Devil's Knot

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Fade Aufarbeitung eines Justizskandals

Es gibt Filmemacher, mit denen man seit langem beinahe „freundschaftlich“ verbunden ist – ganz einfach deshalb, weil sie einem als junger Cineast in einer prägenden Phase des Lebens und der cineastischen Geschmacksbildung ein besonderes Leinwanderlebnis beschert haben.
In meiner eigenen filmischen Sozialisation gehört Atom Egoyan zu diesen Wegbegleitern. Seine frühen Filme The Adjuster (1991), Calendar (1993), Exotica (1994) und teilweise auch noch The Sweet Hereafter (1997) faszinierten durch eine kunstvoll verwobene Erzählweise von manchmal beinahe überirdisch getragener Eleganz. Im weiteren Verlauf aber stellten sich alsbald erste Irritationen ein, weil alle folgenden Filme entweder seltsam ungelenk wirkten (wie etwa Ararat) oder den frühen Filmen so sehr ähnelten, dass man nicht wusste, ob hier ein Filmemacher seine „Handschrift“ gefunden hatte oder einfach nur äußerst unflexibel und ideenlos im Umgang mit seinen formalen wie erzählerischen Mitteln war. Ein Eindruck, der sich durch die beiden letzten Filme Egoyans leider zunehmend verfestigt – beide schaffen es übrigens bezeichnenderweise in Deutschland nicht mehr auf die große Leinwand, sondern werden nur als DVD veröffentlicht. In früheren Jahren wäre das undenkbar gewesen, zugleich aber scheint dies ein weiterer Beweis dafür zu sein, dass Egoyan als Regisseur erheblich an Relevanz verloren hat.

Devil’s Knot – Im Schatten der Wahrheit, der seine Weltpremiere 2013 beim Toronto International Film Festival feierte, basiert auf der Geschichte der „West Memphis Three“. Nach dem bestialischen Mord an drei achtjährigen Jungen geraten drei jugendliche Außenseiter ins Visier der Justiz und werden schließlich verurteilt, obwohl es erhebliche Zweifel an deren Schuld gibt. Sie sollen die Kinder als Teil eines satanistischen Rituals getötet haben. Während zwei der Beschuldigten zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt werden, wird der vermeintliche Anführer zum Tode verurteilt. Einzig der Privatdetektiv Ron Lax (Colin Firth) und Pam (Reese Witherspoon), die Mutter eines der Opfer, hegen Zweifel, ob hier wirklich die richtigen Täter gefasst wurden.

Man kennt Atom Egoyans Erzählweise bereits aus seinen anderen Filmen und auch hier folgt er wieder seinen Prinzipien des verschachtelten, mitunter sprunghaften, nicht chronologischen und multiperspektivischen Erzählens und mischt verschiedene Aspekte und Blickwinkel auf die Geschichte zusammen. Allerdings wirken die Einzelbestandteile im Endergebnis recht unverbunden und leblos und wollen sich nicht so recht zu einem gelungenen Ganzen zusammenfügen: Die Mixtur aus Gerichtsdrama, Krimi und Tragödie erinnert so sehr an Egoyans andere Filme, bei denen es ebenfalls oft um Verbrechen oder Todesfälle von Kindern, deren Auswirkungen auf die Eltern und das soziale Umfeld und die Frage nach der Verantwortung und Schuld geht, dass die realen Grundlagen des Falls, seine konkrete Verankerung in der Zeit- und Rechtsgeschichte sichtlich in den Hintergrund treten. Auch die durchaus prominente Besetzung mit Colin Firth und Reese Witherspoon agiert deutlich unter ihren Möglichkeiten und lässt die ganzen behaupteten Gefühle zu beinahe keinem Zeitpunkt glaubwürdig und nachvollziehbar erscheinen.

