Big Bad Wolves

Eine Filmkritik von Jennifer Borrmann

Bad cop, bad cop

Vor zwei Jahren überraschten die israelischen Drehbuchautoren und Regisseure Aharon Keshales und Navot Papushado mit dem Slasher Rabies, der sogenannte erste israelische Horrorfilm überhaupt. Mit Big Bad Wolves spielen sie nun kontinuierlich mit den Erwartungen der Zuschauer und reihen sich beinahe mühelos neben Funny Games ein: Wie weit geht die Gier nach Gewaltdarstellung?
In Böses verheißender Zeitlupe und gleißendem Sonnenlicht spielen Kinder in einem alten Lagergebäude Verstecke. Und wie in Paul Lynchs Prom Night geht das Spiel nicht gut aus. Die Polizei findet eines der Mädchen erst später wieder, als sie bereits tot ist. Sie ist nicht die erste, die auf grausame Art missbraucht und ermordet wurde. Sowohl Polizist Mika (Lior Ashkenazi) als auch der Vater des Mädchens Gidi (Tzahi Grad) sind überzeugt, dass der nette Lehrer von Nebenan, Dror (Rotem Keinan), der Täter ist – und, der Zweck alle Mittel heiligt.

Da hier im Gegensatz zu Vinterbergs Die Jagd, lange Zeit offen gehalten wird, ob Dror schuldig ist oder nicht, wird dem Zuschauer die Möglichkeit genommen, eindeutig Position beziehen. Ein auf fragwürdigen Gerechtigkeitsempfinden basierender Rachewunsch entsteht nicht, weil die Schuldzuweisung nicht klar ist. Gemeinsame Geburtstagsbilder von Dror und seiner bei der Mutter lebenden Tochter vermischen sich geschickt mit einem verwirrenden Voice-Over. War das seine oder eine Tochter? Mit diesem Eindruck im Hinterkopf blendet der Film über in einen dunklen Folterkeller eines abgelegenen Hauses – wohin Gidi und Mika den Lehrer verschleppt hatten.

Wenn Gidi dort aus dem Polizeibericht vorliest und detailliert beschreibt, auf welche Weise seine Tochter gefoltert und ermordet wurde, den Bericht langsam zur Seite legt und sein gefesseltes Gegenüber mit der Wiederholung der eben genannten Qualen vorwarnt, spielt der Film erneut mit dem moralischen Gewissen der Zuschauer: Die weitere Handlung wird vorweg genommen. Aber die Lust an der Verwirklichung der Folterankündigung ist größer, die „guilty pleasure“ will mit Popcorneimer und dem größten Getränkebecher in den Händen befriedigt werden.

Doch genau an diesem Punkt wartet der Film mit einer Überraschung auf: Komik. Gerade in dem Augenblick, in dem die Gewalt explizit wird, ruft die Übermutter auf dem Handy an und sorgt sich um den Sohn oder schickt den kriegs(- und folter)erfahrenen Vater Yoram (Doval’e Glickman) mit Suppe vorbei. Der Höhepunkt bei diesem „torture porn“ wird nicht durch die Darstellung von Gewalt erzeugt, sondern durch ein, wenn auch nur kurzes, erlösendes Lachen erreicht.

Harry Callahan trifft auf koreanischen Rachethriller und mischt sich dann mit den Geschichten der Gebrüder Grimm. Der Film hätte leicht ein gewollt subtil pädagogisches Lehrstück über Medien- und Zuschauerkritik werden können. Er ist aber vor allem ein sehr stimmungsvoller und komödiantischer Rache-Thriller geworden, der gespickt ist mit zahlreichen Filmreferenzen zu Dirty Harry, E.T., Funny Games oder Prom Night.

Big Bad Wolves

Vor zwei Jahren überraschten die israelischen Drehbuchautoren und Regisseure Aharon Keshales und Navot Papushado mit dem Slasher „Rabies“, der sogenannte erste israelische Horrorfilm überhaupt. Mit „Big Bad Wolves“ spielen sie nun kontinuierlich mit den Erwartungen der Zuschauer und reihen sich beinahe mühelos neben „Funny Games“ ein: Wie weit geht die Gier nach Gewaltdarstellung?
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Meinungen

Martin Zopick · 01.08.2021

Dreierlei Dinge platzieren diesen Film haushoch über dem Durchschnitt. Die Folterszenen überschreiten die Grenzen des normal Erträglichen, alle Figuren entpuppen sich im Laufe der Handlung als jemand anderes, als sie uns anfangs glauben machen wollten und schließlich verlässt der Plot die im Titel angedeuteten märchenhaften Sequenzen und geht auf einen Horrortrip mit unerwartetem Ausgang und einem großen Fragezeichen. Die Regisseure Keshales und Papushado lassen den Zuschauer über weite Strecken im Ungewissen über die wahre Herkunft, und lassen sogar Komik zu. Und das Ende ist ein Knaller für sich.
Es geht um den Mord an einem kleinen Mädchen. Der Leiche fehlt der Kopf. Ob es der gefangene Religionslehrer Dror (Rotem Keinam) war, kann möglicherweise derjenige, der am Ende ganz genau hinschaut, während sich die Kamera wortlos vom Ort des Geschehens verabschiedet.
Miki (Lior Ashkenasi), ein suspendierter Ermittler, der einzige den Dror kennt, paktiert mit Gidi (Tzahi Grad), einem Mieter eines abgelegenen Hauses. Der angebliche Interne Ermittler outet sich als potentieller Vater des getöteten Mädchens. Teilweise arbeiten Miki und Gidi miteinander, dann aber auch gegen einander. Als Gidis Vater Yoram (Doval’e Glickman) auftaucht, bringt der keine Entspannung, sondern er foltert munter mit. Komik kommt nur von Mikis Vorgesetztem Tsvika (Dvir Bendek) und seinem vorlauten Sohn Eti (Guy Adler).
Gidi plant genau die gleichen Foltermethoden wie sie der Mörder an dem kleinen Mädchen verübt hatte: vergifteten Kuchen anbieten, Finger brechen, Nägel rausreißen, Kopf absägen. Nichts für schwache Nerven. Neben der Spur mit den Hinweisen ins Märchenland, taucht plötzlich noch ein Reiter auf und verwickelt Gidi in ein Gespräch über Araber und Israelis.
Die Schlusspassage gibt Anlass zu Streitgesprächen, denn was die schweigsame Kamera zeigt, ist im wahrsten Sinne des Wortes Ansichtssache. Das Mehrzahl -‘s‘ im Titel meint dann wohl auch mit Sicherheit Gidi, Miki und Yoram. Bei Dror wäre ich mir da nicht so sicher.