Der Glanz des Hauses Amberson (Orson Welles Edition)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Das Fragment einer großen Tragödie

Wenn ein Film von seiner ursprünglichen Länge von 148 Minuten auf ein gefälliges Format von knapp anderthalb Stunden zurechtgeschnitten wird, wie es vor der Veröffentlichung von Der Glanz des Hauses Amberson der Fall war, entsteht zwangsläufig eine andere Geschichte mit einer stark verkürzten Ausrichtung, die das originäre Konzept des Regisseurs nur unzureichend repräsentiert. Derartig widrige Bedingungen markierten nicht selten die unwegsame Karriere des avantgardistischen US-amerikanischen Filmemachers und Schauspielers Orson Welles (1915-1985), dessen bedeutsame Beiträge zur Filmgeschichte überwiegend erst eine späte angemessene Würdigung erfuhren.
Nun erscheint bei Arthaus eine von ausführlichem Bonusmaterial flankierte Edition mit acht prägnanten Filmen von, über und mit dem facettenreichen Genius der visuellen Ausdruckskraft, die über elf Stunden Filmkunst, Unterhaltung und anregende Analysen bietet. Neben den Spielfilmen Citizen Kane, Der Glanz des Hauses Amberson / The Magnificent Ambersons, Macbeth, Der dritte Mann / The Third Man und Der Prozess / Le procès und der für das französische Fernsehen realisierten Produktion Stunde der Wahrheit / Histoire immortelle finden sich hier das filmisches Essay F wie Fälschung / Vérités et mensonges sowie die Dokumentation Orson Welles: The One-Man Band von Vassili Silovic und Oja Kodar ein, wobei als Extras noch der erste Kurzfilm von Orson Welles The Hearts of Age und die Dokumentation Orson Welles, Lichtarchitekt / Orson Welles, Architect of Light von Dominique Maillet enthalten sind.

Die Geschichte der Familie Amberson nach dem gleichnamigen Roman von Booth Tarkington aus dem Jahre 1918, der darin von seiner Heimat Indianapolis erzählt und dafür mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde, wird im Film von einem geradezu schwärmerischen Erzähler (Orson Welles im englischen Original) präsentiert, der das Schicksal des zunächst prächtigen Hauses beginnend mit dem Jahre 1873 in blumigen Worten schildert und dabei bewegt die Entwicklung einer Gesellschaft skizziert, die allmählich von Pferdewagen auf Automobile umsteigt. Dieser historische Wandel spiegelt sich auch in den sorgfältig gestalteten Kulissen wider, die sozusagen im Vorüberfahren ein Zeugnis vom Zug der Zeit abbilden, und deutet sich ebenfalls in der Ausstattung der Räume und der Protagonisten an, für welche die fortschreitende Industrialisierung sowohl gewaltige Gewinne als auch derbe Verluste mit sich bringt.

Als der draufgängerische Eugene Morgan (Joseph Cotten) in trinkseliger Stimmung seiner verehrten Isabel Amberson (Dolores Costello) ein Ständchen bringt und angelegentlich unelegant über die Bassgeige stolpert, verscherzt er sich damit die Gunst der pikierten Dame aus bestem Hause, die bald darauf den soliden Wilbur Minafer (Don Dillaway) heiratet und mit dem kleinen George (Bobby Cooper) einen bösartig-ungezogenen, allseits unbeliebten Sprössling aufzieht. Die Jahre vergehen, und während George – nunmehr von einem arrogant auftrumpfenden Tim Holt verkörpert – zu einem verwöhnten und großspurigen jungen Mann heranwächst, avanciert Eugene Morgan fern von Indianapolis zu einem angesehenen Automobilbauer, der mit seiner so aparten wie klugen Tochter Lucy (Anne Baxter) die Welt bereist.

Anlässlich eines luxuriösen Empfangs zu Georges College-Abschluss, den der alte Major Amberson (Richard Bennett) ausrichtet, treffen sich Isabel und Eugene wieder, der sich erneut in seiner Heimatstadt niederlässt, und hier begegnen sich auch Lucy und George, der sogleich starkes Interesse an der eigenwiligen Schönheit entwickelt. Es ergeben sich fröhliche Geselligkeiten zwischen den beiden Familien, wobei Georges Tante Fanny (Agnes Moorehead) sich insgeheim Hoffnungen auf den verwitweten Eugene macht, der allerdings nach wie vor nur Augen für Isabel hat. Als deren Mann Wilbur schließlich verstirbt, keimen erneut innige Gefühle zwischen Isabel und Eugene auf, was dem selbstsüchtigen George jedoch ganz und gar nicht gefällt, zumal er bei Lucy kräftig abblitzt und die Schuld dafür auf ihren Vater schiebt. In seiner verbitterten Tante Fanny findet George eine intrigante Verbündete, um ein spätes Glück für Isabel und Eugene zu vereiteln …

Es ist nicht nur der finanzielle Niedergang, der am Ende den Glanz des Hauses Amberson hinfortrafft und den leichtlebigen George dazu zwingt, einer Arbeit nachzugehen und Verantwortung für sich selbst und die verbleibende Familie in Person der nunmehr wahnsinnigen Tante Fanny zu übernehmen. Innerhalb der vielschichtigen Beziehungen nistet sich ausgehend von George eine krude Dynamik der Missgünstigkeit ein, durch welche die so nahe liegende Erfüllung einer großen alten Liebe verhindert wird. Der Glanz des Hauses Amberson, der seinerzeit zwar für vier Oscars nominiert wurde, aber in seiner enorm verkürzten Version einen kommerziellen Misserfolg darstellte, ist letztlich das vage, doch eindringliche Fragment einer einst großzügig angelegten Tragödie, das in der vorliegenden Form mit all seinen bei Zeiten unzureichend wirkenden Aspekten dennoch zu überzeugen vermag. Tragisch ist zudem, dass die damals beseitigten Sequenzen vernichtet wurden und damit eine wünschenswerte Rekonstruktion des Originals nicht möglich ist. Vor allem die Motivationen der charismatischen Isabel verbleiben überwiegend im Verborgenen, und insgesamt verströmt dieses arg zensierte, sanft-melancholische und mitunter durchaus heiter erscheinende Drama den Hauch von verpassten Gelegenheiten, das große Glück zu erobern – ein sehenswerter Film, vor allem für Fans des schillernden Orson Welles, der auch damit einen bedeutenden Beitrag zu seinem filmischen Universum geschaffen hat.

Der Glanz des Hauses Amberson (Orson Welles Edition)

Wenn ein Film von seiner ursprünglichen Länge von 148 Minuten auf ein gefälliges Format von knapp anderthalb Stunden zurechtgeschnitten wird, wie es vor der Veröffentlichung von „Der Glanz des Hauses Amberson“ der Fall war, entsteht zwangsläufig eine andere Geschichte mit einer stark verkürzten Ausrichtung, die das originäre Konzept des Regisseurs nur unzureichend repräsentiert.
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