Colt 45

Eine Filmkritik von Thorsten Hanisch

Anti-Männerfilm

Eine Szene in Colt 45 steht für die hinterhältige Art des ganzen Films: Vincent (zwischen stoisch und verzweifelt: Ymanol Perset), der junge, geniale Waffenmeister der französischen Nationalpolizei, trifft auf einem Schießstand den Kollegen Milo Cardena (schmierig-undurchschaubar: Joey Starr). Ganz archetypisch wird versucht, mit dem Schießprügel festzustellen, wer den Längeren hat. Da allerdings beide hervorragend mit ihrem Gerät umzugehen wissen, beschließt man, den nun eigentlich logischen Faustkampf gegen ein gemütliches Bier in der Kneipe einzutauschen.
So oder so ähnlich werden Männerbünde schon von je her geschlossen, zahlreiche Western oder Actionfilme liefern den Beweis. Doch Milo ist kein Freund, er ist ein Feind, er hat Böses vor mit dem arglosen jungen Mann, der trotz Waffenfetisch eigentlich ein Grundguter ist (Ein Angebot, bei der Spezialeinheit einzusteigen, wird abgelehnt, denn das Töten liegt ihm nicht, er bastelt lieber an Kanonen rum), aber eben deshalb auf der Leiter des Glücks immer tiefer und tiefer fällt. Das Problem ist nämlich: Vincent hat eine neuartige Munition entwickelt, die sogar Kevlar-Westen durchdringt. Milo will sie — natürlich für außerdienstliche Zwecke — haben und verstrickt Vincent aus diesem Grund in einen Mord.

Wie Vincent nun versucht, Geschehenes wieder ungeschehen zu machen, dabei aber immer mehr und mehr in den Abgrund schlittert und dabei auch die Untiefen so ziemlich aller ihn umgebenden Kollegen realisieren muss, schildert der belgische Regisseur Fabrice Du Welz extrem gradlinig und extrem gnadenlos.

Welz, der erstmals 2004 mit dem Horrorfilm Calvaire auf sich aufmerksam machte, scheint es sich in den Kopf gesetzt zu haben, mit jedem neuen Film bekannten Themen einen eigenen Stempel aufzudrücken. Mit Colt 45 wird der klassische Männerfilm seziert und zu diesem Zweck gleichzeitig auch wieder ein Leitmotiv aus Calvaire und dem Nachfolgefilm Vinyan (2008) weiterverfolgt: Die tief verwurzelte Zuneigung, aber gleichzeitig auch Angst vor der stetig geheimnisvollen Frau. Während in Calvaire noch der männliche Hauptprotagonist gewaltsam feminisiert wird, um deren Abwesenheit in genehmer Form zu kompensieren, inszeniert Vinyan die Frau als fast schon geisterhafte Überlebensgröße gegenüber der hilflos-zappelnden Maskulinität. In Colt 45 greift Welz diese Relation wieder auf und treibt sie bis ins Extrem: Es gibt in diesem Film nur eine einzige Frauenfigur, Isabelle, eine Beamtin der Nationalpolizei, und diese steht mit ihrem warmherzigen, sympathischen Charakter im steilen Kontrast zum sie umgebenden Wolfsrudel. Da mutet es fast natürlich und konsequent an, dass sie, traurigerweise, dieser Männerwelt, in der ohne Ausnahme jeder jeden betrügt und die sich im Endeffekt nur dadurch definiert, wer weniger und wer mehr Dreck am Stecken hat (Colt 45 lässt an seinen männlichen Protagonisten nicht das kürzeste Stück gutes Haar) und in der Gewalt die einzige Antwort ist, auf brutale Weise zum Opfer fällt.

Opfer wird zum Schluss auch Vincent, denn dieser erkennt schmerzhaft, dass er, um zu überleben, wie der Mann, der sein Leben einst so drastisch veränderte, werden muss.

It’s a Man’s World — und die ist so gar nicht gut.

Ob Welz auf dem Weg zum feministischen Vorzeigeregisseur ist, wird sich zeigen, auf jeden Fall ist ihm einmal mehr ein visuell herausragender (Bilder von Kamera-Ass Benoît Debie) und mit exzellentem Soundtrack ausgestatteter und inhaltlich überaus bemerkenswerter Film gelungen.

Colt 45

Eine Szene in „Colt 45“ steht für die hinterhältige Art des ganzen Films: Vincent (zwischen stoisch und verzweifelt: Ymanol Perset), der junge, geniale Waffenmeister der französischen Nationalpolizei, trifft auf einem Schießstand den Kollegen Milo Cardena (schmierig-undurchschaubar: Joey Starr). Ganz archetypisch wird versucht, mit dem Schießprügel festzustellen, wer den Längeren hat.
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