King of New York (Blu-ray)

Eine Filmkritik von Stefan Dabrock

Leere ohne Wiederkehr

King of New York“ ist ein unbestrittener Höhepunkt im filmischen Schaffen des New Yorkers Abel Ferrara, der sich in seinen Werken regelmäßig mit der Metropole am Hudson River beschäftigt hat. Darin paart er visuelle Meisterschaft mit einer bitteren Analyse über großstädtische Machtverhältnisse zu einer Tragödie, die ebenso schön wie grausam ist.
Alles beginnt mit einem Neuanfang. Gangsterboss Fank White (Christopher Walken) wird nach jahrelanger Haft aus dem Gefängnis entlassen und trifft sich ohne Umschweife mit dem afroamerikanischen Ganganführer Jimmy Jump (Laurence Fishburne), der ihm mit seinen Leuten zu Diensten steht. White will wieder an die Spitze des organisierten Verbrechens. Dafür geht er auch über die Leichen seiner Konkurrenten, die nicht so wollen wie er. Denn White plant, mit den Erlösen aus seinen kriminellen Geschäften ein Krankenhaus am Leben zu erhalten, das akut von der Schließung bedroht ist. Die politisch Verantwortlichen New Yorks haben kein Geld zum Fortbestand der medizinischen Einrichtung bewilligt. Während sich White auf seine Anwälte sowie korrupte Elemente innerhalb der Großstadt verlassen kann, versucht der Polizist Roy Bishop (Victor Argo), den Gangster schnell wieder hinter Gitter zu bringen. Als die Bemühungen fruchtlos bleiben, planen Bishops Kollegen Dennis Gilley (David Caruso) und Thomas Flanigan (Wesley Snipes) eine verwegene Aktion.

Whites Augen sagen fast alles über die innere Verfassung des Gangsters aus. Sein oftmals stoischer, durchdringender Blick kennzeichnet ihn als Strategen, der einen klaren Plan hat. Davon will er sich durch nichts und niemanden abbringen lassen. Große Feiern, Exzesse, unbedachte Frauengeschichten oder sonstiges Amüsement, das im filmischen Leben zahlreicher Drogengangster an der Tagesordnung ist, sucht man bei White selbst vergeblich. Nur seine Hilfsarbeiter lassen es krachen. Denn der Gangster weiß, dass ihn das alles nur von seinem Ziel abbringen würde, das Krankenhaus zu retten. Er hat seine Emotionen zurückgefahren, um sich vollständig auf die Taktik konzentrieren zu können.

Das bedeutet aber nicht, dass er seinem Anliegen gegenüber so kühl gestimmt ist, wie er auftritt. Wäre das der Fall, könnte er sich gar nicht so bedingungslos dafür einsetzen, das Ziel würde verblassen. White hat die Reise in die Leere angetreten, um ein Vermächtnis zu hinterlassen. Alles andere ist ihm egal.

Auf dem Weg an die Macht wandert der Gangster noch einmal durch das großstädtische Geflecht wichtiger Akteure aus Politik, Rechtsprechung, Polizei und natürlich krimineller Konkurrenten sowie Mitstreiter. Der Anführer (Joey Chin) einer chinesischen Drogenbande ist ihm als Lieferant wertvollen Stoffes zunächst willkommen, wird dann aber ohne mit der Wimper zu zucken abserviert, weil er die Vision des Krankenhauserhalts nicht teilt. White kann es sich nicht leisten, Profit zu verschwenden. Das Leben eines anderen Gangsters ist ihm nichts wert.

Ferrara offeriert einen bitteren Blick auf New York, wenn er ausgerechnet den kaltblütigen White zum Anwalt der Armen macht, die ohne das Krankenhaus in Schwierigkeiten geraten würden. Dass er benötigt wird, um soziale Ungleichheit auf die Tagesordnung zu holen, beweist auf eindrucksvolle Weise, dass etwas faul ist im „Staate“ New York. In der U-Bahn – zur Zeit der Filmentstehung einer der unsichersten Orte New Yorks – taucht sofort eine kriminelle Jugendgang auf, als White damit fährt. Die Polizei wirkt so macht- und kraftlos, dass sie im Kampf gegen den Gangster sogar zu illegalen Mitteln greift. Bei solchen Fehlentwicklungen ist es offensichtlich, dass die finanziellen Mittel in der Stadt die falschen Wege nehmen, wenn man an einem umfassenden Gemeinwohl interessiert ist. Da White aber mit bedenkenloser Brutalität vorgeht, taugt er nicht zum Helden. Stattdessen hat Ferrara eine ebenso schillernd-schöne wie beängstigend-kalte Figur geschaffen, deren Ambivalenz grausam-tragisch wirkt. Christopher Walken füllt diese Figur mit einer Mischung aus aristokratischer Strenge und brutalem Kalkül aus. Er hat die perfekte Aura, um White auf seinem Tanz im Niemandsland der Taktik zu verkörpern. Hier, wo das Leben um ihn herum nur noch aus Spielfiguren besteht, sein Ziel aber barmherzig ist, würde jeder normale Mensch am daraus entstehenden, ständigen Widerstreit zerbrechen. Aber White befindet sich in einem Tunnel, der seinen Geist vor solchen Kräften schützt, den Körper jedoch nicht.

So eindrucksvoll Ferrara Gangsterfilm und Gesellschaftsbetrachtung auch miteinander verwoben hat, King of New York wäre ohne den visuellen Stil nur die Hälfte wert. Kameramann Bojan Bazelli hat die Bilder des Films als kunstvolles Licht-Schatten-Spiel gestaltet, das Erinnerungen an die Schwarzweiß-Werke des Expressionismus wachruft. So entstand ein Zwielicht zwischen Romantik, Kälte und Tragik, das mithilfe neongeschwängerter Szenerien die Aura verlorener Gestalten verstärkt, Lichtstrahlen wie Einbrüche aus einer besseren Dimension in das Dunkel des gezeigten New Yorks schickt oder aber Gewalt fast tonlos begleitet. Das sorgt für eine prallvolle Atmosphäre aus Emotion und Dramatik, die sich zu einer bizarren Tragödie entwickelt. Letztlich sind Licht und Schatten nur zwei Seiten derselben Medaille, so sehr sie sich auch zu widersprechen scheinen und so sehr man sich auch wünschen mag, dass es anders ist. Diese Grausamkeit ist es, die einen King of New York nicht vergessen lässt.

So gut wie auf der Bluray sah King of New York höchstens im Kino aus, wenn die Kopie noch im vernünftigen Zustand war. Das blitzsaubere Bild überzeugt mit einer guten bis sehr guten Schärfe. Nur ein paar Halbtotalen sehen weich aus. Die Farben kommen sehr gut zur Geltung, der Kontrast überzeugt auf der ganzen Linie, sodass ein tiefer Schwarzwert der düsteren Atmosphäre Rechnung trägt, wichtige Details aber nicht verschluckt werden. Die Schönheit der visuellen Gestaltung ist dank der guten Bluray-Qualität sichtbar.

Abel Ferrara (Regie) kehrt in seinem Audiokommentar recht unvermittelt die eigene Persönlichkeit heraus. Dabei springt er von technischen Informationen zu blanker Bewunderung der Bildgestaltung, quiekendem Lachen angesichts einzelner Details und wieder zurück. Der Informationsgehalt seiner Ausführungen ist deswegen nicht immer besonders hoch, aber man kommt Ferrara ein bisschen näher. Dadurch fasziniert der Track.

Der zweite Audiokommentar versammelt Joe Delia (Musik), Mary Kane (Produktion), Randy Sabusawa (Casting) und Anthony Redman (Schnitt). Auch diese Leute schwelgen teilweise in der Schönheit der Aufnahmen, haben aber auch noch etwas mehr zu sagen. So berichten sie, an welchen Orten der Film gedreht wurden, lassen Informationen zur Arbeit am Schneidetisch einfließen, äußern sich über den Dreh selbst und die technischen Voraussetzungen der Produktion.
Im 27-minütigen Interview Possession geht Regisseur Abel Ferrara auf die Zusammenarbeit mit den wichtigsten Personen ein, die an King of New York beteiligt waren. Dazu zählen unter anderem Christopher Walken, Rapper Schooly D und Kameramann Bojan Bazelli. Aus der Zusammenschau ergibt sich ein Bild über die Entstehung des Films und die positiven Effekte gegenseitiger Befruchtung, die das sehenswerte Endergebnis hervorgebracht haben. Ein spannendes Interview.

King of New York (Blu-ray)

„King of New York“ ist ein unbestrittener Höhepunkt im filmischen Schaffen des New Yorkers Abel Ferrara, der sich in seinen Werken regelmäßig mit der Metropole am Hudson River beschäftigt hat. Darin paart er visuelle Meisterschaft mit einer bitteren Analyse über großstädtische Machtverhältnisse zu einer Tragödie, die ebenso schön wie grausam ist.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen