Mephisto-Effekt

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Sex, Wahrheit, Macht

2003 legte Igor Zaritzki mit Devot einen spannenden Debütfilm vor: Ein Katz-und-Maus-Kammerspiel, ein Psychothriller um Sex und Wahrheit und Macht. Zehn Jahre später hat Zaritzki einen Nachfolger gedreht: Ein Katz-und-Maus-Kammerspiel, einen Psychothriller um Sex und Wahrheit und Macht… Und doch ein anderer Film, andere Themen, eine andere Faszination.
Gut: Mephisto-Effekt hat nicht die starken Bilder von Devot, der viel plastischer ausgeleuchtet war, mehr mit Noir-Schatten arbeitete und mit dem visuellen Abtasten nackter Körper in Lust und Verzweiflung (und vielleicht ist die geringere Bildgewalt auch einfach der Unterschied zwischen 35mm und der Red 1). Doch was den Inhalt angeht, die Charaktere und Dialoge – da nimmt der eine Film dem anderen nichts. Denn das Feld der Psychospiele, der Frage nach dem Bösen (und nach dem wahren Bösewicht), die Fragen nach dem, was den Menschen im Innersten zusammenhält, nach Juristerei, Philosophie, gar auch Theologie, danach, wem vor wem graut, wer die farzende Hexe, wer der stinkende Bock ist; kurz: danach, was des Pudels Kern ist, wenn der Mensch dem Menschen zum Wolf wird – dieses Feld ist weitläufig genug für einen wie Zaritzki.

Lea, Studentin in Lebenskrise, wird bei ihrem Nebenjob als Immobilienmaklerin angemacht. Ryan ist charmant, interessant, hört zu; er ist intelligent, belesen und kunstinteressiert; vielleicht gar eröffnet er eine neue Perspektive im Leben, kann als Verlagslektor Leas literarische Ambitionen verwirklichen… Kurz: Man geht essen, in eine Kunstgalerie, in eine Bar und schließlich ins Bett. Dass Ryan sie zuvor unauffällig ausspioniert hat; dass beim Sex eine Kamera mitläuft – das ahnt Lea nicht. Ebensowenig, dass sie beschattet werden von einem, der Daniel heißt, sie am nächsten Tag nassforsch anspricht, mit Fotos von der Liebesnacht herumwedelt und sie einem strengen Verhör unterzieht.

Lea wird gepeinigt. Da sitzt das personifizierte schlechte Gewissen vor ihr und fordert Rechenschaft über ihr unmoralisches Tun: Schließlich hat sie einen Freund! Geht sie mit jedem gleich ins Bett, der ein bisschen freundlich ist? Ist sie naiv, oder ist sie dumm? Ist sie eine Schlampe, eine Nymphomanin, eine Nutte? Daniel scheint alles über sie zu wissen; und worauf er hinaus will, kann man kaum ahnen. Ist es Leas Schwester und deren Unfalltod wenige Jahre zuvor? Hat Lea noch mehr Schuld auf sich geladen, außer der Untreue, die Daniel ihr so vehement vorwirft? Steckt er mit Ryan unter einer Decke? Oder mit Leas Freund?

Im Kofferraum, im Auto draußen vor der Tür: Da liegt Ryan. Er ist der nächste bei der peinlichen Befragung. Und wieder nimmt der Film eine Wendung, wieder geht Zaritzki einen unvorhergesehenen, unvorhersehbaren Weg – das sind die großen Qualitäten, die Zaritzki ausmachen: Die dramaturgischen Wendungen und Windungen, die einen überraschen, die plötzlich ganz neue Perspektiven offenbaren. Und die nicht von außen aufgesetzt werden, sondern in den Charakteren verankert sind – in Charakteren, die wir erst nach und nach zu durchschauen beginnen und nie ganz verstehen werden.

So entspinnt sich eine thrillergewordene Meditation über Machtverhältnisse, über Verführung und Nötigung, über das Manipulieren und das Manipuliertwerden – mindestens ebenso wie Goethes Faust habe ihn Sören Kierkegaards Tagebuch eines Verführers beeinflusst, erklärte Zaritzki. Nutzt Ryan, der erfolgreiche Verführer, die Frauen aus, lügt er ihnen etwas vor, um sie in die Kiste zu bekommen? Oder erfüllt er einfach ihre Sehnsüchte, ihre kleinen Träume? Ist Daniel der absolute Moralapostel oder ein armes Würstchen, das nicht über den Verlust seiner Traumfrau – die einst Ryan verfallen ist – hinwegkommt? Und Lea: Ist sie bloßes Opfer höherer Mächte oder kann sie sich entscheiden? Und wenn ja: Für wen?

Höchst kurzweilig, was da geschieht – und gekrönt durch ausgeklügelte Dialoge, bei denen kein Wort zuviel ist. Und die zudem mit kleinen Geschichtchen über sich hinauswachsen – ob nun Ryan, der sich als Lektor ausgibt, sich ein, zwei Storys aus dem Ärmel saugt, um Lea zu beeindrucken, oder ob die Fabel von der sibirischen Nachtigall eine Moral enthält, die sich auf das gesamte Geschehen des Films bezieht.

Mephisto-Effekt

2003 legte Igor Zaritzki mit „Devot“ einen spannenden Debütfilm vor: Ein Katz-und-Maus-Kammerspiel, ein Psychothriller um Sex und Wahrheit und Macht. Zehn Jahre später hat Zaritzki einen Nachfolger gedreht: Ein Katz-und-Maus-Kammerspiel, einen Psychothriller um Sex und Wahrheit und Macht… Und doch ein anderer Film, andere Themen, eine andere Faszination.
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