Die F. W. Murnau Box

Eine Filmkritik von Falk Straub

Wege zum Ruhm

Friedrich Wilhelm Murnaus Anspruch war es, mit jedem seiner Filme künstlerisches Neuland zu entdecken. Wie gut ihm das gelungen ist, zeigen drei Stummfilme einer anspruchsvollen Box.

Das kulturelle Gedächtnis vergisst schnell. Zeitlebens ein erfolgreicher Regisseur dauerte es vier Jahrzehnte, bis die Werke des 1888 in Bielefeld als Friedrich Wilhelm Plumpe geborenen und 1931 bei einem Autounfall in Santa Barbara ums Leben gekommenen Filmemachers dem deutschen Publikum wieder in Erinnerung gerufen wurden. Im Dritten Reich behindert nahm die Auseinandersetzung mit Murnau einen Umweg über Frankreich. Ein Markstein: Eric Rohmers 1972 abgelegte und 1977 veröffentlichte Dissertation über Murnaus Faust.

40 Jahre später ist Murnau längst ein Klassiker. Beim Zugang zu seinen Filmen klaffen jedoch weiter große Lücken. Angesichts des geringen Oeuvres von 20 abendfüllenden Spielfilmen, von denen beinahe die Hälfte zudem als verschollen gilt oder in Fragmenten vorliegt, umso verwunderlicher. Doch es tut sich etwas auf dem heimischen Markt. Mit der Friedrich Wilhelm Murnau Box feiert Schloß Vogeloed (1921) seine Deutschlandpremiere. (Zuvor gab es den Film nur als Import.) Außerdem liegt der Box der lange vergriffene Nosferatu (1921/1922) bei. Faust (1925/1926), der bisher lediglich als Teil der SZ-Cinemathek Stummfilm zu haben war, komplettiert das Angebot.

Obwohl zwischen den drei Filmen nur vier bis fünf Jahre liegen, ist eine deutliche Entwicklung zu erkennen. Am Beginn steht Schloß Vogeloed. Im Februar und März 1921 entstand in nur 16 Drehtagen eine Kolportage aus Liebe, Lüge, Eifersucht, Täuschung und Mord. Während einer Jagdgesellschaft entwickelt sich ein dichtes Kammerspiel, in das sich kriminalistische, unheimliche, aber auch komödiantische Elemente mischen. Abseits der inhaltlichen Schwächen zeichnen sich Murnaus Gespür für Trickaufnahmen, für Tiefenschärfe und für eine gelungene Lichtsetzung bereits ab. Den Horror Nosferatus nimmt Schloß Vogeloed in einer Traumsequenz vorweg. Murnaus Markenzeichen, das Innenleben seiner Figuren in Form von Naturgewalten zu externalisieren, ist ebenfalls schon vorhanden.

Was sich in Schloß Vogeloed andeutet, vollendet Murnau in Nosferatu. Ein eindrucksvolles Spiel aus Licht und Schatten gepaart mit durchdachten Tricksequenzen und der ikonischen Erscheinung Max Schrecks als Graf Orlok machen Nosferatu nicht nur zur im Untertitel angekündigten „Symphonie des Grauens“, sondern bis heute zu einem der prägendsten Horrorfilme der Geschichte. Das Drehbuch, das nach Motiven aus Bram Stokers Schauerroman Dracula (1897) entstand, etabliert die Todessymbolik, die Nosferatu durchzieht, gleich zu Beginn des Films. „Warum hast Du sie getötet … die schönen Blumen?“, fragt Ellen (Greta Schroeder) ihren Geliebten Hutter (Gustav von Wangenheim), als er ihr einen Blumenstrauß überreicht. Als der blutsaugende Orlok schließlich aus den Karpaten nach Wisborg übersiedelt, hat er die Pest an Bord. Der schwarze Tod als Analogie auf die Instabilität der Weimarer Republik, der Vampir als Manifestation kollektiver Ängste vor einem Tyrannen – nur eine der vielen Lesarten des Klassikers.

An einen weiteren Klassiker wagte sich Friedrich Wilhelm Murnau vier Jahre später. Nachdem er 1924 mit Der letzte Mann bereits sein Ticket nach Hollywood gebucht hatte, startete Murnau noch im selben Jahr sein bis dato ambitioniertestes Projekt. Faust – Eine deutsche Volkssage sollte die Antwort der Ufa auf die amerikanische Traumfabrik werden. War Schloß Vogeloed noch in knapp zwei Wochen im Kasten, dauerten die Dreharbeiten zu Faust ein halbes Jahr. Neben aufwendigen Kulissen, Kostümen und Tricks, die bis heute verblüffen, legte Murnau einen Perfektionismus an den Tag, der eines Stanley Kubrick würdig wäre. Für die weltweite Vermarktung des Films mussten internationale Schauspieler (Gösta Ekman, Yvette Guilbert) her. Um leichter mehrere Negative ziehen zu können, drehte Murnau gleich mit zwei Kameras. Für eine Kuss-Szene zwischen Gretchen (Camilla Horn) und Faust (Ekman) ging ein kompletter Drehtag drauf. Und Hauptdarstellerin Camilla Horn ließ Murnau schon mal einen Nachmittag hungern, um die nötige Authentizität in ihr Spiel zu bringen.

Herausgekommen ist eine eigenwillige Interpretation des Faust-Stoffes, die so manchen Gläubigen selbst im 21. Jahrhundert provozieren könnte. Schließlich setzt Murnau die Kindsmörderin Gretchen mit Maria, der Mutter Jesu Christi, gleich. Karl Freunds entfesselte Kamera aus Der letzte Mann setzt Carl Hoffmann in Faust dosierter ein. Murnaus Inszenierung ist noch stärker von einer ruhigen Auflösung der Szenen innerhalb einer einzigen Einstellung geprägt – mit einer für seine Zeit beeindruckenden Tiefenschärfe.

Einblicke in die Produktion und Rezeption der drei Filme erhält der Zuschauer im umfangreichen Bonusmaterial der Box. Neben ausführlichen Dokumentationen zum Entstehungsprozess und den Arbeitsmethoden am Set werden in den Extras auch spannende Nebenaspekte beleuchtet – sei es die schon in den 1920ern angestrebte Mehrfachverwertung kultureller Erzeugnisse durch den Ullstein Verlag, die weitere Karriere Max Schrecks oder die Verquickung führender Okkultisten in die Produktion von Nosferatu. Auch ein Blick abseits der Filme lohnt sich.
 

Die F. W. Murnau Box

Friedrich Wilhelm Murnaus Anspruch war es, mit jedem seiner Filme künstlerisches Neuland zu entdecken. Wie gut ihm das gelungen ist, zeigen drei Stummfilme einer anspruchsvollen Box.

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