Otto Preminger - Meisterwerke

Eine Filmkritik von Falk Straub

Choleriker und Gentleman

Charmant und cholerisch, geschätzt und gefürchtet, freiheitsliebend und diktatorisch – zu Lebzeiten eilte Regisseur Otto Preminger ein widersprüchlicher Ruf voraus. Weshalb der Österreicher zu einem der großen Rebellen Hollywoods zählt und worin seine große Meisterschaft bestand, zeigt eine Box aus dem Hause Cine qua non.
Eines der größten Komplimente, die ein Vorreiter erhalten kann, ist die Bestätigung durch einen einstigen Widersacher. Über Otto Premingers ständigen Kampf mit der Zensur sagt Louis Nizer: „Er (Preminger) hat nichts hingenommen, und seine Absichten waren ehrenvoll. Man hat ihm für diesen Kampf nicht genügend Anerkennung gezollt.“ Nizer, in den 1950ern Berater der Motion Picture Association of America (MPAA), die bis heute für die Altersfreigabe US-amerikanischer Filme zuständig ist, bezieht seine Aussage auf Premingers Komödie Wolken sind überall (1953). Aufgrund der Offenheit, in der die Protagonisten darin über die Beziehung zwischen Mann und Frau diskutieren, erhielt der Film seinerzeit von der MPAA keine Freigabe. Doch Preminger gab nicht nach. Die Komödie wurde ein Erfolg.

Wolken sind überall ist der erste Film, den Preminger mit seiner eigenen Produktionsfirma realisiert hat. Auch darin war der Österreicher, der 1935 nach Hollywood kam, ein Vorreiter. Noch in Zeiten des Studiossystems sagte er sich von den Majors los, setzte vielfach Stoffe um, die Hollywood zu heikel waren.

In Wolken sind überall erzählt Preminger von der Begegnung des Architekten Donald (William Holden) mit der jungen Schauspielerin Patty (Maggie McNamara), die in eine amüsante Nacht in Donalds Appartement mündet. Die Screwball-Komödie nimmt so richtig Fahrt auf, als sich Donalds ehemalige Verlobte Cynthia (Dawn Addams) und deren Vater David (David Niven) ins Geschehen mischen. Während Cynthia Donald mit aller Macht zurückgewinnen will, lässt Schwerenöter David nichts unversucht, seinem Beinahe-Schwiegersohn die jüngste Eroberung auszuspannen.

Auch wenn der Aufschrei der MPAA heute kaum noch nachzuvollziehen ist, so erstaunt die Offenheit der Dialoge im Vergleich zu anderen Komödien derselben Epoche noch 60 Jahre nach Entstehen des Films. Wie viele Screwball-Komödien legt Wolken sind überall ein enormes Tempo vor. Dank eines hervorragend harmonierenden Schauspielerensembles und Premingers Übersicht, seine Figuren trotz des hohen Tempos in Dialogen und Bewegungen stets elegant durch Handlung und Raum zu führen, zählt die Komödie zu den besseren Vertretern ihres Fachs.

Einem gänzlich anderen Thema, jedoch nicht minder kontrovers, widmete sich Preminger neun Jahre später in Sturm über Washington. Als der todkranke US-Präsident (Franchot Tone) versucht, den umstrittenen Robert Leffingwell (Henry Fonda) im Senat als Außenminister durchzusetzen, beginnt ein Ränkespiel hinter den Kulissen. Während die einen Koalitionen schmieden, um Leffingwell ins Amt zu hieven, kramen andere unter Federführung des reaktionären Senators Cooley (Charles Laughton) unliebsame Episoden aus Leffingwells Vergangenheit hervor. Preminger zeigt dabei mit einer beeindruckenden Unbestechlichkeit, welch schmutziges Geschäft Politik auch diesseits des Eisernen Vorhangs war. Es gibt weder Gute noch Böse in diesem Film, lediglich unterschiedliche Interessen. Regisseur Peter Bogdanovich hat Sturm über Washington einmal als besten Film über Politik bezeichnet, der je in den USA gedreht wurde.

