Ich, die Nummer 1

Eine Filmkritik von Martin Beck

Auf der Flucht

Einen deutschen Titel wie Ich, die Nummer 1 kann man eigentlich nur vor ein Gericht ziehen. Was der deutsche Verleih gerne als coolen Actionthriller mit ganz komisch ausgeschnittener schwarz/weiß-Sonnenbrille positionieren möchte, ist tatsächlich ein dichtes Spionagedrama. Das im Original Le silencieux heißt und mal wieder ein bluesiges Agentenschicksal zu Zeiten des Kalten Krieges thematisiert.
Wie immer in solchen Filmen geht es darum, dass „die Organisation“ überall ist und niemanden einfach so aussteigen lässt. Lino Ventura spielt den Atomphysiker Anton Haliakov, der eigentlich ein von den Sowjets entführter Franzose ist und in London vom M.I.5 einkassiert wird. Er soll die Namen zweier englischer Wissenschaftler verraten, was er schließlich auch tut und dafür seine Freiheit erhält – mitsamt einer neuen Identität, die der KGB allerdings schon bald dekodieren kann.

Ich, die Nummer 1 entlockt dieser Geschichte durchaus glaubwürdige Paranoia, die jede Person zu einem potentiellen Feind macht und das Netz um den Protagonisten immer enger zieht. Claude Pinoteau, der hier 1972 sein Regiedebüt gab und doch nur mit den beiden La Boum-Filmen in Verbindung gebracht wird, versteht es, eine dichte, zurückgenommene Atmosphäre zu etablieren, die Ventura zum Zentrum macht und um ihn eine omnipräsente Bedrohung aufbaut.

So richtig neu ist bei dem Film zwar nichts und die Technik, die von den Geheimdiensten eingesetzt wird, kann gar — Stichwort: das Fahndungsphoto aus dem Drucker — drollige Lacher auslösen, doch spannend bleibt es trotzdem. Zu verdanken ist das zum einen Lino Ventura, der seine Rolle auch im x-ten Anlauf noch mit Charisma und gottgegebener Präsenz aufwerten kann, und zum anderen eben der Regie, die erfreulich bodenständig und zügig daherkommt. Claude Pinoteau kann was – inklusive einem deutlichen Kniefall Richtung Alfred Hitchcock.

Ich, die Nummer 1 ruft mehrmals Der zerissene Vorhang ins Gedächtnis, angefangen bei der zentralen Figur des Wissenschaftlers und aufgehört bei dem wendungsreichen Kampf gegen alle möglichen Geheimdienste, und das Ende gilt gar als Hommage an Der Mann, der zuviel wußte. Jenseits des komischen Titels darf hier ein gelungener Thriller entdeckt werden, der allerdings schon einmal in Deutschland auf DVD veröffentlicht wurde, und zwar als Teil der Lino Ventura Action Box. Analog zu Der Killer und der Kommissar, der von Universum ebenfalls vor kurzem eine singuläre Neuauflage erhielt, wurde auch hier keinerlei Remastering-Aufwand betrieben – was einerseits verständlich ist, weil der Film ganz sicher keine Paletten füllen wird, doch andererseits halt schon wieder eine Rumpeldipumpel-Filmkopie auftischt, die die schöne Seite ihres Alters nur in der sehr guten Synchro zeigen darf. Augen auf Halbmast also und durch; trotz allem bleibt Ich, die Nummer 1 ein sehenswerter Film.

Ich, die Nummer 1

Einen deutschen Titel wie „Ich, die Nummer 1“ kann man eigentlich nur vor ein Gericht ziehen. Was der deutsche Verleih gerne als coolen Actionthriller mit ganz komisch ausgeschnittener schwarz/weiß-Sonnenbrille positionieren möchte, ist tatsächlich ein dichtes Spionagedrama. Das im Original „Le silencieux“ heißt und mal wieder ein bluesiges Agentenschicksal zu Zeiten des Kalten Krieges thematisiert.
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