London ruft Nordpol

Eine Filmkritik von Stefan Dabrock

Sendermaskerade

Pidax-Film veröffentlicht das Spionagedrama London ruft Nordpol in der Reihe „Historien-Klassiker“. Das ist insofern nicht falsch, als der zugrunde liegende Roman H. J. Giskes auf realen Ereignissen aus dem Zweiten Weltkrieg beruht, aber es führt auf eine falsche Fährte. Denn im Mittelpunkt des Films stehen melodramatische Verwicklungen mit zwischenmenschlichen Konsequenzen. Um historische Genauigkeit geht es nicht.
Anfang der 1940er Jahre haben die Deutschen die Niederlande besetzt. Im kleinen Königreich an der Nordsee existiert jedoch ein erfolgreicher Widerstand gegen die Nazis, der mithilfe mehrerer Geheimsender Kontakt nach London aufrechterhält. In Zusammenarbeit mit den Briten werden immer wieder Sabotageakte durchgeführt. Oberst Bernes (Curd Jürgens), dem Chef der Spionageabwehr, gelingt es, einen dieser Sender ausfindig zu machen und zu übernehmen, bevor die Briten gewarnt werden können. Er überzeugt Landers (Philippe Hersent), den Funker des aufgeflogenen Senders Nordpol, weiter Nachrichten nach England zu schicken. Dafür verspricht Bernes, ihn und seine Kameraden am Leben zu lassen, während Spione sonst eigentlich hingerichtet werden. Dabei muss er sich gegen Widerstände in den eigenen Reihen durchsetzen, aber der Erfolg verleiht Bernes eine gute Machtposition. Erst als die Engländerin Mary (Dawn Addams) aus Liebe zu einem des Verrates angeklagten britischen Agenten eigene Ermittlungen in den Niederlanden anstellt, droht die Maskerade der deutschen Spionage aufzufliegen.

Ohne Curd Jürgens in der Rolle des väterlich auftretenden Oberst Bernes wäre London ruft Nordpol wenig wert. Die menschliche Note seiner Figur braucht einen Darsteller, der sie mit vollkommen natürlicher Ausstrahlung verkörpern kann. Denn die Grausamkeit der Nazis und ihre Unerbittlichkeit gerade auch in den Niederlanden war so groß, dass die Gefahr absoluter Lächerlichkeit besteht, wenn man in einem Kriegsdrama nun einen sympathisch-netten Chef der deutschen Spionageabwehr präsentiert. Jürgens aber besitzt eine so eindrucksvolle Bildschirmpräsenz, dass keine Minute Zweifel am integren Wesen von Oberst Bernes aufkommt. Er befindet sich im Krieg, weil sich die politische Lage so entwickelt hat. Seine persönliche Einstellung zum eigenen Regime bleibt im Film übrigens außen vor, was die ahistorische Grundhaltung des Dramas betont. Denn hätte man dieses Fass aufgemacht, dann wäre man wohl nicht umhin gekommen sich damit auseinanderzusetzen, dass ein simpler Mitläufer ohne Ambitionen kaum Chef der deutschen Spionageabwehr hätte werden können.

Um solche Fragen geht es in London ruft Nordpol aber nicht. Die reine historische Interpretationsfolie muss deswegen fehlgehen. Stattdessen beschäftigt sich das Spionagedrama eher allgemeingültig mit der moralischen Zwangslage, in die man in Kriegszeiten kommen kann. Bernes befindet sich zwar auf der Seite der Deutschen und tut alles für deren Sieg, will aber für die aufgeflogenen Spione so viel wie möglich erreichen. Ihm passt die Grausamkeit nicht, die auch dann noch regiert, wenn es nicht um direkte Feuergefechte geht. Aufseiten der englischen Agenten und der niederländischen Widerstandsangehörigen entstehen ebenfalls Zwangslagen, weil durch das eigene Handeln Freunde oder Familienangehörige in Gefahr geraten. Daraus entwickelt Regisseur Duilio Coletti teils melodramatische Emotionen, wenn Bernes Gefühle für die britische Agentin Mary entwickelt, die er inkognito nach einer von ihm fingierten Befreiung britischer Agenten erstmals in Barcelona trifft.

In Jürgens väterlicher Art drückt sich ebenso wie im zwischenzeitlich tragisch aufgeladenen Blick von Mary-Darstellerin Dawn Addams der Wunsch nach Frieden aus. In den Reihen der gegnerischen Kriegsparteien existieren Menschen, die trotz der ganzen Gewalt, noch nicht völlig verhärtet sind. Diese hoffnungsvolle Vision will sich Coletti nicht nehmen lassen, ohne dass er in absolut irreale Gefühlsduselei abgleitet. Denn die Hardliner sind stets präsent. Sie verweisen darauf, dass Krieg ist, in dessen Natur das ewige Lied vom Sterben fest eingegraben ist.

Das Bildformat auf dem Cover der DVD, das mit 1:1,66 angegeben ist, stimmt zum Glück nicht, da das tatsächliche Format der Silberscheibe (1:1,78) beweist, dass der Film in einem Breitwandformat gedreht wurde. Leider fehlen aber auch hier links und rechts noch Bildinhalte. Bei Szenen, in denen das sehr auffällig gewesen wäre, weil sich zwei sprechende Personen an den Bildrändern aufhalten, wurde das Format deswegen nach innen zusammengedrückt. Das führt zu sichtbaren Verzerrungen, sodass die Personen an den Rändern nun erstaunlich schlank wirken. Wahrscheinlich war das bereits bei dem Master der Fall, auf das Pidax zurückgreifen konnte.

Ansonsten herrschen analoges Rauschen und eine Schärfe vor, die vor allem beim Detailreichtum Schwächen aufweist. Die Konturendarstellung schwankt hingegen, ist aber zumeist in Ordnung, wenn man das Filmalter bedenkt. Insgesamt macht der Film einen matschigen Eindruck, der kaum überraschen kann. Die Farben sehen sehr anständig aus. Der Kontrast hat bei hellen und dunklen Bildteilen seine Schwächen, weil hier Details verschluckt werden, geht aber ansonsten noch in Ordnung. Insgesamt kann man sich den Film durchaus ansehen, Schwächen sind aber vorhanden.

Der Monoton kommt nicht ohne leichtes Hintergrundrauschen aus, das die Verständlichkeit der Dialoge aber nicht beeinträchtigt. Die Höhen wirken überbetont und leicht verzerrt. Angesichts des Filmalters konnte man das erwarten.

London ruft Nordpol

Pidax-Film veröffentlicht das Spionagedrama „London ruft Nordpol“ in der Reihe „Historien-Klassiker“. Das ist insofern nicht falsch, als der zugrunde liegende Roman H. J. Giskes auf realen Ereignissen aus dem Zweiten Weltkrieg beruht, aber es führt auf eine falsche Fährte. Denn im Mittelpunkt des Films stehen melodramatische Verwicklungen mit zwischenmenschlichen Konsequenzen. Um historische Genauigkeit geht es nicht.
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