The Double (2013) (Blu-ray)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Nie mehr Marionette sein!

Dostojewski meets Kafka, Brazil meets Eraserhead, mit einer Prise Hitchcock-Voyeurismus und einem Hauch von Aki-Kaurismäki-Humor: The Double – die zweite Langfilm-Regiearbeit des Engländers Richard Ayoade – ist zweifelsohne ein Werk, das zur Aufzählung etlicher Referenzen einlädt. Und doch handelt es sich nicht nur um ein Mash-up literarischer und filmischer Motive. Die (sehr) freie Adaption der 1846 veröffentlichten Fjodor-Dostojewski-Novelle Der Doppelgänger, deren Drehbuch Ayoade gemeinsam mit Harmony Korines Bruder Avi Korine verfasste, lässt eine ganz eigene künstlerische Handschrift erkennen und ist dank Hauptdarsteller Jesse Eisenberg zudem ein Paradebeispiel für nuancenreiche Mimik, Gestik, Körperhaltung und Sprechweise.
Im Zentrum der surrealistisch anmutenden Erzählung steht der schüchterne Angestellte Simon (Eisenberg), der von seinem Umfeld unaufhörlich gedemütigt wird: In einem leeren U-Bahn-Abteil fordert man ihn mit den Worten „Das ist mein Platz!“ auf, den Sitz zu räumen; er wird bis zur letzten Sekunde am Ausstieg aus dem Verkehrsmittel gehindert, sodass sein Aktenkoffer in der U-Bahn-Tür stecken bleibt und ihm so abhandenkommt; der Sicherheitsmann (Kobna Holdbrook-Smith) seiner Arbeitsstätte will ihm den Zutritt verwehren, obwohl er seit sieben Jahren in der Firma tätig ist; sein Vorgesetzter Mr. Papadopoulos (Wallace Shawn) kann sich seinen Namen nicht merken und nennt ihn deshalb „Stanley“; nach Feierabend sieht er sich in seinem Stammlokal mit einer unhöflichen Kellnerin (herrlich: Cathy Moriarty) und im örtlichen Pflegeheim mit seiner griesgrämigen Mutter (Phyllis Somerville) konfrontiert. Wenn Simon dann zu später Stunde in seiner kargen, kleinen Wohnung sitzt, beobachtet er voller Verzückung seine Kollegin Hannah (Mia Wasikowska) mit einem Teleskop im gegenüberliegenden Apartmenthaus. Alsbald durchbrechen aber zwei Ereignisse den Alltagstrott: Zum einen stürzt sich der Mieter über Hannahs Wohnung vor Simons Augen in die Tiefe – und zum anderen zieht dort der selbstbewusste James (ebenfalls Eisenberg) ein, der auch Simons neuer Arbeitskollege wird. Äußerlich gleichen sich die beiden Männer bis aufs Haar; charakterlich könnten sie unterschiedlicher kaum sein.

Diese absurd-zugespitzte Doppelgänger-Story fassen Ayoade und sein Kameramann Erik Wilson in einnehmende Bilder, die einem grell ausgeleuchteten Albtraum zu entstammen scheinen. Insbesondere die obskure Datenerfassungsfirma, für die Simon arbeitet, ist ein echtes Faszinosum: In grotesker Beengung und umgeben von höchst altmodischen, bedienungsunfreundlichen Gerätschaften geht der Protagonist seinem Job in der Bürokratiehölle nach, wo der gesunde Menschenverstand einer sturen Regelbefolgung gewichen ist und Simon sich wie eine Marionette fühlt. Im letzten Drittel nimmt The Double immer experimentellere Züge an; nach einem ersten Showdown auf einem mitternächtlichen Friedhof kommt es zu einem Finale in expressiver Stummfilm-Manier, das sich kämpferischer zeigt als das bittere Ende der Dostojewski-Vorlage.

„Entweder Sie oder ich; aber nebeneinander haben wir nicht Platz!“, heißt es in der Novelle – und Jesse Eisenberg gelingt es, die Konkurrenz zwischen den gleich aussehenden jungen Männern zu demonstrieren und dabei beiden Figuren eine individuelle Körpersprache zu verleihen. In schrägen Mini-Rollen sind viele Mitglieder des Ensembles aus Ayoades cleverem Vorgängerwerk Submarine sowie zwei von Ayoades Co-Stars aus der britischen Sitcom The IT Crowd zu sehen. Bemerkenswert ist die Performance von Mia Wasikowska als Hannah, die in diesem zunehmend irrwitzigen Kosmos etwas allzu Nachvollziehbares zu verkörpern vermag: eine urbane Einsamkeit, die in völlige Hoffnungslosigkeit kippen kann. The Double ist ein origineller, trauriger, lustiger – kurzum: ein sehr schöner – Film.

The Double (2013) (Blu-ray)

Dostojewski meets Kafka, „Brazil“ meets „Eraserhead“, mit einer Prise Hitchcock-Voyeurismus und einem Hauch von Aki-Kaurismäki-Humor: „The Double“ – die zweite Langfilm-Regiearbeit des Engländers Richard Ayoade – ist zweifelsohne ein Werk, das zur Aufzählung etlicher Referenzen einlädt. Und doch handelt es sich nicht nur um ein Mash-up literarischer und filmischer Motive.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Hans im Glück · 16.11.2021

Ein Film, der verwirrt, Spaß macht, fasziniert und einen direkt mitnimmt.
Was mir gefehlt hat: ein bisschen mehr Erklärung wäre nett gewesen.
Ansonsten lohnt sich der Film aber anzusehen.