Ludwig II. (1972)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Märchenhafter Bilderrausch

ontis filmische Biografie über König Ludwig II. von Bayern macht dessen Spitznamen „Märchenkönig“ alle Ehre: Märchenhaft ist auch die Inszenierung, verzaubert ist der Blick auf die seltsamen Befindlichkeiten des Mannes, der in jungen Jahren König wurde und sich im Königsein nie so wirklich zurechtfand. Fast zeitgleich zur Neuverfilmung von Ludwig II. durch Marie Noëlle und Peter Sehr ist Ludwig II. von Luchino Visconti aus dem Jahr 1972 nun bei Arthaus in einer Premium-Version erschienen.
 
Wie eine Saga der Reichen und Schönen erzählt Viscontis Film aus dem Leben des Königs (Helmut Berger): von dessen Amtseinsetzung bis zu seinem Tod im Starnberger See, ehemals Würmsee. Dabei legt er den Fokus auf das Private: auf des Königs ersten Kuss mit und seine Beziehung zu Kusine Elisabeth von Österreich-Ungarn (Romy Schneider), auf die Verlobung mit deren Schwester, Prinzessin Sophie von Bayern (Sonia Petrovna) und deren Auflösung, auf seine Leidenschaft für die Oper und seine Freundschaft zu Richard Wagner (Trevor Howard) wie auch auf seine Sucht, neue Schlösser zu bauen. Ludwig II. zeigt die Tragik des Schicksals von Ludwigs Bruder Otto (John Moulder-Brown), der unter einer, wie es heißt, Geisteskrankheit leidet, und er macht deutlich, wie sich der Kini, wie er in Bayern genannt wird, nach und nach in die Einsamkeit seiner Schlösser und die Welt des Schauspiels zurückzieht und immer mehr Abstand vom verhassten München und den Pflichten eines Königs nimmt. Und so blendet der Film den König in seinen Amtsgeschäften auch weitestgehend aus.
 
Außergewöhnlich an Ludwig II. ist, dass er immer wieder Aussagen von Zeitzeugen über den König als Inserts zwischen die Szenen aus seinem Leben montiert. An diesen Stellen wird die Illusion der Bilder gestört, was auch dadurch erreicht wird, dass die Figuren wie in einem Vakuum direkt zum Zuschauer sprechen: vor schwarzer Wand und frontal in großer Einstellung aufgenommen. Hier wirkt der Film gar wie ein Kriminalspiel, in dem alle Beteiligten versuchen (oder auch gerade nicht), das Rätsel um den König zu lösen. Zu Wort kommen Pater Hoffmann (Gerd Fröbe), der langjähriger Begleiter der Königsfamilie ist, und Arzt Dr. von Gudden (Heinz Moog), der den König in seinen letzten Stunden in den Tod begleitet hat, sein enger Vertrauter Richard Hornig (Marc Porel) und andere Bedienstete. „Ich bin ein Rätsel für Sie“, sagt Ludwig selbst: „Und ich möchte ein Rätsel bleiben – für immer, für die anderen und auch für mich selbst.“ Das gelingt der Figur – nicht nur gegenüber den anderen Figuren, sondern auch gegenüber dem Zuschauer.
 
Es ist das Rätselhafte an diesem König, das Visconti herausstellt und nicht nur filmisch umsetzt, sondern immer wieder klar formuliert, so zum Beispiel auch, wenn er Wagner sagen lässt: „Ich verstehe manches, aber ich kann Ihnen nicht helfen, wenn Sie nicht wollen.“ Dabei geht es Visconti weniger um das klassische Portrait einer historischen Figur, sondern vielmehr um ein subjektives und reichlich stilisiertes Bild vom Märchenkönig und seiner Welt.
 
Viscontis Film ist ein wahrer Bilderrausch, der die wuchtige Ästhetik des 19. Jahrhunderts gleichsam widergibt, aber auch zeigt, dass sie – wie Ludwig – dem unaufhaltsamen Untergang geweiht ist. Hier positioniert sich Kunst als Gegenstück zur Politik, Idealität zur Realität, und so gerne man Ludwigs Leidenschaft für die Kunst unterstützen möchte, so deutlich wird doch, dass sie – sobald sie in Größenwahn und Verschwendungssucht ausartet – doch nur Wunschtraum sein kann und in der (Lebens-)Wirklichkeit keinen Bestand hat.
 
Arthaus präsentiert in seiner Premium-Ausgabe die Langfassung des Films, wie sie 1980 in Venedig uraufgeführt und später auch im Deutschen Fernsehen gezeigt wurde. Der Film hatte eine lange Verstümmelungsgeschichte hinter sich: Zuerst orderte der Produzent Visconti an, aus dem Vier-Stunden-Werk eine Stunde herauszukürzen, dann schnitt der deutsche Gloria-Verleih weitere 55 Minuten des Films heraus, wogegen Visconti zunächst auch nichts machen konnte. Erst posthum haben der Cutter des Films, Ruggero Mastroianni, und Suso Cecchi d’Amico, Viscontis Drehbuch-Mitarbeiterin, den Film in seine ursprüngliche Form gegossen. Und genau diese Länge macht den Film auch aus: Es ist ein überaus ruhiger und kunstvoller Film, der guttut in Zeiten, in denen die Schnitte immer schneller aufeinander folgen und der Kamerablick nur selten auf einem Bild ruht.
 

Ludwig II. (1972)

Viscontis filmische Biografie über König Ludwig II. von Bayern macht dessen Spitznamen „Märchenkönig“ alle Ehre: Märchenhaft ist auch die Inszenierung, verzaubert ist der Blick auf die seltsamen Befindlichkeiten des Mannes, der in jungen Jahren König wurde und sich im Königsein nie so wirklich zurechtfand.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen