The Invisible Men

Eine Filmkritik von Falk Straub

Abba, Abba, lama sabachthani?

Einen verborgenen Aspekt des Nahost-Konflikts beleuchtet Yariv Mozers Dokumentarfilm The Invisible Men. Jede Woche fliehen homosexuelle Palästinenser über die Grenze nach Israel. Dort leben sie im Geheimen, verbergen nicht ihre Homosexualität, sondern ihre Nationalität.
Louie lächelt in die Kamera. Ein Davidstern hängt um seinen Hals. Die breite Narbe auf seiner rechten Wange ist deutlich zu erkennen. Eine Erinnerung an seinen Vater. Als dieser von Louies Homosexualität erfuhr, hat er seinem Sohn das Gesicht zerschnitten, ihm mit dem Tod gedroht. Seither ist Louie auf der Flucht, als Palästinenser illegal in Israel. Seit zehn Jahren hält er sich in Tel Aviv mit kleinen Jobs über Wasser, lebt in ständiger Angst entdeckt zu werden. Die Kette dient der Tarnung, damit ihn die Polizei in Ruhe lässt. Greift sie ihn doch einmal auf und schiebt ihn nach Palästina ab, schleicht er sich heimlich zurück über die Grenze.

Die Geschichten, die die Protagonisten in Yariv Mozers Dokumentarfilm The Invisible Men erzählen, gehen unter die Haut. „Ich wollte immer wissen, wie es ist, auf der anderen Seite der Mauer, in den besetzten Gebieten schwul zu sein“, sagt Mozer zu Beginn seines Film aus dem Off. Der israelische Filmemacher hätte sich nie träumen lassen, dass es Männer wie Louie tatsächlich gibt. Neben dem 32-jährigen kommen Abdu (24) und Faris (23) zu Wort. Sie alle teilen ein ähnliches Schicksal. Als Abdu in Ramallah geoutet wurde, folterten ihn palästinensische Sicherheitskräfte und beschuldigten ihn der Spionage. Schwule könnten schließlich nur für den israelischen Geheimdienst arbeiten, so ihre Argumentation. Wie Louie floh auch Faris vor seiner Familie, schaffte es vom Westjordanland über Bethlehem und Jerusalem schließlich nach Tel Aviv.

Da Israel verfolgten Homosexuellen nicht hilft, ist der letzte Ausweg ein Asylantrag in einem westlichen Land. Abdu hat diesen Schritt bereits gewagt, blickt dem neuen Leben voller Zuversicht entgegen. Louie hadert hingegen damit, seiner Heimat und seiner Kultur den Rücken zu kehren. Erst als er erfährt, dass sein Vater gestorben ist, er ihm die Fragen, die er ihm stellen wollte, nicht mehr stellen kann, entschließt er sich doch noch, Abdu zu folgen. Was nicht mehr ausgesprochen werden kann, richtet Louie an die Kamera: „Verzeih mir, mein Vater. Ich wurde so geboren. Lass mein Leben keine Enttäuschung werden. Tu mir nichts Schlimmes an. Sei ein Vater. Eines Tages vielleicht wirst du mich umarmen können wie jeder andere Vater.“

Yariv Mozer zeigt die Schicksale in The Invisible Men in unruhigen Digitalbildern. Trotz einer beweglichen Kamera, die sehr nahe an die Protagonisten heranrückt, wahrt Mozer genügend Distanz, gibt den drei Männern den Raum, ihre Gedanken zu artikulieren, ihr Innerstes nach außen zu kehren. Der Regisseur hält sich dabei geschickt im Hintergrund, kitzelt Dinge aus Louie und Abdu heraus, indem er die beiden einfach vor seiner Kamera zusammenbringt und abwartet, was passiert.

Dass die Anteile der drei Protagonisten am Geschehen des Films dabei deutlich variieren, erklärt sich aller Wahrscheinlichkeit nach dadurch, dass Mozer seinen Film zunächst nur um Louie kreisen lassen wollte, erst durch dessen Geschichte auf Abdu, noch später auf Faris stieß. The Invisible Men stellt auf diese Weise auch immer seinen Entstehungsprozess zur Schau – eine dunkle Reise durch ein zerrissenes Land.

The Invisible Men

Einen verborgenen Aspekt des Nahost-Konflikts beleuchtet Yariv Mozers Dokumentarfilm „The Invisible Men“. Jede Woche fliehen homosexuelle Palästinenser über die Grenze nach Israel. Dort leben sie im Geheimen, verbergen nicht ihre Homosexualität, sondern ihre Nationalität.
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