Escape from Tomorrow (Blu-ray)

Eine Filmkritik von Martin Beck

Im Schatten der Maus

Zunächst einmal ist Escape from Tomorrow ein Stunt – ein in s/w gedrehter Guerilla-Film, der ohne Drehgenehmigung in Disneyworld entstanden ist und die dort anzutreffende heile Welt einer paranoiden Horrordusche unterzieht. Aus dem falschen Blickwinkel heraus kann bunter Familienspaß ganz schnell einen dunklen Dreh bekommen, bei dem sich dann kostümierte Prinzessinnen als hochpreisige Nutten für asiatische Touristen herausstellen. Es gleicht einem Wunder, dass Disney bisher keinen Rechtsstreit angestrengt hat.
Obwohl, nein, kein Wunder – sondern vielmehr eine clevere Anti-Reaktion, die dem Film viel Wind aus den Segeln nimmt und die kalkulierte bis erwünschte Provokation zu einem zwar interessanten, aber nicht allzu wirksamen Kuriosum eindampft. Escape from Tomorrow verfolgt einen arbeitslosen Familienvater (Roy Abramsohn), der mit seiner Familie in Disneyworld einfällt und schon bald seltsame bis grausige Wahnvorstellungen entwickelt. Sex mit einer Hexe, nackte, fliegende Frauen, massiv nässende Wunden und von Siemens gesponserte Experimente zur Gedankenkontrolle.

Oder, mit anderen Worten: Willkommen beim Inbegriff familiärer Premiumunterhaltung – einem an Carnival of Souls gemahnenden Zerrbild subversiver Abgründe, die ihren Reiz aus der Reibung von Realität und Fantasie zieht. „Niemand stirbt in Disneyworld“, wie es so schön heißt, doch wahnsinnig kann man schon mal werden, sogar weitgehend ohne Trashgeruch. Der Ansatz von Regisseur und Drehbuchautor Randy Moore ist auf jeden Fall spannend, selbst wenn es den Anschein macht, als wäre das Unterfangen nicht ganz durchdacht worden. Jenseits des anfänglichen Paukenschlags bleibt der Film wirr und episodenhaft, eine richtige Geschichte sucht man vergebens.

Immerhin, starke Bilder bekommt man geboten, mit deutlichen Assoziationen zu schrägeren Horrorfilmen der fünfziger und sechziger Jahre, die dann mehr oder weniger eine lose Ideensammlung zum Thema „wie kann Disney mit Unbehagen in Verbindung gebracht werden?“ dokumentieren. Irgendwann aber geht bei Escape from Tomorrow der Fokus verloren, unterstützt durch einen großzügigen Schnitt und die extrem unsympathische Zeichnung des Familienvaters. Der Film entgleitet zunehmend in eine Abfolge wirrer Ereignisse, besetzt mit egalen Figuren, die dann am Ende eine David Lynch-mäßige Transformatiohn durchmachen.

Wieso, warum, weshalb? Das sollte man besser nicht fragen, denn wie üblich bei solchen Werken kann alles behauptet und der Interpretation des Zuschauers überlassen werden. Dass Disney keinen Rechtsstreit losgetreten hat, ist vor allem dem Film selbst zu verdanken, der einfach zu eigen bis fahrig für eine wirkliche „Bedrohung“ des Mausimperiums bleibt. Insofern also besser aussitzen, weil die wenigen interessierten Zuschauer sowieso schon bekehrt sind und das tatsächliche Zielpublikum von Disneyworld kaum jemals von der Existenz des Films erfahren dürfte. Noch mehr absolute Macht kann ein Konzern eigentlich nicht demonstrieren.

Was Siemens von Escape from Tomorrow hält, ist nicht bekannt – ebenso ein Indiz für Ignoranz…und damit ein weiterer herber Schlag für die Publicityabteilung der Produktion. An der deutschen Blu-Ray dürfte es auf jeden Fall nicht scheitern, denn die holt raus, was hier halt möglich ist. In Sachen Extras gibt es einen sehr interessanten Audiokommentar und ein ebenso interessantes Making Of.

Escape from Tomorrow (Blu-ray)

Zunächst einmal ist „Escape from Tomorrow“ ein Stunt – ein in s/w gedrehter Guerilla-Film, der ohne Drehgenehmigung in Disneyworld entstanden ist und die dort anzutreffende heile Welt einer paranoiden Horrordusche unterzieht. Aus dem falschen Blickwinkel heraus kann bunter Familienspaß ganz schnell einen dunklen Dreh bekommen, bei dem sich dann kostümierte Prinzessinnen als hochpreisige Nutten für asiatische Touristen herausstellen.
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