So wird Devil’s Knot zu einem Lehrstück über die Notwendigkeit, die filmischen und erzählerischen Mittel (oder wenn man so will die eigenen Eitelkeiten) bisweilen dem Stoff und dessen (hier nicht klar erkennbarer) Intention anzupassen. Am Ende steht die Erkenntnis, dass Atom Egoyan trotz der Anlehnung an den realen Fall der „West Memphis Three“ im Grunde wieder einen für ihn typischen Film gemacht hat, den man nahezu mit geschlossenen Augen wiedererkennen würde. Zugleich aber bleibt Devil’s Knot blind für eigene Fehler und dramaturgische wie ästhetische Holprigkeiten, die die Aussage des Filmes bis zur Unkenntlichkeit verwässern. Weder überzeugt Devil’s Knot als Crime-Mystery noch als Gerichtsdrama noch als Film über die psychischen Folgen eines schrecklichen Verbrechens oder gar als filmisches Pamphlet gegen Vorurteile und Vorverurteilungen.

Man kann es aber auch drastischer ausdrücken: Als Regisseur bewegt sich Egoyan immer noch auf den gleichen, mittlerweile aber reichlich ausgetretenen Pfaden, die er seit rund 25 Jahren filmisch durchschreitet – er tritt auf der Stelle und hat sich keinen Deut weiterentwickelt, während die Welt des Kinos um ihn herum eine andere geworden ist. Das ist beinahe schon ein wenig tragisch – und ehrlich gesagt auch recht langweilig. Auch sein neuester Film Captives hinterließ einen ganz ähnlichen negativen Eindruck und so bleibt am Ende der Eindruck bestehen, dass Egoyan die Erwartungen nicht erfüllt hat, die er in den 1990er Jahren als eines der großen Regietalente weckte. Vielleicht muss man im Lichte seiner späteren Entwicklung seine früheren Filme noch einmal einer Sichtung und eventuell einer Neubeurteilung unterziehen. Jedenfalls ist der Weg, den Egoyan in den letzten Jahren eingeschlagen hat, kein guter…

Devil's Knot

Es gibt Filmemacher, mit denen man seit langem beinahe „freundschaftlich“ verbunden ist – ganz einfach deshalb, weil sie einem als junger Cineast in einer prägenden Phase des Lebens und der cineastischen Geschmacksbildung ein besonderes Leinwanderlebnis beschert haben.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Martin Zopick · 16.04.2023

Niemand sollte sich diesen Film anschauen, der an der Aufklärung der Ermordung von drei achtjährigen Buben Interesse hat. Die Basis ist zwar eine wahre Begebenheit aus den 90 Jahren und spielt in einer Gegend, die vom Fundamentalismus dominiert wird. Atom Egoyan macht daraus eine Schlaftablette, die wegen der Widersprüchlichkeit der Aussagen bestenfalls Empörung hervorrufen kann, falls nicht schon zuvor der Tiefschlaf verlockender war. Ein chaotischer Wirbel von Vermutungen und deren Zurücknahme reduziert das Interesse am Plot zusehends. Ebenso ergeht es den Vorurteilen und hanebüchenen, fachlichen Fehlern beim Justizapparat. Zeugen lügen nicht aus Hinterhältigkeit, sondern aus Dummheit. Aussagen werden durch Drohungen verhindert, Geständnisse widerrufen. Und in diesem undurchdringlichen Dschungel aus Vermutungen und einer immer unklarer werdenden Gemengelage versucht Ermittler Ron Lax (Colin Firth) einen Durchblick zu erhalten. Ein Unterfangen, dass noch durch den völlig unmotivierten Auftritt seiner Ex Margaret (Amy Ryan) zusätzliche Verwirrung stiftet. In diesem Geschwurbel ist der Hinweis auf vermuteten Satanismus noch eine konkrete Option. Und die Anwendung eines Lügendetektors erfüllt den Tatbestand einer Schaufensterdekoration. In diesem Gerichtsthriller wird so ziemlich alles falsch gemacht, was falsch gemacht werden kann. Und dann wird dem Zuschauer quasi als Epilog noch eine Aussage um die Ohren gehauen, an der er wahrlich verzweifeln muss. Ermittler Lax gesteht Mrs. Hobbs – einer der trauernden Mütter am Ufer eines malerischen Flüsschens, dass er keine Lösung hat…
Da bleiben auch die nachgereichten Daten über abgesessene Jahre bzw. der Deal zwischen Delinquenten und der Justiz ein laues Lüftchen im Schatten der Wahrheit. Klar ist nur eins: die Verurteilten waren es bestimmt nicht.