Cinespañol 1

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Vier Mal Kino aus Lateinamerika

Spanischsprachige Filme im Original in die deutschen Kinos zu bringen, war das Ziel des jungen Verleihs Cine Global. Nachdem die erste Edition von Cinespañol ein Jahr lang durch die Kinos in Deutschland getourt ist, ist nun die DVD-Edition zur spanischsprachigen Filmtournee erschienen. Sie versammelt alle vier Filme: Abel aus Mexiko, El nido vacío aus Argentinien, Personal Belongings aus Kuba und Zona Sur aus Bolivien sind auf Spanisch mit deutschen Untertiteln zu sehen.
Abel (Mexiko 2010) ist das Regiedebüt von Schauspieler Diego Luna, vielen bekannt aus seiner Rolle im mexikanischen Kult-Film Y tu mamá también. Sein Film erzählt von einem kleinen Jungen, dem Titelhelden Abel (Christopher Ruíz-Esparza), der auf sonderliche Weise die Abwesenheit seines Vaters (José María Yazpik) verarbeitet. Er hat die vergangenen Jahre in einer Kinderklinik verbracht, dort in einer eigenen Welt gelebt und kaum ein Wort gesprochen; nun hat es die Mutter (Karina Gidi) geschafft, Abel nach Hause zu holen. An den ersten Tagen bleibt Abel weiterhin stumm, aller Versuche seiner Mutter und Geschwister (Geraldine Alejandra und Gerardo Ruíz-Esparza) zum Trotz, ihn zum Reden zu bringen. Doch dann fängt er plötzlich an zu sprechen und zu schimpfen, und es wird immer deutlicher, dass Abel – als ältester Junge in der Familie – nicht nur vorgibt, das männliche Oberhaupt zu sein, sondern tatsächlich glaubt, Hausherr, Vater der Kinder und der Mutter ein Ehemann zu sein. Die Geschichte ist kurios, und erzählt ist sie mit allen Mechanismen, die einen guten Arthouse-Film ausmachen: ein kluger Plot, ein erschreckend guter junger Darsteller, nicht allzu viel störende Background-Musik und tolle Bilder.

Personal Belongings (Kuba 2006) von Alejandro Brugués wirft ähnlich ‚schöne‘ Bilder auf die Leinwand. In warmen Farbtönen wird Havanna in Szene gesetzt, und damit werden eine Stadt und auch ein Land verklärt, welche Ernesto (Caleb Casas) doch eigentlich verlassen will. Jeden Tag neu reiht er sich in die Schlange vor einer anderen Botschaft ein und präsentiert dem jeweiligen Landesvertreter dann die immer gleiche Geschichte von seiner Mutter und seinem langgehegten Traum, dieses oder jenes Land zu bereisen. Die Geschichte kommt jedoch nicht an, und so findet sich Ernesto erneut auf den Straßen von Havanna ohne Bleibe, ohne Arbeit, ohne Perspektive.
Schließlich lernt er Ana (Heidi García) kennen und verliebt sich sofort in die schöne Ärztin. Die beiden beginnen eine Beziehung ohne Verpflichtungen, denn sie sind sich von Beginn an über ihre jeweils unterschiedlichen Ziele bewusst. Ana liebt ihr Land und kann es nicht verstehen, dass man Kuba verlassen möchte. Sie will bleiben und ihren Beitrag zum Land leisten. Kurioserweise sind die Szenen, die sie zu Hause oder bei der Arbeit zeigen in einem kühlen, klaren Blau gehalten und stehen damit eigentlich ihrer Einstellung diametral entgegen.
Der Film präsentiert eine anti-romantische Liebesgeschichte im zeitgenössischen Kuba und zeigt gleichzeitig den aktuellen Konflikt vieler Kubaner auf, der mit der schrittweisen Öffnung des Landes unter Raúl Castro noch treffender sein dürfte. Im Land bleiben oder gehen, love it or leave it. Auf einfühlsame Weise stellt Personal Belongings die Frage nach Heimat und persönlichem Fortschritt. Der Film besticht dabei vor allem durch ein überzeugend gutes Drehbuch, das immer genau dann Antworten auf die Fragen liefert, die man sich zum dargestellten Geschehen stellt.

