Der Loulou

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Abbild der Gesellschaften

Es ist doch immer wieder spannend, altgewordene Klassiker (neu) zu entdecken und Filme von einst wieder oder erstmals anzuschauen. So auch zum Beispiel Der Loulou von Maurice Pialat, der einerseits eine gelungene Momentaufnahme vom Frankreich der 1980er Jahre ist und andererseits zwei französische Schauspiellegenden, Gérard Depardieu und Isabelle Huppert, in einem Sozialdrama vereint. Der Film zeigt, wie einfach und gut zugleich Kino doch sein kann.
Nelly (Isabelle Huppert), Tochter aus gutbürgerlichem Hause und liiert mit dem erfolgreichen Werbemanager André (Guy Marchand), lernt in einer Vorstadt-Disco den charmanten, aber etwas verwilderten Louis (Gérard Depardieu), genannt Loulou, kennen. Sie schlafen miteinander, und Nelly ist fasziniert von der Abenteuerlust einerseits und dem Wohlgefühl andererseits, die sie bei Loulou empfindet. Kurzerhand verlässt sie André, dessen besitzergreifendes Gehabe sie ohnehin satt hat.

Innerhalb kurzer Zeit ist Nelly Teil von Loulous Lebenswelt: Die Welt der kleinen Gauner und der schummrigen Kneipen, der Lebenskünstler und der Taugenichtse. Sie beobachtet Raufereien und bringt den mit einem Messerstich verletzten Loulou ins Krankenhaus. Sie bezahlt das Hotelzimmer, in dem die beiden schlafen und sich lieben. Und das ist es auch, was sie so sehr begeistert: Dass Loulou sich gegen alle Normen stellt, nicht an Arbeit und Karriere, Erfolg und Geld interessiert ist, sondern sich vielmehr auf ein erfülltes und reiches Sexleben konzentriert. Und Nelly genießt es, dieses völlig andere Leben als ihr bisheriges zu leben.

Als sie schwanger wird, hält die gutgelaunte Stimmung noch ein Weilchen an. Doch als Nellys Bruder zum Essen kommt und Loulou fragt, wie er für seine zukünftige Kleinfamilie sorgen will, zeichnen sich in Nellys Gesicht erste Fragefalten und Blicke leichter Unsicherheit ab. Dann fahren Nelly und Loulou zum Geburtstag seiner Mutter aufs Land zum Fest, und man spürt richtig, wie Nelly immer kleiner wird und sich immer unwohler fühlt in einer Gesellschaft, in der sie nicht dazu gehört.

Es ist vor allem die Körpersprache, die den Film ausmacht. In Der Loulou sind es nicht (nur) die Dialoge, sondern vielmehr Mimik, Gestik und Proxemik, die die Geschichte erzählen. Unterstützt werden sie von einer dokumentarisch wirkenden Handkamera, die jede Regung im Gesicht der Figuren aufzeichnet, ohne dass diese dabei ihre Natürlichkeit verlieren.

In Der Loulou treffen zwei Welten aufeinander: Die Welt der gutsituierten Mittelschicht und erfolgreichen Anzugträger und diejenige der Hilfsarbeiter und arbeitslosen Herumtreiber, wie Loulou es einer ist. Dass die Liaison zwischen Nelly und Loulou nicht gutgehen kann, ist eigentlich vorprogrammiert. Und so sehr man den raubeinigen Loulou auch ins Herz schließen mag, am Ende behält doch der eher als Unsympath skizzierte Bürgerliche André Recht, wenn er Nelly prophezeit: „Du weißt doch, dass das nicht gut geht“.

Derjenige allerdings, der Nelly schlägt, zu gewalttätigen Gefühlsausbrüchen neigt und immer wieder von Neuem handgreiflich wird, ist nicht etwa Loulou, der – so meint man – mit Gewalt und dem Kampf der Straße aufgewachsen ist, sondern André, der im Film der wahre Macho ist. Während sich Loulou lediglich machohaft gibt, ist es André, der Nelly keine eigene Meinung zugesteht und sich ungefragt nimmt, was er haben will. Und auch wenn Nelly zunächst flüchtet, so setzt sie sich doch nicht wirklich mit dieser Seite von André auseinander und gibt sich an dieser Stelle und gegenüber André gar nicht selbstbewusst. Aus heutiger Sicht ist dies fast nicht (mehr) nachvollziehbar.

Damit zeichnet Der Loulou ein zeitgenössisches Bild von einer Gesellschaft, welche die wahre Emanzipationsbewegung noch vor sich zu haben scheint. Wenn Nelly am Ende und gegenüber Loulou selbstbestimmt handelt, dann ist dies kein Ausdruck von weiblicher Stärke, sondern hat vielmehr mit ihrer gesellschaftlichen Herkunft zu tun.

Der Film ist in der Reihe Edition Cinema Français von FilmConfect Home Entertainment erschienen, die seit April 2012 außergewöhnliche Klassiker der französischen Filmgeschichte editiert und damit Filme von genialen Regisseuren und den großen Schauspielern Frankreichs auf DVD präsentiert. Neben Der Loulou umfasst die Reihe zum Beispiel Die Frau meines Lebens, Das wilde Schaf, Das Biest muss sterben sowie bedeutende Filme der Nouvelle Vague wie Die untreue Frau oder Zwei Freundinnen.

Der Loulou

Es ist doch immer wieder spannend, altgewordene Klassiker (neu) zu entdecken und Filme von einst wieder oder erstmals anzuschauen. So auch zum Beispiel „Der Loulou“ von Maurice Pialat, der einerseits eine gelungene Momentaufnahme vom Frankreich der 1980er Jahre ist und andererseits zwei französische Schauspiellegenden, Gérard Depardieu und Isabelle Huppert, in einem Sozialdrama vereint.
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