Auch jungen Talenten gab Preminger immer wieder eine Chance. So startete etwa Jean Seberg in Premingers Adaption von George Bernard Shaws Theaterstück Die heilige Johanna (1957) ihre Karriere. Preminger fand das Talent bei einem landesweiten Casting unter 18 000 Schauspielerinnen. Als Seberg die Rolle bekam, war sie noch keine 18. Obwohl der Film über Leben und Tod Johannas von Orléons (Seberg) an den Kinokassen floppte, zeigt sich darin wie bereits in Wolken sind überall und Sturm über Washington Premingers Meisterschaft im Umgang mit dem Cinemascope. Vortrefflich nutzt er jeden Winkel aus, spielt mit der Schärfentiefe, kadriert seine Protagonisten auf allen Bildebenen bis an die Grenzen des Formats. Neben Seberg glänzt vor allem Richard Widmark, der Frankreichs Dauphin wunderbar schrullig als verwöhnten, infantilen Feigling gibt.

Dass die Methoden des Österreichers, das Beste aus seinen Darstellern herauszukitzeln, äußerst umstritten waren, zeigt die Dokumentation Otto Preminger: Anatomie eines Filmemachers (1991), die die DVD-Box abrundet. Während Sebergs Stern nach der Zusammenarbeit mit Preminger erst aufging, zerbrach Tom Tryons kurze Karriere (Der Kardinal, Erster Sieg) am aufbrausenden Temperament des Regisseurs. Dass Preminger am Set keine Zwischentöne kannte, sondern sich unvermittelt vom charmanten Gentleman in einen fluchenden und seine Stars beschimpfenden Choleriker verwandelte, bestätigen in der Dokumentation selbst diejenigen, die gut mit dem Österreicher auskamen. Wie sehr Tryon, der nach dem Rückzug aus der Schauspielerei unter die Science-Fiction-Autoren ging, unter Preminger gelitten hatte, ist ihm auch fast drei Jahrzehnte nach seiner ersten Zusammenarbeit mit Preminger noch anzumerken. Wie in Sturm über Washington gibt es auch in Anatomie eines Filmemachers kein Gut oder Böse, kein Richtig oder Falsch – nur unterschiedliche Interpretationen und Interessen.

Otto Preminger - Meisterwerke

Charmant und cholerisch, geschätzt und gefürchtet, freiheitsliebend und diktatorisch – zu Lebzeiten eilte Regisseur Otto Preminger ein widersprüchlicher Ruf voraus. Weshalb der Österreicher zu einem der großen Rebellen Hollywoods zählt und worin seine große Meisterschaft bestand, zeigt eine Box aus dem Hause Cine qua non.
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Meinungen

Martin Zopick · 17.03.2020

Ausgerechnet der Österreicher Otto Preminger hält den Amerikanern 1962 den Spiegel über ihr politisches System vor. Wir erhalten einen Einblick in die Arbeit der Senatoren. Wie die Karrieristen sich mit zynischen Bemerkungen bewerfen, Ränke schmieden und Seilschaften am Leben erhalten. Manche halten sich sogar schon eigene Lobbyisten.
Es geht recht lebhaft zu, wenn ein Untersuchungsausschuss tagt. Unter anderem sucht der Präsident einen Außenminister. Robert Leffingwell (Henry Fonda, hier in einer Nebenrolle) kommt in die engere Wahl. Alle Beteiligte drohen einander mit dem Verdacht ein Kommunist zu sein und bezeichnen sich als Patrioten. Ein Zeuge (Burgess Meredith) gesteht die Unwahrheit gesagt zu haben, Leffingwell gesteht ebenfalls im eigenen Interesse gelogen zu haben und Senator Cooley (Charles Laughton in seiner letzten Rolle) ist der lachende Dritte, der sein eigenes Süppchen kocht. Wenn’s zur Sache geht, schreckt man auch nicht vor Erpressung zurück. Und der schlimmste aller Vorwürfe ist Homosexualität. Das erwischt den jungen, erfolgreichen Senator Anderson (Don Murray), den seine Vergangenheit einholt und ihn in den Selbstmord treibt. Frauen sind nur als schmückendes Beiwerk geduldet. Ein Tumult im Senat macht aus der hoch ehrwürdigen Institution ein Tollhaus. Die Abstimmung ergibt ein Patt, der Präsident stirbt.
In Zeiten, in denen der Trumpismus im Land wütet, behält der Film seine Aktualität. Er stärkt nicht gerade das Vertrauen in die Demokratie, kann aber als Diskussionsgrundlage für ein Proseminar dienen.