El nido vacío (Argentinien/Spanien/Frankreich/Italien 2008) stammt vom argentinischen Star-Regisseur Daniel Burmann und erzählt aus dem Leben eines in die Jahre gekommenen Elternpaares, das sich neu orientieren muss. Die Kinder haben die Schule beendet und verlassen mit dem Studium das elterliche Nest (daher auch der Titel: „Das leere bzw. verlassene Nest“). Und die Beziehung zwischen Mutter (Cecilia Roth) und Vater (Oscar Martínez) hat sich derart eingeschliffen, dass die gegenseitige Attraktivität deutlich nachgelassen hat und erst neu belebt werden muss. Hinzu kommt: Martha hat für die Kinder und das Haushaltsmanagement ihr Studium aufgegeben, Leonardo hingegen die ganze Zeit nur gearbeitet und seine Karriere als Schriftsteller vorangetrieben. Keine Frage, dass sich die beiden mit den Jahren auseinandergelebt haben. Der Film ist aus Sicht des Vaters erzählt, der erkennbar mit seiner Situation zu kämpfen hat, der bald nicht mehr weiß, was er beobachtet und was er sich erträumt. In mehrschichtigen Bildern werden seine Sehnsüchte und Wünsche deutlich, wird der existenzbetreffende Wendepunkt in seinem Leben in Szene gesetzt – für diese Bilder wurde Kameramann Hugo Colace auf dem Filmfestival von San Sebastián ausgezeichnet. Dies ist eine ganz andere Art von Kino als Abel oder Personal Belongings, ruhiger, geduldiger, jedoch genauso spannend.

Zona Sur (Bolivien 2009) von Juan Carlos Valdivia portraitiert eine Familie aus der bolivianischen Oberschicht und deren nahenden Untergang. Carola (Ninón del Castillo) lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren drei Kindern – Patricio (Juan Pablo Koria), Bernarda (Mariana Vargas) und dem kleinen Andrés (Nicolás Fernández) – sowie den beiden Hausangestellten Wilson (Pascual Loayza) und Marcelina (Viviana Condori) in einer großen Villa im südlichen Bezirk (der zona sur) der Hauptstadt La Paz. Dort, wo das Leben ungestört ist vom Lärm und der Hektik einer Millionenstadt.
In dieser Parallelwelt geht jeder seinen Träumen nach und lebt das monotone Einerlei des Alltags. Denn wirklich zu tun hat man, so scheint es, in der oberen Schicht der bolivianischen Gesellschaft nicht. Die Monotonie des Dargestellten wird durch die Filmästhetik noch dadurch unterstrichen, dass das Bild von langen Kameraschwenks und einengenden Kamera-Umfahrten geprägt ist. Durch die Figur des kleinen Andrés macht der Film aber Hoffnung – auf eine neue Generation.

In Cinespañol 1 wurden vier sehr unterschiedliche und jeweils herausragende Filme innerhalb des zeitgenössischen lateinamerikanischen Kinos zusammengestellt. Die Sammlung zeigt damit, wie vielseitig der lateinamerikanische Filmkontinent ist. Schön, dass sie nun auch im Handel und je nach Geschmack einzeln oder in einer Box erhältlich sind. Und auch die zweite spanischsprachige Filmtournee, die im Dezember startete, scheint vielversprechend. Hoffen wir, dass es noch viele weitere Editionen von Cinespañol geben wird.

Cinespañol 1

Spanischsprachige Filme im Original in die deutschen Kinos zu bringen, war das Ziel des jungen Verleihs Cine Global. Nachdem die erste Edition von Cinespañol ein Jahr lang durch die Kinos in Deutschland getourt ist, ist nun die DVD-Edition zur spanischsprachigen Filmtournee erschienen. Sie versammelt alle vier Filme: „Abel“ aus Mexiko, „El nido vacío“ aus Argentinien, „Personal Belongings“ aus Kuba und „Zona Sur“ aus Bolivien sind auf Spanisch mit deutschen Untertiteln zu sehen.
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