Hafen im Nebel

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Von Zufall und Schicksal

In der nebeligen Dunkelheit einer Landstraße zwanzig Kilometer vor der französischen Hafenstadt Le Havre gerät ein Soldat in das Scheinwerferlicht eines LKWs. Der Fahrer stoppt und nimmt den erschöpften, schweigsamen Fremden mit. Als ein Hund die Straße kreuzt, reißt der Sodat das Steuer ausweichend herum, sehr zum Ärgernis des Fahrers, und die beiden Männer geraten in Streit, der jedoch rasch versöhnlich ausklingt. Nachdem sie sich am Ortseingang trennen, will sich der Hund dem Soldaten anschließen, doch dieser verjagt ihn mit einem Stein. Derart gestaltet sich der düstere Auftakt des Dramas Hafen im Nebel von Marcel Carné aus dem Jahre 1938, mit welchem bereits die melancholische Atmosphäre des Films sowie die Zerrissenheit und Wut des klassischen Anti-Helden Jean (Jean Gabin) anklingt, der offensichtlich desertiert ist und sich orientierungslos in der Gegend herumtreibt.
In der abgelegenen Kaschemme des kauzigen Wirts Panama (Édouard Delmont) findet Jean freundliche Aufnahme und einen Unterschlupf für die Nacht, wo er den resignierten Maler Michel (Robert Le Vigan) und die hübsche junge Nelly (Michèle Morgan) kennen lernt, und es sind diese beiden Zufallsbekanntschaften, die sein künftiges Schicksal prägen werden. Während der Maler im Meer den Freitod sucht und dem ahnungslosen Jean seinen Anzug, seine Schuhe und mit seinen Papieren auch seine Identität hinterlässt, verliebt sich Nelly in den flüchtigen Deserteur, der sich allerdings anschickt, mit einem Schiff nach Venezuela auszulaufen. Doch die rasche, intensive Verbundenheit mit Nelly verwickelt Jean in Schwierigkeiten mit deren zudringlichem Vormund Zabel (Michel Simon) und dem windigen Ganoven Lucien (Pierre Brasseur), der mehr als ein Auge auf Nelly geworfen hat, von Jean handgreiflich gedemütigt wurde und nur auf eine günstige Gelegenheit wartet, um sich zu rächen …

Es sind harte, karge und von kriminellen Umtrieben geprägte Zeiten in Le Havre ein Jahr vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, die Regisseur Marcel Carné mit Schwarzweißbildern von trister Schönheit in schwermütiger, bedrohlicher Stimmung einfängt. Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung greifen um sich, und doch gibt es immer wieder Momente und Gesten von Mitgefühl und Menschlichkeit, von Solidarität und sogar Liebe, die ungerufen wie unerwartet den entwurzelten Deserteur Jean und die verletzliche Nelly ereilt. Die Weile der Geborgenheit und des Glücks für die beiden ist kurz, und auch wenn sich ihre Sehnsucht nach einer lebenswerten Existenz Anderswo nicht erfüllt, steht ihre Geschichte doch für die Möglichkeit und Kraft von tiefen, aufrichtigen Emotionen selbst angesichts der größten Depression. Die Figur des müden Soldaten Jean, der nichts als das besitzt, was er am Leibe trägt und doch auf einen streunenden Hund, der ihm ergeben folgt, sowie auf die Menschen, die ihm begegnen, eine starke Anziehung ausübt, erscheint hier exemplarisch für die nackte Freiheit, nichts zu verlieren zu haben und sich dennoch oder gerade deshalb treu zu bleiben, selbst wenn es letztlich das Leben kostet.

Zufall und Schicksal, Liebe und Hass sowie Sehnsucht und Verzweiflung sind die großen Themen dieses tragischen Dramas, das mit dem Prix Louis Delluc prämiert wurde, als Bester ausländischer Film den Preis des New Yorker National Board of Review gewann und bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig auf Grund der Regie von Marcel Carné eine besondere Empfehlung erhielt. Dessen berühmtester Film Kinder des Olymp / Les enfants du paradis stammt aus dem Jahre 1945 und basiert so wie Hafen im Nebel auf einem Drehbuch von Jacques Prévert, einem engen Freund Marcel Carnés und führenden Protagonisten des Poetischen Realismus jener Zeiten. In diesem Sinne berührt und bewegt Hafen im Nebel als grandios inszeniertes Stimmungsbild einer zermürbten Gesellschaft gleichermaßen durch seine sowohl visuell als auch dialogisch transportierten poetischen Aspekte wie durch seinen prallen Pessimismus, der auch eine bewusste Abkehr vom munter-seichten Mainstream des Kinos der 1930er Jahre markierte, dessen gefällige Grundstimmungen durch Filme wie diesen gehörig kontrastiert werden.

Hafen im Nebel

In der nebeligen Dunkelheit einer Landstraße zwanzig Kilometer vor der französischen Hafenstadt Le Havre gerät ein Soldat in das Scheinwerferlicht eines LKWs. Der Fahrer stoppt und nimmt den erschöpften, schweigsamen Fremden mit. Als ein Hund die Straße kreuzt, reißt der Sodat das Steuer ausweichend herum, sehr zum Ärgernis des Fahrers, und die beiden Männer geraten in Streit, der jedoch rasch versöhnlich ausklingt.
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