The Wanderers (Director's Cut)

Eine Filmkritik von Falk Straub

In den Straßen der Bronx

1979 – das Jahr, in dem die Jugendgangs die Leinwände unsicher machten. The Warriors, Walk Proud oder Boulevard des Todes verwandelten Hollywood an der Schwelle zu den 80ern in eine Alptraumfabrik. Philip Kaufman ist mit The Wanderers der vielleicht vielschichtigste Film dieses Subgenres gelungen.
Als Despie (Toni Kalem) gleich zu Beginn von Philip Kaufmans The Wanderers auf einem Sessel im Partykeller ihrer Eltern ihre Jungfräulichkeit an Richie (Ken Wahl) verliert, läuft auf der Mattscheibe im Hintergrund The Three Stooges in Orbit. Das Erwachsenwerden hat auch bei Kaufman immer etwas mit dem Verlust der Unschuld zu tun. Trotz aller Tragik geht es dabei komisch zu. Einigen in dieser Coming-of-Age-Geschichte wird das nie, Richie erst sehr spät bewusst.

Despie und Richie sind eines von vier (Liebes-)Paaren, um die The Wanderers kreist. Das Jahr ist 1963, der Ort die Bronx. Sie die Tochter eines Mafioso, er der Anführer einer italo-amerikanischen Jugendgang, die dem Film ihren Namen gibt. Viel lieber als mit Despie wäre Richie jedoch mit Nina (Karen Allen) zusammen, hinter der auch Richies bester Freund Joey (John Friedrich) her ist.

Gemeinsam mit Perry (Tony Ganios), der neu bei den Wanderers ist, bildet Joey das dritte Pärchen des Films. Die Situation in ihren Familien schweißt Perry und Joey zusammen, hilft ihnen, sich von ihren Eltern abzunabeln und New York und den Wanderers letztendlich den Rücken zu kehren. Kaufman inszeniert die Beziehung der beiden von Beginn an wie eine Liebesgeschichte. Mit viel Augenzwinkern und Komik tritt der zwei Meter große Perry als Beschützer des kleinen Joey auf – als edler Ritter, der seine Jungfrau aus den Fängen des Drachen rettet.

Der Drache in The Wanderers heißt Terror (Erland van Lidth), der kahlrasierte, massige Anführer der Fordham Baldies, mit denen die Wanderers im Clinch liegen. Gemeinsam mit der zierlichen Peewee (Linda Manz) bildet er ein weiteres ungleiches Paar, das Kaufman im Audiokommentar als eines der einprägsamsten der Filmgeschichte bezeichnet. Und auch hier spielt Kaufman mit Geschlechtern, gesellschaftlichen Rollen und der Erwartungshaltung der Zuschauer. Trotz seiner imposanten Erscheinung hat Terror eine verletzliche Frauenstimme. Peewee erinnert in ihrer Physiognomie eher an einen kleinen Jungen als an eine Frau.

Die Paare sind die Dreh- und Angelpunkte in The Wanderers. Um sie herum haben Kaufman und seine Frau Rose die Kurzgeschichten aus Richard Price‘ autobiografischer Vorlage in Drehbuchform gegossen. Herausgekommen ist ein Drama, das abseits der puren „terrors of the night“ anderer Filme über Jugendgangs auch jede Menge „life lessons“ bietet.
Den nächtlichen Terror in The Wanderers verbreiten die Ducky Boys, eine Gang Kleinwüchsiger, die schlagartig mit viel Nebel auftauchen, Gewalt verbreiten und ohne ein Wort zu sprechen ebenso plötzlich wieder verschwinden. Wofür die Ducky Boys stehen – ob lediglich für „teenage angst“ oder für die gesellschaftliche Zerrissenheit irgendwo zwischen Bürgerrechtsbewegung, der Ermordung Kennedys und dem aufziehenden Vietnamkrieg – lässt Kaufman offen.

Lektionen fürs Leben lernt jedes Paar für sich. Während Perry und Joey der Gegenwart nach Kalifornien entkommen, flieht Terror zur Armee. Nur Richie schafft den Absprung nicht. Als Anhängerin der Folkszene steht Nina für die Zukunft, bricht in die beschauliche Gegenwart aus Schmalztollen, Straßenkreuzern und Rock ‚n‘ Roll ein. Dorthin kann ihr Richie nicht folgen. Ein letzter Versuch endet an der Fensterscheibe eines Clubs. Drinnen singt Bob Dylan „The Times They Are a-Changin‘ “, draußen kehrt Richie zur schwangeren Despie in den Schoß seiner neuen Familie zurück. „A sad walk back in Richie’s future which is the past“, wie Kaufman im Audiokommentar feststellt.

The Wanderers (Director's Cut)

1979 – das Jahr, in dem die Jugendgangs die Leinwände unsicher machten. „The Warriors“, „Walk Proud“ oder „Boulevard des Todes“ verwandelten Hollywood an der Schwelle zu den 80ern in eine Alptraumfabrik. Philip Kaufman ist mit „The Wanderers“ der vielleicht vielschichtigste Film dieses Subgenres gelungen.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen