchmal einfach zu reduziert auf einfache Bilder. Hervorragend allerdings sind die Dialoge, die menschlich, allzu menschlich das emotionale Hin und Her nicht in Angst und Wehleid ersticken, sondern es beleben mit Ironie, Charme, Wut und vielen anderen Emotionen. Hier tut der Film dem Ehepaar, dessen Schicksal als Vorlage dient, wirklich einen Dienst. Wie einfach wäre es gewesen, auf Distanz und kühl diesen Leuten gegenüber zu bleiben und so eine Haltung ihnen gegenüber zu haben, aus der auf sie herabgeschaut wird. Doch so einfach macht es sich Lamens nicht, er bleibt auf dem Boden der Tatsachen, er bleibt mit dem Film bei den Menschen, um die es geht.

Hier zeichnet sich auf einmal der Vorteil der DVD ab, denn abgesehen vom Film kommt diese noch mit einem Interview des echten Ehepaares daher. Und hier, im Dokumentarischen, wird es wirklich hart. Die beiden, inzwischen in die Jahre gekommenen, berichten davon wie es ihnen erging und man sieht ihnen an, wie sehr sie noch heute an der Demütigung und dem Verlust leiden. Und so sehr der Spielfilm in seinem Kern ein Plädoyer für die eigene Freiheit und das Ausleben seiner Wünsche und Träume ist, so sehr ist dieses Interview ein Mahnmal für die Unerbittlichkeit von anderen Menschen, die nicht verstehen und nicht verstehen wollen, die urteilen und zerstören, um ihre eigenen Normen gewahrt zu sehen. Wenn man der Ehefrau im Interview zusieht, wie sie davon erzählt, dass ihre Kinder sich drei Jahre nicht gemeldet haben und sie eine Menge Medikamente nehmen muss, um halbwegs klar zu kommen und wenn man hört, dass die beiden den Weg, der für sie der richtige war, durch die Gerichtsverhandlungen verließen und nie wieder BDSM praktizierten, obwohl es sie glücklich machte, dann wird einem erst richtig bewusst, wie viel Schmerz hier hinzugefügt wurde.

Im Praktizieren jeglicher Arten von BDSM gibt es eine Grundregel: Beide Partner müssen vorher in alles einwilligen. Es bedarf immer der Zustimmung zum Schmerz. Man ist kein Opfer, man ist ein Partner. Die Vertreter der moralischen Instanzen, die hier den Allegaerts ihren Willen aufgezwungen haben — sie haben nie danach gefragt, was ihr Gegenüber eigentlich will. Sie sind die eigentlichen Sadisten in diesem tragischen Spiel.

SM Richter

Wenn Filme „Skandalfilme“ genannt werden, bedeutet das meistens, dass sie eine dieser zwei Ingredienzen beinhalten: Sex und Gewalt. Zweitere ist ja inzwischen recht salonfähig geworden, erstere ist Grund dafür, dass Erik Lamens „SM Richter“ ein „Skandalfilm“ ist. Denn augenscheinlich geht es hier um Sadomasochismus.
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